Entscheidungsstichwort (Thema)

Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist bei nicht beschiedenem Antrag auf Verfahrenskostenhilfe. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Leitsatz (redaktionell)

Wurde noch nicht über einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe entschieden und hat die Verfahrensbevollmächtigte die versäumte Verfahrenshandlung (Begründung der Beschwerde) erst nach telefonischen Hinweis des OLG und damit nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist nachgeholt, ist, solange sich nichts Gegenteiliges ergibt, davon auszugehen, dass die Mittellosigkeit der Partei für die zunächst unterlassenen Verfahrenshandlung und sodann für ihre Verspätung ursächlich geworden ist. Dass die Verfahrensbevollmächtigte im Wiedereinsetzungsantrag Ausführungen zur Fristenüberwachung in ihrer Kanzlei gemacht hat, um das Wiedereinsetzungsgesuch zu begründen, lässt nicht den Schluss zu, dass das wirtschaftliche Unvermögen des Antragsgegners für die Fristversäumung nicht ursächlich war.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1; FamFG § 113 Abs. 1 S. 2; ZPO § 85 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Beschluss vom 22.07.2011; Aktenzeichen II-12 UF 110/11)

AG Rahden (Beschluss vom 07.04.2011; Aktenzeichen 7 F 313/10)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 12. Senats für Familiensachen des OLG Hamm vom 22.7.2011 aufgehoben.

Dem Antragsgegner wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde gegen den Beschluss des AG Rahden vom 7.4.2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Streitwert: bis 2.500 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Antragsgegner ist mit Beschluss des AG vom 7.4.2011 zur Zahlung von Kindesunterhalt an den Antragsteller verurteilt worden. Gegen den ihm am 8.4.2011 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 15.4.2011 Beschwerde eingelegt und zugleich Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung seiner erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten beantragt. Mit Schriftsatz vom 9.5.2011 (Montag) hat die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsgegners nebst Anlagen beim OLG eingereicht. Am 22.6.2011 hat die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners telefonisch vom OLG den Hinweis erhalten, dass die Beschwerdebegründungsfrist abgelaufen sei. Noch am selben Tag hat der Antragsgegner per Fax Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Beschwerdebegründungsfrist beantragt und zugleich die Beschwerde in der Sache begründet.

Rz. 2

Das OLG, das über den Verfahrenskostenhilfeantrag des Antragsgegners bislang nicht entschieden hat, hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.

II.

Rz. 3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Beschwerdebegründung und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG. Dem Antragsgegner wurde zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde versagt.

Rz. 4

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist gem. § 117 Abs. 1 und 2 FamFG, §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das OLG hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht des Antragsgegners auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGH v. 23.3.2011 - XII ZB 51/11, FamRZ 2011, 881 Rz. 7; v. 2.4.2008 - XII ZB 189/07, FamRZ 2008, 1338 Rz. 8 m.w.N.).

Rz. 5

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Dem Antragsgegner ist vom OLG zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt worden. Entgegen dessen Auffassung trifft weder den Antragsgegner selbst noch seine Verfahrensbevollmächtigte (§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO) ein Verschulden an der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist.

Rz. 6

a) Ohne zuvor über den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden, hat das OLG den Wiedereinsetzungsantrag des Antragsgegners mit der Begründung zurückgewiesen, es ließe sich nicht feststellen, dass der Antragsgegner die Frist zur Beschwerdebegründung schuldlos versäumt habe. Aus dem im Wiedereinsetzungsantrag geschilderten Verfahrensablauf sei nicht ersichtlich, dass die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners die Fristennotierung bei der Vorlage der Handakten ausreichend kontrolliert habe. Dieses Verschulden seiner Verfahrensbevollmächtigten müsse sich der Antragsgegner gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

Rz. 7

b) Diese Ausführungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Rz. 8

(1) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt hat, so lange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Vornahme einer Frist wahrenden Handlung - wie hier der Beschwerdebegründung - verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags rechnen musste, weil er sich für bedürftig i.S.d. §§ 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. 114 ff. ZPO halten durfte und aus seiner Sicht alles Erforderliche getan hatte, damit aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über sein Verfahrenskostenhilfegesuch entschieden werden konnte. Deshalb kann eine unbemittelte Partei, für die ein Anwalt zwar formularmäßig Beschwerde eingelegt hat, ohne sie zu begründen, die aber keinen Verfahrensbevollmächtigten hat, der gewillt ist, für sie weiter tätig zu werden, selbst am letzten Tag der Rechtsmittelbegründungsfrist noch ein Verfahrenskostenhilfegesuch einreichen. Die Beschwerde darf dann nicht mit dem Argument verworfen werden, dass innerhalb der Begründungsfrist noch keine Beschwerdebegründung eingereicht worden sei (BGH Beschlüsse v. 27.9.2004 - II ZB 17/03, FamRZ 2005, 105 m.w.N.; v. 3.12.2003 - VIII ZB 80/03, FamRZ 2004, 699).

Rz. 9

(2) Allerdings kommt nach der Rechtsprechung des BGH eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur in Betracht, wenn die Mittellosigkeit der betroffenen Partei für die Fristversäumung kausal geworden ist (vgl. BGH, Urt. v. 27.10.1965 - IV ZR 229/64, NJW 1966, 203; Beschlüsse v. 24.6.1999 - V ZB 19/99, NJW 1999, 3271; v. 6.5.2008 - VI ZB 16/07, NJW 2008, 2855 Rz. 4). Denn Rechtsmittelfristen werden nur dann schuldlos i.S.v. § 233 ZPO versäumt, wenn eine Partei sich wegen ihrer Mittellosigkeit außerstande sieht, einen Rechtsanwalt mit der Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels zu beauftragen (vgl. BGH Beschl. v. 24.6.1999 - V ZB 19/99, NJW 1999, 3271 m.w.N.). Entscheidend für die Ursächlichkeit der Mittellosigkeit einer Partei für die Versäumung einer Rechtsmittelfrist oder der Frist zu ihrer Begründung ist, ob der Rechtsanwalt bereit war, das Rechtsmittel auch ohne Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe einzulegen und/oder zu begründen (vgl. BGH Beschl. v. 6.5.2008 - VI ZB 16/07, NJW 2008, 2855 Rz. 4). Holt die Partei die Verfahrenshandlung nach Ablauf der dafür vorgesehenen Frist, aber vor der Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch nach, so ist, solange sich nichts Gegenteiliges ergibt, davon auszugehen, dass die Mittellosigkeit für die zunächst unterlassene Verfahrenshandlung und sodann für ihre Verspätung ursächlich geworden ist, wobei es einer Darlegung der Gründe, weshalb das Rechtsmittel nicht schon vor Ablauf der Frist unabhängig von der Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe begründet werden konnte, nicht bedarf (vgl. BGH Beschl. v. 6.5.2008 - VI ZB 16/07, NJW 2008, 2855 Rz. 5 m.w.N.).

Rz. 10

(3) Diese Grundsätze hat das OLG verkannt.

Rz. 11

Das OLG hat nicht ausreichend beachtet, dass ein eventuelles Verschulden der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners für die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist nicht ursächlich geworden ist. Der Antragsgegner hat innerhalb der maßgeblichen Frist des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe und auf Beiordnung seiner erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten gestellt und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den erforderlichen Belegen beim OLG eingereicht. Der Antragsgegner durfte auch darauf vertrauen, dass er die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe erfüllt. Ihm war bereits für das Verfahren vor dem AG Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden und seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hatten sich zwischenzeitlich nicht verbessert.

Rz. 12

Deshalb hätte das OLG zunächst über den Verfahrenskostenhilfeantrag entscheiden und dem Antragsgegner damit ggf. die Möglichkeit einräumen müssen, das Beschwerdeverfahren auf eigene Kosten durch Begründung der Beschwerde durch einen Rechtsanwalt fortzuführen und einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen.

Rz. 13

Dass die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners im Wiedereinsetzungsantrag Ausführungen zur Fristenüberwachung in ihrer Kanzlei gemacht hat, um das Wiedereinsetzungsgesuch zu begründen, lässt nicht den Schluss zu, dass das wirtschaftliche Unvermögen des Antragsgegners für die Fristversäumung nicht ursächlich war. Denn die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners hat die versäumte Verfahrenshandlung (Begründung der Beschwerde) erst nach dem telefonischen Hinweis des OLG und damit nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist nachgeholt. In einem solchen Fall ist, solange sich nichts Gegenteiliges ergibt, davon auszugehen, dass die Mittellosigkeit der Partei für die zunächst unterlassenen Verfahrenshandlung und sodann für ihre Verspätung ursächlich geworden ist. Da es nach der Rechtsprechung des BGH einer Darlegung der Gründe, weshalb das Rechtsmittel nicht schon vor Ablauf der Frist begründet werden konnte, nicht bedarf (vgl. BGH Beschlüsse v. 24.6.1999 - V ZB 19/99, NJW 1999, 3271 m.w.N.; v. 6.5.2008 - VI ZB 16/07, NJW 2008, 2855 Rz. 4 jeweils m.w.N.), ist es unschädlich, dass die Verfahrensbevollmächtigte im Wiedereinsetzungsantrag Ausführungen zur Organisation der Fristenkontrolle in ihrer Kanzlei gemacht hat, die möglicherweise den von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Anforderungen nicht genügt.

Rz. 14

(4) Der Antragsgegner war daher aufgrund seines wirtschaftlichen Unvermögens schuldlos daran gehindert, seine fristgerecht eingelegte Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung rechtzeitig zu begründen.

Rz. 15

3. Dem Antragsgegner ist damit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren, weil auch die weiteren Voraussetzungen hierfür vorliegen. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist beim OLG innerhalb der Frist des § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO eingereicht worden. Die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners hat noch vor der Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag beim OLG Wiedereinsetzung beantragt. Damit ist die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist eingehalten.

Rz. 16

Indem der Antragsgegner in diesem Schriftsatz die Beschwerde in der Sache begründet hat, hat er auch die versäumten Prozesshandlungen innerhalb der Antragsfrist nachgeholt (§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2936688

FamRZ 2012, 705

FuR 2012, 321

NJW-RR 2012, 757

JurBüro 2013, 222

FF 2012, 175

FamFR 2012, 157

FK 2012, 109

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt VerwalterPraxis Gold. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge