Rz. 9

Stand: 5. A. – ET: 12/2018

Die MwStSystRL richtet sich als europäische RL ausschließlich an die Mitgliedstaaten. Damit verpflichtet sie den europäischen Bürger nicht unmittelbar, gibt ihm aber im Grundsatz auch keine eigene Rechtsposition. Die MwStSystRL verpflichtet lediglich die Mitgliedstaaten, ihren Inhalt in das jeweilige nationale Umsatzsteuerrecht zu transferieren (Art. 249 Abs. 3 EGV). Damit stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn eine europäische RL nicht, nicht in der hierfür vorgesehenen Zeit oder nicht vollständig umgesetzt wird.

3.3.1 Keine den Bürger belastende Wirkung der MwStSystRL

 

Rz. 10

Stand: 5. A. – ET: 12/2018

Der pflichtwidrig unterlassende Staat kann sich nie zum Nachteil des Bürgers auf eine nicht umgesetzte europäische RL berufen; ansonsten müsste der Bürger für die negativen Folgen des Fehlverhaltens seines Mitgliedstaates einstehen. Letzteres darf nicht sein, denn der Staat und nicht einzelne Bürger hat Einfluss auf die rechtzeitige Umsetzung des europäischen Rechts in nationales Recht. Der EuGH hat daher bereits im Urteil vom 26.02.1986 ausdrücklich festgestellt, dass sich der Bürger zwar gegenüber dem Staat unter den genannten Voraussetzungen auf die nicht rechtzeitig umgesetzte RL berufen kann (EuGH vom 26.02.1986, Rs. C-152/84, M. H. Marshall gegen Southhampton and South-West Hampshire Area Health Authority, Slg. 1986, 723). Die staatlicherseits unterlassene Umsetzung einer RL schaffe aber selbst keine Verpflichtung für den einzelnen Bürger gegenüber dem Staat. Eine nicht rechtzeitige umgesetzte RL hat daher keine "Direkt"-Wirkung zu Lasten des Bürgers (so auch EuGH vom 19.01.1982, Rs. C-8/81, Ursula Becker, Slg. 1982, 53).

 
Praxis-Beispiel
  1. Nach bisheriger Verwaltungsauffassung genügte eine Eingangsrechnung den formalen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug, wenn neben dem Rechnungsbetrag (Bruttobetrag) der in diesem enthaltene Steuerbetrag vermerkt war (vgl. Abschn. 202 Abs. 4 S. 2 UStR 2000 und BMF vom 05.06.2001, BStBl I 2001, 360). Der BFH teilte diese – für den Steuerbürger günstige und in der Praxis seit 1968 bewährte – Rechtsauffassung unter Hinweis auf das Gemeinschaftsrecht nicht und betrachtete den zusätzlichen Ausweis des Nettoentgelts in der Rechnung als zwingende Voraussetzung für den Vorsteuerabzug (BFH vom 27.07.2000, Az: V R 55/99, BFH/NV 2001, 130, UR 2001, 29). An diese Rechtsprechung knüpft die seit dem 01.01.2002 gültige Neufassung des § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 UStG an (dazu ausführlich Weimann, UVR 2002, 105).
  2. Nach Art. 22 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-RL besteht eine Verpflichtung zur Rechnungslegung auch bei steuerfreien Leistungen an andere Unternehmer sowie bei Leistungen an eine nicht steuerpflichtige juristische Person. Entsprechend sieht Art. 22 Abs. 3 Buchst. b Unterabsatz 1 der 6. EG-RL vor, dass in die Rechnung ggf. ein Hinweis auf die Steuerbefreiung aufzunehmen ist. Diese Verpflichtung hat das Gesetz zur Änderungen steuerlicher Vorschriften (StÄndG 2001 vom 20.12.2001, BGBl I 2001, 3794)) durch die Neufassung des § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 UStG umgesetzt. So wird auch gewährleistet, dass in den Fällen des § 13b UStG der Leistungsempfänger Kenntnis über eine Steuerbefreiung erlangt.
  3. Die Vorschriften über die umsatzsteuerliche Rechnungsstellung waren innerhalb der EG bis 2003 nur ansatzweise harmonisiert. Entsprechend unterschiedlich waren daher die Rechnungsanforderungen der einzelnen Mitgliedstaaten, was grenzüberschreitenden unternehmerischen Betätigungen wenig dienlich war. Auch wurden die "alten" Vorgaben der 6. EG-RL dem technischen Fortschritt nicht mehr gerecht; insbesondere war eine elektronische Rechnungsstellung nicht vorgesehen. Aus diesem Grund verabschiedete der Rat der Europäischen Union am 20.12.2001 eine neue RL zur Änderung der 6. EG-RL mit dem Ziel, die Rechnungsstellung zu vereinfachen und zu modernisieren sowie insbesondere die obligatorischen Rechnungsangaben zu harmonisieren (RL 2001/115/EG des Rates vom 20.12.2001 zur Änderung der RL 77/388/EWG mit dem Ziel der Vereinfachung, Modernisierung und Harmonisierung der mehrwertsteuerlichen Anforderungen an die Rechnungsstellung, Amtsblatt EG Nr. L15/24 vom 17.01.2002). Die RL war von den Mitgliedstaaten spätestens zum 01.01.2004 in nationales Recht umzusetzen. Deutschland hat dieser Verpflichtung durch das StÄndG 2003 (BStBl I 2003, 710) entsprochen.
 

TIPP

Der Ausschluss der belastenden Bürgerwirkung ist einer der tragenden Gedanken der aktuellen Rechtsprechung des BFH zur Umsatzsteuerbefreiung für humanmedizinische Analysen einer Labor-GmbH (BFH vom 15.03.2007, Az: V R 55/03, UR 2007, 497).

3.3.2 Begünstigende Wirkung der MwStSystRL für den Bürger in seinem Verhältnis zum Staat

 

Rz. 11

Stand: 5. A. – ET: 12/2018

Da die Wirkung einer europäischen RL für und gegen den Bürger erst mit deren Umsetzung ins nationale Recht eintritt, könnten Mitgliedsländer eine missliebige europäische Rechtslage dadurch vermeiden, dass sie eine RL pflichtwidrig nicht umsetzen. Ein wirksames "Druckmittel", mit dem die Europäischen Gemeinschaften das Mitgliedsland zu Umsetzung zwingen könnten, gibt es formell nicht. Der EuGH hat dennoch ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Weimann, Umsatzsteuer - national und international (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge