Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn der Revisionsfrist bei Zustellung des FG-Urteils durch Niederlegung; Wirksamkeit der Zustellung an einen Bevollmächtigten

 

Leitsatz (NV)

1. Wird das FG-Urteil durch Niederlegung bei der Postanstalt zugestellt, beginnt die Revisionsfrist mit der Niederlegung zu laufen und nicht erst ab dem Zeitpunkt, zu dem der Zustellungsempfänger das Schriftstück bei der Post abholen kann.

2. Eine auf mehrere einer Kanzlei angehörende Rechtsanwälte ausgestellte Prozeßvollmacht bleibt wirksam, wenn einer der Rechtsanwälte aus der Kanzlei ausscheidet und das Mandat allein weiterführt. Ein Urteil ist diesem Rechtsanwalt auch ohne erneute Vorlage einer Vollmacht zuzustellen.

 

Normenkette

FGO §§ 62, 120

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhoben - vertreten durch die Anwaltskanzlei Dr. A und B - Klage gegen den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -). Die Schriftsätze fertigte im wesentlichen der der Kanzlei angehörende Rechtsanwalt C. Die dem Finanzgericht (FG) vorgelegte Prozeßvollmacht lautete auf die Rechtsanwälte Dr. A, B, C und D.

Mit Schreiben vom 30. September 1988 teilte die Kanzlei Dr. A und B dem FG mit, das Mandat werde niedergelegt. Die Kläger würden künftig von Rechtsanwalt C vertreten, der aus der Kanzlei ausgeschieden sei. Rechtsanwalt C zeigte mit Schreiben vom 14. Oktober 1988 dem FG an, daß er von den Klägern mit der weiteren Prozeßführung beauftragt worden sei. Eine auf ihn lautende Originalvollmacht werde er in Kürze zu den Akten reichen.

Zur mündlichen Verhandlung am 10. November 1988 lud das FG nur Rechtsanwalt C, nicht auch die Kläger persönlich. In der mündlichen Verhandlung trat für die Kläger ein Herr E auf, der eine Untervollmacht von Rechtsanwalt C vorlegte.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Das Urteil stellte es Rechtsanwalt C mit Postzustellungsurkunde (PZU) am Samstag, den 3. Dezember 1988, zu. Laut Angaben in der PZU traf der Postbedienstete Rechtsanwalt C nicht in seiner Wohnung an und legte daher das Urteil beim zuständigen Postamt nieder.

Am 5. Januar 1989 ging beim FG ein Schriftsatz ein, mit dem Rechtsanwalt C im Namen der Kläger Revision gegen das FG-Urteil einlegte. Eine auf ihn lautende, am 17. Oktober 1988 ausgestellte Vollmacht fügte er bei.

Zur Begründung trägt er vor, es liege ein wesentlicher Verfahrensmangel nach § 116 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vor. Die Kläger seien in der mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten gewesen. Da er - der Prozeßbevollmächte - weder vor noch in der mündlichen Verhandlung seine neuerliche Bevollmächtigung durch die Kläger nachgewiesen habe, hätten die Kläger persönlich geladen werden bzw. ihre Klageanträge im Termin zur mündlichen Verhandlung persönlich stellen müssen. Das FG habe bis zur Vorlage einer entsprechenden Vollmacht nicht davon ausgehen dürfen, daß er zur Fortführung des Verfahrens bevollmächtigt gewesen sei.

Auf den Hinweis des Vorsitzenden des X. Senats (zugestellt mit PZU am 2. Februar 1989), daß die Revision verspätet eingegangen sei, beantragte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Eingang des Schriftsatzes am 17. Februar 1989). Er führt aus, das FG-Urteil sei ihm am Samstag, den 3. Dezember 1988, durch Niederlegung zugestellt worden. Er habe es daher erst am Montag, den 5. Dezember 1988, abholen können. Das Urteil sei somit am Montag, den 5. Dezember 1988, bekanntgegeben worden, so daß die Frist für die Einlegung der Revision erst am 5. Januar 1989 abgelaufen sei. Folge man wider Erwarten dieser Auffassung nicht, seien jedenfalls die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegeben.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist wegen Versäumung der Revisionsfrist unzulässig.

Nach § 120 Abs. 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim FG einzulegen. Das FG-Urteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger laut PZU durch Niederlegung am Samstag, den 3. Dezember 1988, zugestellt. Die Revisionsfrist lief somit am Dienstag, den 3. Januar 1989, ab.

Entscheidend für den Beginn der Revisionsfrist ist die Zustellung und nicht - wie der Prozeßbevollmächtigte meint - der Zeitpunkt, zu dem der Zustellungsempfänger tatsächlich von dem Inhalt des Schriftstücks Kenntnis nehmen kann. Mit der Niederlegung bei der Postanstalt am 3. Dezember 1988 war das Urteil zugestellt. Darauf, wann das Schriftstück abgeholt wird, kommt es nicht an (z. B. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. August 1974 I R 78/74, BFHE 113, 270, BStBl II 1975, 18, m. w. N.).

Die Zustellung ist auch nicht deshalb unwirksam, weil das FG-Urteil ausschließlich dem Prozeßbevollmächtigten zugestellt wurde. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, müssen Zustellungen des Gerichts an ihn gerichtet werden (§ 62 Abs. 3 Satz 3 FGO). Es kann dahinstehen, ob ein Bevollmächtigter nur dann im Sinne des Gesetzes bestellt ist, wenn die schriftlich erteilte Vollmacht dem Gericht vor der Zustellung vorliegt (so BFH-Urteil vom 12. August 1981 I B 72/80, BFHE 134, 216, BStBl II 1982, 128), ob auch die nachträgliche Vorlage der Vollmacht ausreicht (so z. B. Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 62 Rdnr. 94) oder ob allein die Anzeige der Bevollmächtigung genügt (so z. B. BFH-Beschluß vom 11. September 1975 V R 95 /75, nicht veröffentlicht, sowie Tipke / Kruse, Abgabenordnung / Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 62 FGO Tz. 18). Denn im Streitfall lag dem FG vor Zustellung des Urteils eine Vollmacht auf die Rechtsanwälte der Kanzlei Dr. A und B vor, in der auch Rechtsanwalt C genannt war. Durch die Anzeige der Kanzlei, daß das Mandat niedergelegt werde und Rechtsanwalt C das Verfahren fortführen werde, verlor die Vollmacht für Rechtsanwalt C ihre Wirkung nicht. Das FG hat daher zu Recht das Urteil Rechtsanwalt C zugestellt, obwohl die von ihm angekündigte neuerliche ,,Original-Vollmacht" noch nicht vorgelegen hatte.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Revisionsfrist kann nicht gewährt werden, da auch der Antrag auf Wiedereinsetzung verspätet ist.

Nach § 56 Abs. 2 FGO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Spätestens durch das Schreiben des Vorsitzenden des X. Senats, das der Postbedienstete laut PZU dem Prozeßbevollmächtigten am Donnerstag, den 2. Februar 1989 persönlich übergeben hatte, erfuhr dieser von der Versäumung der Revisionsfrist. Der Antrag auf Wiedereinsetzung hätte daher bis Donnerstag, den 16. Februar 1989, beim BFH eingehen müssen. Er gelangte jedoch erst am 17. Februar 1989 zum BFH.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416350

BFH/NV 1989, 652

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