BGH: Kinderlärm steht auch in WEGs unter besonderem Schutz

Eine Einrichtung zur Kinderbetreuung in einer als Laden gewidmeten Teileigentumseinheit ist eine zulässige Nutzung. Die Privilegierung von Kinderlärm aus dem Immissionsschutzrecht strahlt auf das Wohnungseigentumsrecht aus. 

Hintergrund: Kita-ähnliche Einrichtung in Laden-Einheit

In einer Teileigentumseinheit im Erdgeschoss einer Wohnungseigentumsanlage in München betreibt ein Verein ein „Eltern-Kind-Zentrum“. Der Verein hat die Teileigentumseinheit, die laut Teilungserklärung als „Laden mit Lager“ genutzt werden darf, angemietet. Die Anlage ist gemischt genutzt. Es sind sowohl Wohnungen vorhanden als auch Teileigentumseinheiten, die als Büros und Läden genutzt werden dürfen.

Das Zentrum ist montags bis freitags tagsüber geöffnet. Vormittags findet ein Kindergarten-Betrieb für Kinder im Alter zwischen 18 und 36 Monaten statt. Nachmittags finden unter anderem verschiedene Spielgruppen statt sowie Deutschkurse für Eltern. Außerdem werden in den Räumlichkeiten unregelmäßige Veranstaltungen wie Faschingsfeiern, Flohmärkte und Vorträge durchgeführt.
Die Eigentümer der über der Teileigentumseinheit gelegenen Wohnung halten die Nutzung für unzulässig und verlangen von dem Verein Unterlassung der Nutzung, hilfsweise, das Abstellen von Kinderwagen und Fahrrädern vor der Tür zu unterlassen und einen bestimmten Lärmpegel nicht zu überschreiten.

Entscheidung: Privilegierung von Kinderlärm schlägt auf WEG durch

Die Unterlassungsklage hat keinen Erfolg. Zur Entscheidung über die Hilfsanträge hat der BGH den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen.

Ein Wohnungseigentümer kann vom Mieter einer anderen Einheit Unterlassung verlangen, wenn dieser die Einheit anders nutzt als in der Teilungserklärung vorgesehen. Das gilt zwar nicht, wenn die tatsächliche Nutzung bei typisierender Betrachtung nicht mehr stört als die erlaubte Nutzung. Geräusche, die von einem Eltern-Kind-Zentrum ausgehen, sind angesichts der dort normalerweise stattfindenden Aktivitäten aber typischerweise lauter und störender als die eines Ladens mit Lager.

Gleichwohl besteht hier kein Unterlassungsanspruch, denn § 22 Abs. 1a Satz 1 BImSchG strahlt auf das Wohnungseigentumsrecht aus. Nach dieser Vorschrift sind Geräuscheinwirkungen, die von Kinderspielplätzen, Kindertagesstätten und ähnlichen Einrichtungen ausgehen, nicht als schädliche Umwelteinwirkung anzusehen. Das ist auch bei der Prüfung zu beachten, ob eine laut Teilungserklärung an sich unzulässige Nutzung dennoch zulässig ist, weil sie nicht mehr stört als eine zulässige Nutzung.

Gesetz will kinderfreundliche Gesellschaft fördern

Um dem gesetzgeberischen Signal für eine kinderfreundliche Gesellschaft zu entsprechen, ist ein weites Verständnis dieser Vorschrift angezeigt. Das Eltern-Kind-Zentrum ist eine Kindertageseinrichtung oder zumindest eine ähnliche Einrichtung im Sinne von § 22 Abs. 1a BImSchG. Dem steht nicht entgegen, dass sich einige Angebote nicht ausschließlich an Kinder richten, sondern den Austausch der Eltern untereinander fördern sollen.

Wenn die durch § 22 Abs. 1a BImSchG privilegierten Geräuscheinwirkungen außer Betracht blieben, gehen bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise die mit dem Betrieb des Eltern-Kind-Zentrums verbundenen Störungen nicht über das hinaus, was beim Betrieb eines Ladens regelmäßig zu erwarten ist. Ein Anspruch, die Nutzung der Teileigentumseinheit als Eltern-Kind-Zentrum zu unterlassen, besteht daher nicht.

Die anderen Wohnungseigentümer können allenfalls die Unterlassung einzelner, besonders störender Handlungsweisen verlangen. Ob und inwieweit solche stattfinden, muss nun die Vorinstanz klären, an die der BGH den Rechtsstreit zurückverwiesen hat.

Nutzung als Kita oder Ähnliches kann von vornherein ausgeschlossen sein

Die Privilegierung des § 22 Abs. 1a BImSchG greift dann nicht, wenn die Nutzung der Einheiten als Kindertagesstätte oder ähnliche Einrichtung ausdrücklich oder konkludent ausgeschlossen ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Anlage nach der Teilungserklärung als sogenanntes Ärztehaus konzipiert ist. Hier widerspräche die Nutzung einer Einheit als Kindertageseinrichtung dem professionellen Charakter einer solchen Anlage.

Keine Kita in Wohnung

§ 22 Abs. 1a BImSchG steht einem Unterlassungsanspruch der Wohnungseigentümer auch dann nicht entgegen, wenn die Nutzung als Kindertageseinrichtung mehr stört als die nach der Zweckbestimmung zulässige. So wird eine Wohneinheit nicht als Kindertageseinrichtung genutzt werden dürfen, weil dies mit erhöhtem Publikumsverkehr einhergeht. Anders kann es wiederum liegen, wenn eine Wohnung zur Kinderbetreuung durch eine Tagesmutter genutzt wird.

(BGH, Urteil v. 13.12.2019, V ZR 203/18)


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