Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Ersatzzustellung bei Identität von Wohn- und Geschäftsanschrift und zum Nachweis des Zustellungsvorgangs

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Ersatzzustellung durch Niederlegung bei einer Postanstalt (§ 182 ZPO) ist bei einer Zustellung im Geschäftslokal nicht zulässig (§ 183 ZPO).

2. Der Postbedienstete kann in Fällen, in denen sich die Wohn- und Geschäftsanschrift decken, wählen, ob er in der Wohnung - mit Ersatzzustellung nach § 182 ZPO - oder im Geschäftslokal - mit Ersatzzustellung nach § 183 ZPO an einen darin anwesenden Gewerbegehilfen - zustellen will.

3. Der Beweis für den beurkundeten Zustellungsvorgang aufgrund der Postzustellungsurkunde als öffentlicher Urkunde i. S. von § 418 Abs. 1 ZPO kann nicht durch die bloße Behauptung des Prozeßbevollmächtigten, mangels schriftlicher Benachrichtigung über die Niederlegung keine Kenntnis von der Zustellung erlangt zu haben, entkräftet werden. Hierzu ist es erforderlich, einen anderen Geschehensablauf substantiiert darzulegen und zu beweisen.

 

Normenkette

FGO §§ 53-54, 56, 115 Abs. 3, § 155; ZPO § 85 Abs. 2, §§ 180-183, 222 Abs. 1, § 418 Abs. 1; BGB § 187 Abs. 1, § 188; VwZG § 3 Abs. 3

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage gegen die Einkommensteuerbescheide 1981 bis 1983 durch Urteil vom 7. Dezember 1989 als unbegründet abgewiesen.

Das Urteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) am 20. Januar 1990 im Wege der Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Post zugestellt. Ausweislich der Postzustellungsurkunde (PZU) hatte der Postbedienstete in der Wohnung des Prozeßbevollmächtigten, die damals zugleich seine Geschäftsanschrift war, niemanden angetroffen und eine Benachrichtigung über die Niederlegung in den Hausbriefkasten eingelegt.

Mit Schriftsatz vom 3. April 1990 teilte der Prozeßbevollmächtigte dem FG mit: ,,In Sachen . . . erfuhr ich bei einem Gespräch mit dem beklagten Finanzamt (FA) zufällig, daß das Urteil bereits seit Januar 1990 vorliegt. Weder mir noch meinen Mandanten ist das Urteil bisher zugestellt worden. Ich bitte um Prüfung und Zustellung des Urteils."

In den Akten des FG befindet sich ein handschriftlicher Aktenvermerk über ein Telefongespräch der zuständigen Geschäftsstelle des FG mit dem Büro des Prozeßbevollmächtigten vom 17. April 1990 mit folgendem Inhalt: ,,Dr. . . . will Wiedereinsetzung beantragen, der hat Urteil nicht erhalten. Habe heute telef. mitgeteilt, daß Urteil niedergelegt worden sei. Schr. v. 3. 4. 90 sei somit gegenstandslos."

Mit Schriftsatz vom 24. April 1990 - beim FG eingegangen am 27. April 1990 - beantragte der Prozeßbevollmächtigte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision. Er habe erst auf telefonische Anfrage am 19. April 1990 durch eine Richterin am FG erfahren, daß das Urteil bereits durch Niederlegung zugestellt worden sei. Weder er noch seine Sekretärin hätten bis zum 19. April 1990 in irgendeiner Form Kenntnis von der Zustellung des Urteils bzw. von dem Urteil selber erlangt. Er habe am 23. April 1990 das Urteil persönlich beim Postamt ausgehändigt bekommen.

Am 2. Mai 1990 legte der Prozeßbevollmächtigte für die Kläger Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ein.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde der Kläger ist unzulässig. Denn sie haben die Beschwerdefrist nicht eingehalten; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann ihnen nicht gewährt werden.

1. Nach § 115 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils angefochten werden. Diese Frist ist mit Ablauf des 20. Februar 1990 verstrichen, nachdem sie am 20. Januar zu laufen begonnen hatte (§ 54 FGO, § 222 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -); denn am 20. Januar 1990 ist dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger das Urteil im Wege der Ersatzzustellung wirksam zugestellt worden. Die Beschwerde ist verspätet erst am 2. Mai 1990 beim FG eingegangen.

Die Zustellung durch Niederlegung bei einer Postanstalt war zulässig und daher wirksam (§ 53 FGO, § 3 Abs. 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG -, § 182 ZPO). Eine Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung oder im Haus (§§ 180, 181 ZPO) war nicht möglich. Der Postbedienstete traf ausweislich der PZU unter der Wohnanschrift des Prozeßbevollmächtigten niemanden an.

Der Wirksamkeit der Zustellung steht nicht entgegen, daß der Prozeßbevollmächtigte am 20. Januar 1990 unter seiner Wohnanschrift auch sein Geschäftslokal unterhielt. Zwar ist eine Ersatzzustellung durch Niederlegung (§ 182 ZPO) bei Zustellung im Geschäftslokal nicht zulässig (§ 183 ZPO); doch kann der Postbedienstete in Fällen, in denen sich Wohn- und Geschäftsanschrift decken, wählen, ob er in der Wohnung - mit Ersatzzustellung nach § 182 ZPO - oder im Geschäftslokal - mit Ersatzzustellung nach § 183 ZPO - zustellen will (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Mai 1975 IV R 100/71, BFHE 116, 90, BStBl II 1975, 791, und vom 29. April 1987 I R 131/84, nicht veröffentlicht - NV -; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 9. Oktober 1973 V C 110/72, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1974, 337; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 50. Aufl., § 183 Anm. 1).

Demnach war die Ersatzzustellung im Streitfall wirksam vollzogen worden. Ausweislich der PZU vom 20. Januar 1990 warf der Postbedienstete eine schriftliche Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung in den Hausbriefkasten des Prozeßbevollmächtigten ein. Sodann legte er das zuzustellende Urteil beim Postamt nieder.

Der Beweis für den beurkundeten Zustellungsvorgang aufgrund der PZU als öffentlicher Urkunde i. S. von § 418 Abs. 1 ZPO kann durch die bloße Behauptung des Prozeßbevollmächtigten, keine Kenntnis von der Zustellung des Urteils vor dem 19. April 1990 erlangt zu haben, nicht entkräftet werden. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, einen anderen Geschehensablauf substantiiert darzulegen und zu beweisen (BFH-Beschluß vom 27. Januar 1988 VII B 165/87, BFH/NV 1988, 790).

2. Den Klägern kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen Versäumung der Beschwerdefrist gewährt werden. Aus dem Vorbringen des Prozeßbevollmächtigten läßt sich nicht entnehmen, daß er ohne ein Verschulden, das die Kläger sich nach § 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssen, verhindert war, fristgerecht Beschwerde einzulegen.

Muß nach den vorstehenden Ausführungen davon ausgegangen werden, daß die Mitteilung über die Niederlegung dem Prozeßbevollmächtigten zugegangen war, so folgt daraus, daß er aufgrund dessen die Möglichkeit hatte, von der Zustellung des Urteils durch Niederlegung Kenntnis zu nehmen (BFH-Urteil in BFH/NV 1988, 790). Er hat nichts dafür vorgetragen, daß er die Mitteilung - trotz Einwurfs in seinen Briefkasten - ohne Verschulden nicht zur Kenntnis bekommen haben könnte. Die bloße Behauptung, trotz täglicher Leerung des Briefkastens keine Kenntnis von der Zustellung des Urteils erhalten zu haben, genügt in einem solchen Fall nicht.

Bei dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen werden, der Prozeßbevollmächtigte habe die Umstände nicht zu vertreten, die dazu führten, daß er - wie er behauptet - keine Mitteilung vorfand.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418316

BFH/NV 1992, 755

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