Zukunftsmacher: Impact-Start-ups, die wirken

Nachhaltiges Essen aus dem Biertank


Infinite Roots: Nachhaltiges Essen aus dem Biertank

Ernährung, die gesund und klimafreundlich ist: Das ist der Anspruch von Infinite Roots. Das Hamburger Unternehmen entwickelt Protein aus Pilzmyzel. Anfang des Jahres kommen die ersten Produkte in den Supermarkt.

Der Teller sieht aus wie in einem Sterne-Restaurant: einige Scheiben Rote Beete, zwei weißliche, frittierte Bällchen, daneben dunkelbraunes Zwiebel-Confit und grüne Gremolata. Der Nachbarteller fällt bodenständiger aus: frisch gebratene Rostbratwürstchen. Beide Gerichte haben eine gemeinsame  Zutat: Myzelium, das fadenartige Geflecht, aus dem Pilze wachsen. Die Firma Infinite Roots arbeitet daran, alternative Nahrungsmittel aus Myzelium auf den Markt zu bringen. 

Steckbrief:
Infinite Roots, Hamburg

Gründer: Dr. Mazen Rizk, Anne-Cathrine Hutz, Dr. Thibault Godard
Gründungsjahr: 2019
Teamgröße: .67 Beschäftigte aus 22 Nastionen
Geschäftsidee: Infinite Roots will aus Pilzmyzel eine völlig neue Zutat für Lebensmittel schaffen, die gesund, proteinreich und klimafreundlich sind.
Investoren: Im Januar 2024 wurden in einer Serie-B-Finanzierungsrunde 58 Mio. Dollar eingesammelt. Die Finanzierung wurde angeführt von der Dr. Hans Riegel Holding (Haribo), der thailändischen Agrar-Gruppe Betagro und der Rewe-Gruppe.
Zielgruppe: B2B

www.infiniteroots.com

Myzel: Antwort auf große Ernährungsfragen

Die Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung mit hochwertigen Nahrungsmitteln, ausreichend Protein und möglichst geringen Umweltauswirkungen zählt zu den großen Herausforderungen der Gegenwart.  Die Nahrungsmittelproduktion, einschließlich Viehzucht, ist für 26% der globalen Klimaemissionen verantwortlich. Die Hälfte des bewohnbaren Landes und 70% der Frischwasservorräte werden für Landwirtschaft benötigt. Und mit der wachsenden Weltbevölkerung werden die Herausforderungen und Belastungen noch größer.

Infinite Roots will einen Beitrag zur Lösung dieser Herausforderungen leisten: "Wir wollen pilzbasierte Zutaten als dritte Säule neben Pflanzen und Tieren als Nahrungsmittel etablieren", sagt Philipp Tigges, Chief Commercial Officer bei Infinite Roots. Die Grundlage dafür ist Myzel. Es wächst schnell, ist unabhängig von Saison und Klima, enthält wertvolle Ballaststoffe und natürliche Aromen. Gleichzeitig benötigt das Wachstum deutlich weniger Energie und Ressourcen als pflanzliche Eiweißquellen wie Soja, Erbsen oder Lupinen oder gar Fleisch. "Um mit Myzel die vergleichbare Menge Protein wie bei Rindfleisch zu produzieren, benötigen wir 215-mal weniger Wasser und produzieren 35-mal weniger CO2", sagt Mitgründerin Anne-Cathrine Hutz. Weiterer Vorteil: Das Protein enthält grundsätzlich die komplette Aminosäurekette – im Gegensatz zu pflanzlichen Eiweißen.

Die Vision: eine dritte Proteinsäule neben Pflanzen und Tieren

Die Idee zu Infinite Roots hatte Dr. Mazen Rizk nach seiner Promotion in Biotechnologie. Er  fragte sich, wie er in seinem Leben einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten konnte. Dabei gingen ihm Pilze nicht aus dem Kopf, die ihn bereits im Studium fasziniert hatten. "Pilze sind ein eigenes Reich – weder Tier noch Pflanze. Genau das macht sie so spannend", sagt Tigges. Rizk konnte Anne-Cathrine Hutz gewinnen, die vom Kopenhagener Sternerestaurant Noma zu Infinite Roots kam und diese Erfahrung in das Startup einbrachte. Der dritte Mitgründer Dr. Thibault Godard entwickelte mit einem Forscherteam die biotechnologischen Prozesse, die das Myzel in ein vielseitig verwendbares Lebensmittel verwandeln.

Fermentation als Schlüssel

Um das Myzel im industriellen Maßstab herzustellen, kooperiert Infinite Roots mit Bitburger. Die Brauerei stellt Kessel und Tanks bereit, die für die Fermentation von Myzel umgerüstet werden können. Dabei nützt es, dass der Gärprozess in einer Brauerei dem Verfahren zur Myzel-Fermentation verwandt ist. Ebenfalls liefert Bitburger Nebenprodukte aus der Bierproduktion für die Nährlösung, in denen das Myzel wachsen kann. Das Myzel stammt von Speisepilzen wie Shiitake, Portobello oder Pfifferlingen. "Durch solche Kooperationen können wir lokal in Europa produzieren und vermeiden lange Transportwege wie zum Beispiel bei Soja", erläutert Tigges.

Fermentation ist in der Produktion der Schlüssel. "Sie macht das Myzel essbar, strukturiert und aromatisch", sagt Tigges. Fermentation erhöht die Bioverfügbarkeit von Nährstoffen und sorgt für ballaststoffreiche, proteinreiche und gut verdauliche Produkte. Geschmacklich besitzt Myzel einen eigenen Charakter: herzhaft, umami-reich und saftig. Die Textur erinnert an Fleisch, ohne es nachzuahmen. Die Produkte sind fasernreich, aber nicht trocken – weder Tofu noch Imitat, sondern eine eigenständige Kategorie.

Infinite Roots will mehr produzieren als nur Fleischersatz: "Wir wollen mit Biotechnologie und Kulinarik eine völlig neue Zutatenkategorie schaffen. Wir imitieren nichts, wir schaffen etwas Eigenes", sagt Tigges. So seien Infinite-Roots-Produkte minimal verarbeitet, verständlich in der Zutatenliste und kulinarisch vielseitig. Myzel kann zu Frikadellen, Würstchen oder Hähnchenersatz verarbeitet werden – aber auch zu Käse oder Desserts.

Startklar für den Handel

Die größte Hürde, mit der Infinite Roots zu kämpfen hatte, ist weder wissenschaftlicher noch technologischer Natur. "Die größte Hürde ist die Regulierung rund um Novel Food", sagt Tigges. Diese EU-Verordnung sorgt dafür, dass neue oder bisher unbekannte Lebensmittel erst nach Sicherheitsprüfung in der EU verkauft werden dürfen. Infinite Roots hatte dies 2022 beantragt.

Nach ersten Einsätzen in der Gastronomie plant Infinite Roots nun den Eintritt in den Einzelhandel – allerdings mit Produkten aus konventionell hergestellten Pilzen, da die Genehmigung nach der Novel-Food-Verordnung noch aussteht. Ab der zweiten Januarhälfte sollen in Nord-Deutschland und Österreich Pilz-Bällchen, Pilz-Patties und Pilz-Hack unter der Marke "MushRoots" in die Regale der Rewe-Märkte kommen. Tigges verspricht: "Unsere Pilz-Produkte  sind in unter zehn Minuten zubereitet und ideal für eine ausgewogene Ernährung."

0 Kommentare
Das Eingabefeld enthält noch keinen Text oder nicht erlaubte Sonderzeichen. Bitte überprüfen Sie Ihre Eingabe, um den Kommentar veröffentlichen zu können.
Noch keine Kommentare - teilen Sie Ihre Sicht und starten Sie die Diskussion