Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an eine Revisionsbegründung; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Leitsatz (NV)

1. Die Revisionsbegründung muß aus sich heraus erkennen lassen, daß der Revisionskläger anhand der Gründe des finanzgerichtlichen Urteils sein bisheriges Vorbringen überprüft hat.

2. Eine Fristversäumnis ist als entschuldigt anzusehen, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte.

3. Der Prozeßbevollmächtigte muß, wenn ihm auf Grund eines Unfalls seines Mandanten nicht alle Informationen rechtzeitig zur Verfügung stehen, die Revisionsbegründung entweder anhand der zur Verfügung stehenden Informationen fertigen oder einen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründung stellen. Nicht vereinbar mit den Sorgfaltspflichten zur Wahrung der Revisionsbegründungsfrist ist es, wenn der Prozeßbevollmächtigte weder das eine noch das andere tut.

 

Normenkette

FGO § 120 Abs. 1-2, §§ 56, 155; ZPO § 85 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren 1971 und 1972 an der ehemaligen Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Fritz M. / X GmbH beteiligt, für die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) mit Bescheiden vom 1. Februar 1979 erklärungsgemäß Verluste in Höhe von 42 055 DM und 241 396 DM feststellte und dem Kläger zurechnete.

Aufgrund einer Außenprüfung erließ das FA am 20. August 1982 auf § 179 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützte Ergänzungsbescheide, in denen es die Nichtordnungsmäßigkeit der Buchführung der GbR in den Jahren 1971 und 1972 feststellte.

Der Kläger ist der Auffassung, daß die angefochtenen Bescheide rechtswidrig seien und ihn in seinen Rechten verletzten. Die Feststellungsfristen für die Ergänzungsbescheide seien Ende 1979 und Ende 1980 abgelaufen. Eine wirksame Festsetzung sei mit Bekanntgabe am 23. August 1982 nicht möglich gewesen; die Bescheide seien nichtig.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) führt aus, das FA sei durch Verfahrensrecht nicht gehindert gewesen, die Nichtordnungsmäßigkeit der Buchführung im Wege der Ergänzungsfeststellungsbescheide festzustellen. Entgegen der Auffassung des Klägers sei eine Feststellungsverjährung nicht eingetreten, denn die Vorschrift des § 181 Abs. 1 AO 1977, von der der Kläger offenbar ausgehe, sei im Streitfall nicht anwendbar. Die Feststellungsverjährungsfrist richte sich nämlich gemäß Art. 97 § 10 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) nach dem Recht der Reichsabgabenordnung (AO). Diesem sei eine - dem § 181 Abs. 1 AO 1977 entsprechende - Feststellungsfrist jedoch fremd gewesen; vielmehr habe - wie im Streitfall zutreffend geschehen - eine einheitliche Gewinnfeststellung und somit ihre Ergänzung erfolgen können, solange noch nicht alle von ihr abhängigen Steueransprüche verjährt gewesen seien. Die Ergänzungsfeststellungsbescheide hätten zwar nicht auf § 179 Abs. 3 AO 1977, sondern auf § 216 Abs. 2 AO gestützt werden müssen. Doch sei die falsche Bezeichnung unschädlich, da die Ergänzungsbefugnis aufgrund beider Vorschriften inhaltlich übereinstimme.

Der Kläger hat gegen die Entscheidung des FG fristgerecht Revision eingelegt. In der Revisionsschrift führt er aus:

,,Es wird die unrichtige Anwendung der §§ 180 und 214 AO gerügt, wonach keine Besteuerungsgrundlagen mehr festgestellt werden dürften, wenn sämtliche abhängigen Steuern verjährt waren. Ferner wird die Verwertung der Betriebsprüfungsergebnisse für die Kalenderjahre 1971 und 1972 für unzulässig gehalten.

Eine ausführliche Begründung folgt."

Die angekündigte Begründung ist mit Schriftsatz vom 5. November 1984 erfolgt, der am 6. November 1984 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen ist.

Durch Schreiben des Senatsvorsitzenden wurde der Kläger darauf hingewiesen, daß die Begründung der Revision verspätet beim BFH eingegangen sei, da die Revisionsbegründungsfrist bereits am 27. September 1984 abgelaufen sei.

Der Kläger beantragte daraufhin, ihm gemäß § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung führt er aus, er habe gemeinsam mit seiner Ehefrau am 11. April 1980 auf einer Geschäftsreise unverschuldet einen schweren Verkehrsunfall erlitten, der sie beide 1 1/2 Jahre an das Krankenhaus gefesselt habe. Der Unfall habe bei ihm eine Dauergehbehinderung und eine Erblindung des rechten Auges zur Folge gehabt, bei seiner Frau Dauerschäden in Form von starker Gehbehinderung, Hüftverschiebung, Lähmung eines Arms. Aufgrund der vorzustreckenden Krankenhauskosten, um deren Erstattung noch prozessiert werde, sei er völlig mittellos. Er sei arbeitslos und lebe von der Arbeitslosenhilfe. Die Beschaffung von Informationen im gesamten Rechtsstreit sei mit großen Schwierigkeiten verbunden gewesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das FG-Urteil und die Ergänzungsfeststellungsbescheide aufzuheben.

Das FA hat keinen förmlichen Antrag gestellt. Es hält den Wiedereinsetzungsantrag nicht für begründet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Revision oder Revisionsbegründung müssen einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO).

Die Begründung der Revision ist erst nach Ablauf der Begründungsfrist beim BFH eingegangen. Die bei Einlegung der Revision gemachten Ausführungen entsprechen nicht den an eine Revisionsbegründung zu stellenden Anforderungen.

Die Begründung der Revision erfordert, daß der Revisionskläger darlegt, weshalb er dem angefochtenen Urteil nicht zustimmen kann. Dazu bedarf es wenigstens einer kurzen Auseinandersetzung mit den Gründen, auf denen die angefochtene Entscheidung beruht. Die Revisionsbegründung muß aus sich heraus erkennen lassen, daß der Revisionskläger anhand der Gründe des finanzgerichtlichen Urteils sein bisheriges Vorbringen überprüft hat (BFH-Beschlüsse vom 25. Oktober 1973 V R 38/72, BFHE 110, 324, BStBl II 1974, 13; vom 12. Januar 1977 I R 134/76, BFHE 121, 19, BStBl II 1977, 217; vom 21. November 1985 VI R 185/82, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 1986, 414).

Diese Voraussetzungen sind bei den Ausführungen in der Revisionsschrift, wovon offenbar auch der Kläger ausgeht, nicht gegeben. Der Hinweis, daß die Verwertung der Betriebsprüfungsergebnisse für die Jahre 1971 und 1972 für unzulässig gehalten wird und daß keine Besteuerungsgrundlagen mehr festgestellt werden dürften, wenn sämtliche abhängige Steuern verjährt seien, ist im wesentlichen eine Wiederholung des Vorbringens vor dem FG. Die Ausführungen können nicht als hinreichende Auseinandersetzung mit den Gründen, auf denen die angefochtene Entscheidung beruht, gewertet werden.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann dem Kläger nicht gewährt werden. Die Wiedereinsetzung ist nach § 56 Abs. 1 FGO nur möglich, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist - hierzu gehört die Revisionsbegründungsfrist - einzuhalten. Das Verschulden eines Bevollmächtigten steht dem Verschulden des Vertretenen gleich (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung).

Eine Fristversäumnis ist als entschuldigt anzusehen, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte. Dabei dürfen unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Garantien eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) keine überhöhten Anforderungen daran gestellt werden, was der Betroffene zu veranlassen und vorzubringen hat, um nach einer Fristversäumung die Wiedereinsetzung zu erhalten (BFH-Urteil vom 8. Oktober 1981 IV R 108/81, BFHE 134, 388, BStBl II 1982, 165, mit Rechtsprechungsnachweisen; BFH-Beschluß vom 8. Mai 1985 I R 20/85, BFH/NV 1986, 293).

Gründe, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen können, sind nicht gegeben. Der Kläger ist in der Rechtsmittelbelehrung des finanzgerichtlichen Urteils zutreffend auf die Frist für die Einlegung der Revision hingewiesen worden und auch darauf, wann die Revision zu begründen ist. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers ist verpflichtet, ein Fristenkontrollbuch zu führen, in dem die Frist für die Revisionsbegründung zu vermerken war. Ein Fristenkontrollbuch oder eine vergleichbare Einrichtung ist Voraussetzung einer ordnungsmäßigen Büroorganisation zur Wahrung von Ausschlußfristen (BFH-Urteil vom 9. Mai 1961 I 237/60 S, BFHE 73, 491, BStBl III 1961, 445). Eine Fristnotierung darf frühestens dann gelöscht werden, wenn die Rechtsmittelschrift unterzeichnet und postfertig gemacht worden ist (BFH-Beschluß vom 7. Dezember 1982 VIII R 77/79, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229, m. w. N.).

Die Sorgfaltspflicht zur Wahrung der Revisionsbegründungsfrist ist im Streitfall nicht in ausreichendem Maß beachtet worden.

Standen aufgrund des Unfalls des Klägers und seiner Ehefrau für die Revisionsbegründung nicht alle Informationen rechtzeitig zur Verfügung, so hätte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die Revisionsbegründung entweder anhand der zur Verfügung stehenden Informationen fertigen oder, was wahrscheinlich zweckmäßiger gewesen wäre, einen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist stellen müssen. Die Frist für die Revisionsbegründung kann nach § 120 Abs. 1 Satz 2 FGO auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag durch den Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH verlängert werden. Nicht vereinbar mit den Sorgfaltspflichten zur Wahrung der Revisionsbegründungsfrist war es, daß der Prozeßbevollmächtigte weder das eine noch das andere tat, sondern die Revisionsbegründungsfrist einfach verstreichen ließ.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414711

BFH/NV 1987, 170

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