Nachhaltigkeit ganz oben angesiedelt
Wie wichtig dem UKT die Nachhaltigkeit ist, zeigt schon ein Blick auf die E-Mail-Signatur des Gesprächspartners: Holger Diemer ist Geschäftsbereichsleiter Finanzen, Stellvertretender Kaufmännischer Direktor UND Nachhaltigkeitsbeauftragter des Universitätsklinikums Tübingen in einem. Das Thema Nachhaltigkeit ist also direkt dort angesiedelt, wo es auch ums Geld geht. Und das ist in einem Klinikum eine diffizile Angelegenheit, denn der Betrieb des Klinikums fußt auf dem im Jahr 1972 entwickelten Modell der dualen Krankenhausfinanzierung.
Das heißt: Alles, was Investition ist, wird vom Land finanziert. Alles, was für den Betrieb notwendig ist, zahlt die Krankenkasse. Investitionsmittel und Betriebsmittel dürfen nicht vermischt werden. Und so muss Holger Diemer jeden Euro, der in nachhaltige Aktivitäten fließt, genau daraufhin prüfen, in welche Kategorie er fällt und wer ihn bezahlt. „Das macht vieles komplexer als in Unternehmen“, sagt Holger Diemer.
Darum drängt sich auch gleich als erstes die Frage auf, ob er als Finanzchef Nachhaltigkeit nicht manchmal zu teuer findet? Holger Diemer lacht und antwortet schnell und klar: „Jeder gute Ökonom weiß, dass Ressourcen endlich sind. Wenn ich nicht auf sie achte, habe ich irgendwann nichts mehr, womit ich wirtschaften kann.“ Nachhaltigkeit sei kein Kostenfaktor, sondern ökonomische Vernunft: „Ökologie und Ökonomie schließen sich nicht aus – im Gegenteil, sie zahlen häufig aufeinander ein.“
„Ökologie und Ökonomie schließen sich nicht aus – im Gegenteil, sie zahlen häufig aufeinander ein.“
Der Gesundheitssektor ist laut UKT in Deutschland für 5,2 Prozent der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich. „Anlass genug, daran etwas zu ändern“, heißt es auf der Website.
INFOKASTEN Das UKT erhielt im November 2024 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis für sein umfassendes Engagement in der nachhaltigen Transformation des Gesundheitssektors. Alle Informationen zur Nachhaltigkeit am UKT finden sich detailliert und lesenswert auf der Website. |
Ein Universitätsklinikum nachhaltiger zu machen, ist eine Mammutaufgabe. Das UKT unterhält 160 Gebäude an zwei Standorten, es versorgte 2024 mehr als 74.000 Patientinnen und Patienten stationär und noch einmal rund 424.000 ambulant. Es beschäftigt mehr als 11.000 Mitarbeitende, es bietet rund 5.000 Studierenden 16 Studiengänge, es betreibt Forschungslabore, Wohnheime, Kitas und Großküchen, verantwortet die Straßenbeleuchtung, Fahrradwege, Parkhäuser und vieles mehr.
All das erfordert in Summe viele Ressourcen, kostet jede Menge Energie, verursacht Abfall und Emissionen. Die Infrastruktur des UKT erinnert eher an eine mittelgroße Kommune als an ein Krankenhaus. „Der Baubürgermeister von Tübingen sagt immer: Ihr müsst euer Klinikum so planen, als würdet ihr einen Stadtteil bauen“, erzählt Diemer. Mit dem feinen Unterschied, dass es im UKT um ein hehres Ziel geht: Menschen zu heilen.
Die Quick Wins waren schon abgeräumt
Wo also fängt man hier mit Nachhaltigkeit an? Strategisch und operativ? Wie bringt man die bereits existierenden Nachhaltigkeitsaktivitäten unter ein Dach? Wie gestaltet man Strukturen und Prozesse? Indem man eine Stabsstelle schafft. Seit Juli 2022 werden am UKT in der Vorstandsstabsstelle „KV24 – Nachhaltigkeit“ alle Nachhaltigkeitsaktivitäten koordiniert, Ideen gebündelt, Abteilungen zusammengebracht, Projekte angestoßen und sämtliche Nachhaltigkeitsaktivitäten systematisch überwacht und dokumentiert.
Erst einmal ging es darum, den Status quo zu ermitteln. Dabei zeigte sich: die berühmten Quick Wins – etwa die Umstellung auf Ökostrom oder der Einsatz von Mehrwegpfandsystemen in den Mensen – waren längst abgeräumt. „Vieles lief bei uns schon, bevor es eine Strategie gab, denn es wurde einfach gemacht, was vernünftig war“, erzählt Holger Diemer.
Die aus allen internen Abteilungen zusammengesetzten Teams mussten also tiefer graben. Mithilfe einer Förderung der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI) und externer Expertise durch das Kompetenzzentrum für klimaresiliente Medizin und Gesundheitseinrichtungen ( KliMeG) entstand ein über 100 Seiten starkes Klimaschutzkonzept.
„Zehn Prozent gehen immer“
Die erste UKT-Klimabilanz ergab für das Jahr 2022 rund 130.000 Tonnen CO₂. Das erklärte Ziel: bis zum Jahr 2030 zehn Prozent CO₂-Ersparnis. „Zehn Prozent gehen immer. Das ist eine alte Controller-Weisheit“, so Holger Diemer. Das UKT hat 46 Einzelmaßnahmen identifiziert, mit denen die Emissionen gesenkt werden sollen.
Viele dieser 46 Maßnahmen sind auch in „normalen“ Unternehmen mittlerweile an der Tagesordnung, also etwa der Einsatz von intelligenten Messsysteme über Photovoltaik bis LED oder die Umstellung des Fuhrparks auf E-Fahrzeuge oder Mitfahr-Apps und JobRad-Angebote für Mitarbeitende.
Viele sind aber auch klinikspezifisch: So reduzieren zum Beispiel verkürzte Messsequenzen in Kombination mit KI-Einsatz die Stromverbräuche von medizinischen Großgeräten wie MRTs und CTs. Die Anästhesie nutzt heute statt des hoch klimaschädlichen Narkosegases Desfluran das weniger schädliche Sevofluran.
Als großer Hebel erwies sich die Umstellung des Speiseplans: Die Großküche des UKT versorgt täglich tausende Patientinnen und Patienten, Mitarbeitende und Angehörige. Aktuell wird geprüft, inwieweit dort künftig nach den Grundsätzen der Planetary Health Diet gekocht werden kann, die mehr pflanzliche und weniger tierische Produkte enthält. Das Einsparpotenzial für das UKT: bis zu 800 Tonnen CO₂ pro Jahr. „Das sind rund 30 Prozent der Emissionen in diesem Bereich“, sagt Holger Diemer. Und dabei wird Fleisch nicht einmal komplett vom Speiseplan verschwinden. „Wir sagen nicht: Ab morgen essen alle Tofu. Es geht um vernünftige, gesunde Ernährung. Wenn wir hochwertiges Fleisch seltener einsetzen, profitieren Mensch und Planet, und wir sparen auch noch Kosten.“ Das UKT ist gemeinsam mit zehn anderen Kliniken Mitglied im Förderprojekt Cool Food, das sich mit der Speisenversorgung in Krankenhäusern auseinandersetzt und großküchentaugliche Rezepte entwickelt.
„Unser primäres Ziel ist, Patienten zu versorgen und Krankheiten zu heilen oder zu lindern, koste es, was es wolle.“
Holger Diemer schätzt Projekte, bei denen er das Ergebnis selbst beeinflussen kann. Genau das aber ist bei einem größten Emissionsverursacher im Gesundheitswesen nicht der Fall: bei den Medikamenten, da eröffne sich eher ein „terra incognita“. Problem Nummer eins: Für Medikamente existieren kaum belastbare ökologische Kennzahlen. Teilweise rechnet das UKT mit durchschnittlichen CO₂-Werten pro ausgegebenem Euro, weil es keine spezifischen Daten gibt. Ein teureres Medikament bedeutet in dieser Logik automatisch mehr CO₂ – was kein besonders valides Steuerungsinstrument ist, wenn man Emissionen senken will. Problem Nummer zwei: Medikamente sind kein Konsumgut, sondern notwendig, damit Menschen gesund werden. Daran lässt sich nicht mir nichts, dir nichts sparen. „Es gibt sehr viele Ansätze, wie man Nachhaltigkeit in der Medizin anders denken kann. Aber noch steckt die Medizin in den Kinderschuhen der Erkenntnis, weil unser primäres Ziel ist, Patienten zu versorgen und Krankheiten zu heilen oder zu lindern, koste es, was es wolle.“
Gut vernetzt, intern und extern
Um in der Klimabilanzierung von medizinischen Produkten voranzukommen, beteiligt sich das UKT an der Weiterentwicklung von CO₂-Rechnern für Krankenhäuser, wie beispielsweise vom Kompetenzzentrum KliMeG vorangetrieben wird. Überhaupt ist die Branche gut vernetzt, gerade zwischen den 34 deutschen Universitätskliniken herrscht seit jeher ein reger Austausch. Da gilt auch in puncto Nachhaltigkeit: „Niemand muss das Rad zweimal erfinden.“ Gute Vernetzung ist generell ein Erfolgsrezept des UKT: Damit die auch im Alltag funktioniert, tragen seit 2024 rund 130 interne Nachhaltigkeitsbotschafterinnen und -botschafter Nachhaltigkeitsideen in die unterschiedlichen Abteilungen – und gute Ideen von dort zurück in die Stabsstelle.
Wie es nun weitergeht? „Das UKT ist wie ein Tanker“, beschreibt Holger Diemer die Veränderung. „Ein Tanker bewegt sich nicht schnell, wenn man am Steuer dreht, aber wenn er mal den Kurs geändert hat, dann fährt er den auch. ” Das UKT werde weiterhin „vernünftig mit den Dingen umgehen, die es gibt, Herausforderungen annehmen und Lösungen finden.“ Jetzt geht es erst mal darum, die 46 Einzelmaßnahmen sauber abzuarbeiten. Die Folgeförderung für die Stelle der Klimaschutzmanagerin ist schon mal bewilligt. … und das freut nicht nur den Nachhaltigkeitsbeauftragten, sondern auch den Controller.