Rückstellungen: Dauerbrenner in der Handelsbilanz
Das Handwerksunternehmen H hatte in seinem Jahresabschluss zum 31.12.01 eine Gewährleistungsrückstellung gebildet. Anlass hierzu gab der Einsturz eines für einen Kunden erstellten Terrassendachs infolge starker Schneefälle im Januar 02. Nach den Feststellungen eines Gutachters entsprach die von H vorgenommene Schneelastberechnung nicht der zugesicherten DIN-Norm.
Finanzamt will Rückstellung nicht anerkennen
Eine klare Angelegenheit, mag man denken. Mit dem Kunden wurde H denn auch rasch einig. Streit gab es mit dem Finanzamt, das die Rückstellung nicht anerkennen wollte. Am Ende musste der BFH entscheiden (vgl. BFH, Beschluss v. 28.8.2018, X B 48/18, BFH/NV 2019, S. 113).
BFH bestätigt Entscheidung
Er hat sich auf die Seite des Finanzamts geschlagen. Auch der Senat sah die Voraussetzungen für die Passivierung einer Rückstellung am 31.12.01 als nicht erfüllt an. Zwar hat die fehlerhafte Konstruktion des Terrassendachs noch im Jahr 01 eine Gewährleistungsverpflichtung entstehen lassen. Das allein reicht für den Ansatz einer Schuld aber nicht aus. Der Verpflichtete muss auch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit einer Inanspruchnahme durch den Geschädigten rechnen müssen. Das hat der BFH verneint. Da der Mangel am 31.12.01 noch nicht zu Tage getreten war, musste H nach der Urteilsbegründung am Abschlussstichtag nicht ernsthaft mit der Geltendmachung von Ansprüchen rechnen.
Fachausschuss für Unternehmensberichterstattung des IDW (FAB) widerspricht BFH
Die Entscheidung hat den Fachausschuss für Unternehmensberichterstattung des IDW (FAB) zum Widerspruch herausgefordert. Nach seinem Credo darf der Ansatz einer Rückstellung für eine privatrechtliche Verpflichtung nicht mit dem Argument unterbleiben, die Inanspruchnahme sei erst wahrscheinlich geworden, nachdem der Gläubiger von seinem Anspruch Kenntnis erlangt hat. Ob eine hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit für die Inanspruchnahme aus einer Außenverpflichtung besteht, soll vielmehr nach dem Kenntnisstand bei Aufstellung des Abschlusses zu beurteilen sein (vgl. IDW, 255. FAB-Sitzung am 21.3.2019).
Rückstellung: Stichtags- und Wertaufhellungsprinzip entscheidend
Wie so oft geht es auch in diesem Rückstellungsstreit um die Auslegung des Stichtags- und Wertaufhellungsprinzips. Folgt man der vorherrschenden Auffassung, beurteilt sich die Frage der Zulässigkeit einer Rückstellung nach den objektiven Verhältnissen am Abschlussstichtag. Zu ihrer Aufklärung sind Erkenntnisse zu berücksichtigen, die dem Abschlussersteller am Tag der Aufstellung des Abschlusses bekannt sind oder bekannt sein müssten (vgl. näher hierzu Kreipl/Müller, Haufe HGB Kommentar, 10. Aufl., § 252 HGB, Rz. 59ff., s. bes. Rz. 64f.). Die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme ist ein Tatbestandsmerkmal des Rückstellungsbegriffs, das am Abschlussstichtag objektiv vorliegen muss. Sein späterer Eintritt wirkt nicht auf den Stichtag zurück. Deshalb erkennt der BFH Rückstellungen für hinterzogene Steuern nur an, wenn der Steuerpflichtige nach dem Geschehensverlauf bis zur Aufstellung des Abschlusses bereits am Abschlussstichtag mit einer Inanspruchnahme rechnen musste.
Es müssen alle Rückstellungsvoraussetzungen erfüllt sein!
Der Urteilsfall enthielt keine Hinweise auf eine bereits am Abschlussstichtag (objektiv) bevorstehende Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen wegen fehlerhafter Schneelastberechnung. Damit waren – wie der BFH zu Recht festgestellt hat – nicht alle Rückstellungsvoraussetzungen erfüllt. Die abweichende Meinung des FAB will die im Januar 02 wahrscheinlich gewordene Inanspruchnahme des H auf den Abschlussstichtag zurückbeziehen. Damit verstößt sie gegen das Stichtagsprinzip.
Handelsbilanz fordert strenge Stichtagsbetrachtung
Nur auf den ersten Blick mag es irritieren, wenn eine Rückstellungsbildung für einen am Abschlussstichtag bestehenden Sachmangel unterbleibt, der sich nur wenige Tage später schlagartig zu einem beachtlichen Schaden auswächst. Bei einer strengen Stichtagsbetrachtung, wie sie die Handelsbilanz fordert, liegt darin nicht zwingend ein Grund zur Beunruhigung.
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