Der „Wheelie“ auf dem Betriebsweg - Schutz der Unfallversicherung ja oder nein?


Wheelie auf dem Betriebsweg: Schutz der Unfallversicherung?

Ob ein Wheelie, den ein Baustellenleiter auf dem Weg zu seiner Baustelle, durchführt im Falle eines Unfalls ein Arbeitsunfall ist, geht zu Lasten der Berufsgenossenschaft, wenn sich nicht eindeutig nachweisen lässt, dass dieser stattgefunden hat - so das LSG Hamburg in einer aktuellen Entscheidung.

Der Fall: Wheelie oder nicht?

Der 1978 geborene Kläger ist als Bauleiter beschäftigt. Am 15.05.2018 gegen 12 Uhr war er mit seinem Motorrad auf dem Weg vom Büro zu einer nahegelegenen Baustelle unterwegs, als er die Kontrolle über das Motorrad verlor und stürzte. Hierbei zog er sich u.a. einen offenen Bruch am linken Unterschenkel zu. Die Unfallanzeige sagt aus, der Kläger sei beim Schaltvorgang mit der linken Hand von der Kupplung abgerutscht. Unabhängig voneinander haben drei Zeugen mitgeteilt, dass der Kläger das Motorrad unmittelbar vor dem Unfall stark beschleunigt und zu einem sog. Wheelie angesetzt habe. Er fuhr einige Zeit auf dem Hinterrad. Als er dann mit dem Vorderrad wieder aufsetzte, geriet er ins Schleudern und kam von der Fahrbahn ab. Er prallte seitlich gegen eine Fahrbahnbegrenzung und schleuderte anschließend gegen ein mobiles Verkehrszeichen.

Die beklagte Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Es fehle am inneren Sachzusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Das Fahren auf nur einem Reifen (dem Hinterrad) diente ausschließlich der eigenen Befriedigung, sowie sonstigen persönlichen Motiven.

Das SG gab nach Einvernahme von drei Zeugen der BG Recht (Urteil vom 04.09.2020, Az. S 40 U 50/19): Das Fahren eines Motorrads auf dem Hinterrad (sog „Wheelie) stelle eine unversicherte konkurrierende Ursache dar. Imponiergehabe oder leichtsinniger Übermut drängen den ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit so weit in den Hintergrund, dass allein rechtlich-wesentlich die eigenwirtschaftliche Motivation und nicht die versicherte Wirkursache dem Unfallgeschehen sein wesentliches Gepräge gibt.

Dagegen legte der Kläger Berufung ein.

LSG: Zweifel am Hergang gehen zu Lasten der BG

Das LSG Hamburg (Urteil vom 04.05.2022, Az. L 2 U 32/21) setzte sich intensiv mit der Entscheidung auseinander. Es bejahte das Vorliegen eines - grundsätzlich versicherten - Betriebsweges, kam aber hinsichtlich des tatsächlichen Geschehens zu einem anderen Schluss. Die Aussagen der Zeugen, auf denen die Einschätzung des SG in erster Instanz beruhten, seien nicht eindeutig.

Das LSG kommt zu folgendem Schluss: „Aufgrund der sehr unterschiedlichen Angaben zur Länge des Fahrens auf dem Hinterrad, vermag der Senat hieraus auch keinen Rückschluss darauf zu ziehen, dass es sich um einen absichtlichen Wheelie gehandelt hat. Andererseits sieht es der Senat auch nicht als erwiesen an, dass der Kläger keinen Wheelie gefahren ist. Denn auch ein Fahrfehler konnte von den Zeugen nicht beobachtet werden. Eine erneute Zeugenvernehmung war nicht erforderlich, da der Senat nicht an der Glaubwürdigkeit der Zeugen zweifelt. Vielmehr ist der entscheidende Moment von ihnen nicht beobachtet worden. Zudem dürfte es aufgrund der immer länger zurückliegenden Zeit eher schwierig sein, sich an alle Einzelheiten, wie zum Beispiel die auf dem Hinterrad zurückgelegte Distanz, zu erinnern.“

Die bloße Möglichkeit einer Mitursache sei jedoch nicht ausreichend, sondern sie müsse erwiesen sein. Die Beweislast gehe hier nach den allgemeinen Regeln zu Lasten der beklagten BG, da für sie das Vorliegen einer Mitursache günstig wäre.

Insofern liege ein Arbeitsunfall vor.

Wichtig für die Praxis

Der Fall ist ein sehr typisches Beispiel dafür, dass es auch in vermeintlich wenig aussichtsreichen Fällen sinnvoll sein kann, die Entscheidung der BG oder auch des Sozialgerichts hinsichtlich des Vorliegens eines Arbeitsunfalles nicht einfach hinzunehmen. Das Interesse der BG, nicht eindeutige Fälle schnell „auszusteuern“, liegt auf der Hand. Es kann aber durchaus richtig sein, dass eine Rückführung auf die zentrale (Rechts-)Frage, wie hier („Wer hat die Beweislast in zweifelhaften Fällen?“), letztlich doch zu einer Leistungspflicht der BG führt.