Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Leitsatz (NV)

Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist, wenn der Prozeßbevollmächtigte vorträgt, seine nicht postulationsfähige Mitarbeiterin habe bei Stellung eines Antrags am 8. Februar 1985 auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist nicht gewußt, daß das BFHEntlG über den 31. Dezember 1984 hinaus verlängert werde.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 120; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine inländische GmbH - begehrte bei der Körperschaftsteuerveranlagung 1979 die Berücksichtigung eines Verlustes. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA) lehnte das ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin - einem Steuerberater - am 10. Dezember 1984 durch die Post mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden. Die Rechtsmittelbelehrung des finanzgerichtlichen Urteils enthält insbesondere die Angaben, daß gegen die Entscheidung Revision eingelegt werden kann, wenn der Streitwert 10 000 DM übersteigt, die Revision innerhalb eines Monats beim FG schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen ist, vor dem Bundesfinanzhof (BFH) Vertretungszwang herrscht (Vertretung durch Rechtsanwälte, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigte). Aus einer Anmerkung zu der Überschrift ,,Rechtsmittelbelehrung" geht hervor, daß diese unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 4. August 1980 (BGBl I 1980, 1147, BStBl I 1980, 462) ergeht.

Die Klägerin hat gegen das Urteil des FG mit Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten vom 28. Dezember 1984, der am 31. Dezember 1984 bei diesem Gericht einging, Revision eingelegt. Die Begründung und Stellung der Revisionsanträge hat der Prozeßbevollmächtigte einem besonderen Schriftsatz vorbehalten. Am 8. Februar 1985 ging aus der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten ein mit ,,i. A. M." handschriftlich unterzeichneter Antrag vom 6. Februar 1985 auf Verlängerung der am 11. Februar 1985 ablaufenden Revisionsbegründungsfrist ein. Die vom Prozeßbevollmächtigten persönlich unterzeichnete Revisionsbegründungsschrift wurde am 14. Februar 1985 beim BFH eingereicht. Auf die Anfrage der Geschäftsstelle des erkennenden Senats, ob der Unterzeichner des Fristverlängerungsantrags vom 6. Februar 1985 zu den vertretungsberechtigten Personen i. S. des Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG gehöre, antwortete der Prozeßbevollmächtigte, bei der Unterzeichnerin handle es sich um die seit 1976 in seinen Diensten stehende Angestellte, Diplom-Finanzwirtin M., Sachbearbeiterin für Körperschaften und Personengesellschaften. In dieser Eigenschaft sei sie auch Sachbearbeiterin des Rechtsmittels der Klägerin. Frau M. gehöre nicht zu dem in Art. 1 Nr. 1 Satz 1 BFHEntlG genannten Personenkreis.

Der Prozeßbevollmächtigte führt namens der Klägerin weiter aus, in der Rechtsmittelbelehrung habe sich das FG auf das BFHEntlG in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 4. August 1980 bezogen. Danach sei die Geltungsdauer des Entlastungsgesetzes bis zum 31. Dezember 1984 beschränkt gewesen. Im Zeitpunkt der Zustellung des FG-Urteils - am 10. Dezember 1984 - sei nicht abzusehen gewesen, ob die Geltungsdauer des BFHEntlG über den 31. Dezember 1984 hinaus angeordnet werde. Nach Einlegung der Revision habe er daher die erwähnte Angestellte beauftragt, die Revision fristgerecht zu begründen. Seit dem 15. Januar 1985 und bis 12. Februar 1985 sei er bettlägrig an fiebriger Grippe erkrankt gewesen. Ärztliches Attest sei beigefügt. Mit seiner Vertretung sei die ebenfalls in seinen Diensten stehende Steuerberaterin beauftragt gewesen. Zu Beginn seiner Erkrankung sei von dem Gesetz über die Verlängerung des BFHEntlG und den damit im Zusammenhang stehenden Vertretungszwang noch nichts bekannt gewesen. Erst ausweislich der Nr. 1 des BStBl von 1985 mit Datum vom 21. Januar 1985 sei allgemein bekannt geworden, daß das BFHEntlG bis 31. Dezember 1987 anzuwenden sei. Hiernach könne die Rechtsmittelbelehrung nicht als einwandfrei ergangen bezeichnet werden. Sie habe unter der Bedingung gestanden, daß die Geltungsdauer des BFHEntlG verlängert werde. Rechtsmittelbelehrungen seien aber bedingungsfeindlich. Die Angestellte M. habe sich deshalb nicht an seine - des Prozeßbevollmächtigten - Vertreterin (Frau G.) wegen des Antrags auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist gewandt, weil sie sich an die Rechtsmittelbelehrung gehalten habe, nach der der Vertretungszwang Ende 1984 ausgelaufen sei. Das habe die Angestellte M. in einer eidesstattlichen Versicherung bestätigt. Unabhängig hiervon treffe ihn als den Prozeßbevollmächtigten kein Verschulden an der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist. Das Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) solle ,,unbilligen Härten des Fristablaufs" abhelfen. Der Angestellten M. als seiner erfahrenen Gehilfin sei ein Verschulden an der Fristveräumnis nicht anzulasten; diese habe alle Sorgfalt darauf verwandt, das Ende der Revisionsbegründungsfrist zu klären.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen.

1. Die Klägerin hat die Revisionsbegründungsfrist nicht gewahrt. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision bei dem FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Diese Fristen beginnen nur zu laufen, wenn - worauf es im Streifall ankommt - das Urteil des FG eine ordnungsmäßige Rechtsmittelbelehrung enthalten hat (§ 55 Abs. 1 i.V.m. § 105 Abs. 2 Nr. 6 FGO). Während der Geltungsdauer des BFHEntlG muß darüber belehrt werden, daß die Revision - abgesehen von der Möglichkeit der Revision aus den Gründen des § 116 FGO und den in Art. 1 Nr. 5 BFHEntlG genannten Ausnahmefällen - ohne Zulassung nur stattfindet, wenn der Wert des Streitgegenstandes 10 000 DM übersteigt, und daß sich vor dem BFH jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer - Behörden durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt - vertreten lassen muß. Die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils enthält die für eine ordnungsmäßige Rechtsmittelbelehrung erforderlichen Angaben.

Die Klägerin meint, das FG habe sich in der Rechtsmittelbelehrung auf das BFHEntlG in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 4. August 1980 (BGBl I 1980, 1147, BStBl I 1980, 462) bezogen, das die Geltungsdauer des BFHEntlG über den 31. Dezember 1980 nur bis zum 31. Dezember 1984 verlängert habe, und daß im Zeitpunkt der Zustellung (10. Dezember 1984) noch nicht abzusehen gewesen sei, ob und wann die Geltungsdauer des Entlastungsgesetzes über den 31. Dezember 1984 hinaus nochmals verlängert werde.

Der Hinweis auf die mögliche nochmalige Verlängerung der Geltungsdauer des Entlastungsgesetzes hat nicht zu einer ordnungsmäßigen Rechtsmittelbelehrung gehört. Das zweite Gesetz zur Änderung des BFHEntlG ist erst einige Tage nach Zustellung des finanzgerichtlichen Urteils ergangen. Es ist unter dem 14. Dezember 1984 ausgefertigt und in der Nr. 52 des BGBl vom 18. Dezember 1984 ausgefertigt und in der Nr. 52 des BGBl vom 18. Dezember 1984 in Teil I S. 1514 verkündet worden. Das FG konnte daher dieses Gesetz unter genauer Angabe des Inkrafttretens und der Fundstellen nicht bezeichnen. Da das zweite Änderungsgesetz außer der Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes keine sachliche Änderung gebracht hat, erweist sich die Rechtsmittelbelehrung auch nach Ergehen des Änderungsgesetzes als zutreffend. Sie war entgegen der Auffassung der Klägerin nicht an eine - echte - Bedingung geknüpft.

Hieraus folgt, daß die Revisionsfrist mit der Zustellung des finanzgerichtlichen Urteils am 10. Dezember 1984 zu laufen begonnen hat. Der Revisionsfrist hat sich die Revisionsbegründungsfrist angeschlossen, die im Streitfall am Montag, dem 11. Februar 1985, abgelaufen ist. Die Revisionsbegründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag verlängert werden. Ein solcher Antrag ist zwar rechtzeitig eingegangen, aber nicht von einer nach Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG postulationsfähigen Person unterzeichnet und damit nicht wirksam gestellt worden (BFH-Beschluß vom 20. Oktober 1982 I R 61/82, BFHE 136, 575, BStBl II 1983, 134). Eine Verlängerung der Frist zur Begründung der Revision war daher nicht möglich. Sie ist mit Schreiben des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 1. März 1985 abgelehnt worden. Die Revisionsbegründungsfrist ist daher um drei Tage überschritten.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann der Klägerin nicht gewährt werden. Die Wiedereinsetzung ist nach § 56 Abs. 1 FGO nur möglich, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist - hierzu gehört die Revisionsbegründungsfrist - einzuhalten. Das Verschulden eines Bevollmächtigten steht dem Verschulden des Vertretenen gleich (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).

Eine Fristversäumnis ist als entschuldigt anzusehen, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte, wobei unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Garantien eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) keine überhöhten Anforderungen daran gestellt werden dürfen, was der Betroffene veranlaßt haben und vorbringen muß, um nach einer Fristversäumung die Wiedereinsetzung zu erhalten (BFH-Urteil vom 8. Oktober 1981 IV R 108/81, BFHE 134, 388, BStBl II 1982, 165, mit Rechtsprechungsnachweisen).

Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin kann sich nicht dadurch entschuldigen, er habe zu Beginn seiner Erkrankung (15. Januar 1985) nicht gewußt, daß die Geltungsdauer des BFHEntlG durch das Änderungsgesetz vom 14. Dezember 1984 verlängert worden sei; dieses Gesetz sei erst mit Erscheinen der Nr. 1 des BStBl vom 21. Januar 1985 allgemein bekannt geworden. Dem ist entgegenzuhalten, daß das Änderungsgesetz vom 14. Dezember 1984 schon in der Nr. 52 des BGBl 1984 Teil I vom 18. Dezember 1984 verkündet worden ist. Das BGBl und nicht das BStBl ist das maßgebliche Organ, in dem Bundesgesetze verkündet werden (Art. 82 GG). Auf die voraussichtliche - nochmalige - Verlängerung der Geltungsdauer des BFHEntlG ist im Fachschrifttum wiederholt hingewiesen worden. So findet sich z. B. in der Zeitschrift ,,Deutsches Steuerrecht" - dem Organ der Steuerberaterkammer - vom 5. Oktober 1984 (Heft 19, S. 573) die Notiz, daß das BFHEntlG bis zum 31. Dezember 1987 verlängert werde; Einwendungen des Bundesrates seien nicht zu erwarten. In der Deutschen Steuer-Zeitung/Ausgabe A 1984 vom 15. Dezember 1984 steht auf S. 598 unter ,,Steuerrecht aktuell", daß Bundestag und Bundesrat inzwischen dem Zweiten Gesetz zur Änderung des BFHEntlG zugestimmt hätten und damit die Geltungsdauer des Entlastungsgesetzes über den 31. Dezember 1984 hinaus bis zum 31. Dezember 1987 ausgedehnt werde. Von einem Steuerberater als Prozeßbevollmächtigten muß erwartet werden, daß er die verfahrensrechtliche Lage sorgfältig prüft (BFH-Beschluß vom 10. August 1977 II R 89/77, BFHE 123, 14, BStBl II 1977, 769). Die Unkenntnis oder das Übersehen einer unzweifelhaften prozessualen Rechtslage begründet gegen ihn den Vorwurf des Verschuldens (vgl. Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 18. Oktober 1978 IV ZB 62/78, Versicherungsrecht 1978, 1169). Das gilt im Streitfall um so mehr, als die Rechtslage in der Rechtsmittelbelehrung des finanzgerichtlichen Urteils eindeutig und klar wiedergegeben war.

Ein Wiedereinsetzungsgrund ist nicht daraus herzuleiten, daß die Sachbearbeiterin, der nach dem Vortrag der Klägerin im Büro des Prozeßbevollmächtigten die Bearbeitung der Sache übertragen worden war, der Meinung war, das BFHEntlG sei nicht über den 31. Dezember 1984 hinaus verlängert worden und sie könne nunmehr in eigener Person einen Fristverlängerungsantrag stellen. Der Prozeßbevollmächtigte hat nicht vorgetragen, wie sein Büro organisiert war, damit vermieden werden konnte, daß eine nicht postulationsfähige Mitarbeiterin Anträge stellt. Es fehlt insbesondere jede Angabe, welche Anweisungen gegeben worden sind, welche der für die Gerichte bestimmten Schriftsätze von der den Fall bearbeitenden Hilfskraft dem Praxisinhaber oder dessen Vertreter vorzulegen sind. Aus dem Vorbringen des Prozeßbevollmächtigten läßt sich entnehmen, daß keine derartige Vorkehrungen getroffen worden waren und daß es der fachlich ausgebildeten Mitarbeiterin, die aber noch nicht als Steuerberaterin zugelassen war, selbst überlassen blieb, aufgrund eigener Prüfung zu entscheiden, ob sie ein an den BFH gerichtetes Schreiben - hier den Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist - dem Prozeßbevollmächtigten bzw. im Krankheitsfall dessen zum Auftreten vor dem BFH ebenfalls befähigten Vertreter vorlegt. Hieraus folgt, daß die Fristversäumung auch auf einem Organisationsmangel beruht hat, dessen Nichtbeseitigung dem Prozeßbevollmächtigten ebenfalls als - eigenes - Verschulden zuzurechnen ist.

3. Da die Revision nicht fristgerecht begründet worden ist, erweist sie sich als unzulässig (§ 124 FGO). Sie ist daher durch Beschluß zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 413967

BFH/NV 1986, 293

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