Verloren in der Label-Flut
Blauer Engel, EU Ecolabel, Cradle to Cradle Certified®, B Corp Certification Bioland, Naturland, Demeter, Fairtrade-Siegel, Rainforest Alliance, GEPA fair+, FSC®, PEFC™ GOTS, IVN BEST, OEKO-TEX® Standard 100, Grüner Knopf, Fair Wear Foundation, TCO Certified, Energy Star, EPEAT, RAL Gütezeichen – Sie verlieren gerade den Überblick? Kein Wunder, denn die Liste an Nachhaltigkeits-Zertifizierungen, -Siegeln und -Labels für Produkte ist sehr lang und dies hier ist nur eine kleine Auswahl. Wer den Einkauf in Unternehmen und Kommunen verantwortet und maximal nachhaltige Produkte beschaffen will, hat also seine liebe Not, eine valide Kaufentscheidung zu treffen.
Steckbrief Gründer: Jan Bussiek und Joachim Kuban |
Alle Infos in einem Score
Das Start-up hat ein System entwickelt, das die zig Nachhaltigkeitsdaten zu einem Produkt zu einer einzigen Bewertung – einem Score – zusammenfasst. Der ESG Score erspart der Kundschaft das mühsame Zusammenklauben einzelner Kriterien und macht auf einen Blick ersichtlich, wie nachhaltig ein Produkt ist. Der ESG Score soll maximale Transparenz schaffen und somit Kaufentscheidungen erleichtern. Nachhaltigkeit wird damit zum Suchkriterium: auf B2B-Online-Marktplätzen lassen sich die Produkte ganz einfach per Klick nach ihrem ESG-Score sortieren.
Das Geschäft, derzeit von Investoren finanziert, soll sich mittelfristig über ein Abo-Modell tragen, wobei hier Masse gefragt ist: Viele Nutzende sollen jeweils geringe monatliche Beiträge zahlen.
Bislang zeigen insbesondere Kommunen Interesse am ESG-Score, zu den Kunden gehören aber auch Konzerne, darunter EnBW. Der Nutzen für die Kundschaft liegt auf der Hand. Aber auch für Händler und Hersteller ist ein ESG Score attraktiv, sofern sie nachhaltige Produkte anbieten. Die nämlich erzielen – wenn sie als klar nachhaltig gekennzeichnet sind – bis zu 12,5 Prozent mehr Umsatz als vergleichbare konventionelle Produkte, erzählt Start-up-Gründer Jan Bussiek und verweist auf eine Erhebung von Amazon.
Von der Muse geküsst
Jan Bussiek verantwortete vor der Gründung seines Start-ups das Sortiments- und Marktplatzmanagement der B2B-Beschaffungsplattform Unite (früher Mercateo), über die Unternehmen und öffentliche Verwaltungen indirekte Bedarfe wie etwa Büromaterial, IT-Equipment bis hin zu Werkzeug einkaufen.
Er war unter anderem dafür zuständig, welche Informationen zu welchem Produkt angezeigt werden, damit Business-Kunden schnell und gut informiert einkaufen können. „Und da hat es mich wirklich entnervt, dass ich – zumindest gefühlt – zwar jedes Produkt nach Farbschattierung sortieren kann, aber nicht danach, wie nachhaltig es ist“, erzählt der Gründer. „Und dann hat mich bei Edeka hier um die Ecke die Muse geküsst: Ich stand vor dem Regal mit den Müslis und habe all die Nutri-Scores gesehen. Der Nutri-Score zeigt auf einen Blick: Grün ist besser als rot. Dafür muss ich als Kunde gar nicht mehr verstehen. Klar, ich muss mich natürlich darauf verlassen, dass die Kennzeichnung kein Unfug ist. Wenn sie seriös ist, treffe ich sofort eine anders qualifizierte Entscheidung. In dem Moment habe ich gedacht, wie gut es wäre, wenn es so etwas auch gäbe, um in Online-Shops Produkte nach Nachhaltigkeit zu sortieren.“
Zurück im Büro machte sich Jan Bussiek auf die Suche nach Dienstleistern, die ihm ein solches Scoring-System zum Labeln der Produktnachhaltigkeit für Unite einrichten. Fehlanzeige. Es gab sie schlicht nicht. Und so beschloss er, gemeinsam mit dem IT-Spezialisten Joachim Kuban ein Start-up zu gründen und selbst ein solches System zu entwickeln. Das erklärte Ziel: eine nachhaltige Beschaffung von Standardprodukten zu ermöglichen. Oder, salopp formuliert: den ESG Score zum Nutri-Score im B2B- und B2G-Einkauf zu machen.
Viele Daten, ein Ergebnis
Die Berechnungsmethode ist komplex. Das Start-up stellt eigens die Broschüre „Die Wissenschaft hinter ESG Score“ zum kostenlosen Download zur Verfügung, in der die Details erklärt sind. Hier in aller Kürze: In den ESG Score fließen zig verschiedene Produktinformationen ein – vom CO₂-Fußabdruck über den Anteil recycelter Inhaltsstoffe bis hin zur Auskunft, ob ein Hersteller Standards zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer einhält. Die Bewertungsparameter werden monatlich aktualisiert und laut Eigenangaben von unabhängigen Instituten wie dem Wuppertal Institut und dem Öko-Institut geprüft. Diese Institute entscheiden auch über die Details der Gewichtung. Derzeit weist das Start-up ESG-Scores für rund 700.000 Produkte in mehr als 100 Warengruppen aus.
What’s next?
„Für uns ist entscheidend, dass wir jetzt die kritische Masse schaffen und die Zahl der Produkte schnell steigern. Wir setzen all unsere Energie ein, damit wir am Jahresende auf Monatsebene eine schwarze Null schreiben“, sagt Jan Bussiek, und er fügt hinzu: „Ich will erreichen, dass der ESG Score in drei Jahren so normal ist wie der Nutri-Score und ganz viele Entscheidungen erleichtert.“