Rz. 83

Stand: 5. A. – ET: 12/2018

Durch Art. 5 Nr. 19 Buchst. a Doppelbuchst. aa des StÄndG 2003 (Gesetz vom 15.12.2003, BGBl I 2003, 2645) wurde der Wortlaut des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG an die richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift durch die Rechtsprechung (vgl. BFH vom 02.04.1998, Az: V R 34/97, BStBl II 1998, 695; BFH vom 01.02.2001, Az: V R 23/ 00, BStBl II 2003, 673; BFH vom 11.04.2002, Az: V R 26/01, BStBl II 2004, 317), wonach der Rechnungsempfänger nur für den Umsatz geschuldete USt als Vorsteuer abziehen konnte, angepasst. Ein Vorsteuerabzug ist damit nicht zulässig, soweit der die Rechnung ausstellende Unternehmer die Steuer nach § 14c Abs. 2 UStG schuldet (vgl. Abschn. 15.2 Abs. 1 S. 2 UStAE). Zum Vorsteuerabzug in Fällen des § 14c Abs. 1 UStG vgl. Rn. 35 ff.

 

Rz. 84

Stand: 5. A. – ET: 12/2018

Mit der Frage, ob dem Rechnungsempfänger der Vorsteuerabzug aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO; vgl. hierzu auch Abschn. 15.11 Abs. 7 UStAE) belassen werden kann, wenn er seinerseits einer Nichtleistung aufgesessen ist und dies nicht erkennen konnte, setzt sich das Urteil des FG Berlin vom 14.06.2006 auseinander (Az: 2 K 4129/03, EFG 2006, 1469 nrkr. [DStRE 2007, 176]). Im Urteilsfall wurden der Klägerin nicht existente Leasinggüter verkauft, die sie ihrerseits verleaste. Den übrigen an den "Umsätzen" Beteiligten war das Vorliegen von Scheingeschäften/Luftgeschäften bekannt. Aus den Rechnungen über die Ankäufe machte die Klägerin Vorsteuerbeträge geltend (durch Finanzamt verweigert, da beim Rechnungsaussteller § 14 Abs. 3 UStG a. F.), aus ihren Ausgangsrechnungen über die Leasingumsätze erklärte sie die Umsatzsteuer (durch Finanzamt als § 14 Abs. 3 UStG a. F. behandelt, teilweise erlassen). Das FG Berlin lehnte es ab, der Klägerin den Vorsteueranspruch aus Billigkeitsgründen zu belassen. Zunächst verweist die Urteilsbegründung auf den allgemeinen Grundsatz, dass ein Vorsteuerabzug nur in Betracht kommt, wenn die ausgewiesene Steuer aufgrund einer tatsächlich erbrachten Leistung geschuldet wird, was im Klagefall eindeutig nicht vorlag. Nach Auffassung des FG Berlin stellt es ein geschäftliches Risiko dar, wenn der Unternehmer einem "Luftgeschäft" aufsitzt und besteht kein Grund, dieses Risiko dem Steuerfiskus aufzubürden. Ausdrücklich lehnt das FG Berlin die im Schrifttum (m. w. N.) geäußerte Auffassung ab, dass dem, der unverschuldet eine Nichtleistung empfange und der seinen zivilrechtlichen Regressanspruch nicht erfolgreich geltend machen könne, die Vorsteuer aus Billigkeitsgründen zu belassen sei. Dies entspreche auch dem durch den EuGH (m. w. N.) entwickelten Konzept zur Neutralität der Mehrwertsteuer und der Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens. Mit Urteil vom 10.12.2008 (Az: XI R 57/06 (NV), BFH/NV 2009, 1156) weist der BFH die Revision der Klägerin zurück. Nach der Rechtsprechung des EuGH erstrecke sich der Vorsteuerabzug nur auf für tatsächlich erbrachte Leistungen geschuldete Umsatzsteuer, nicht hingegen auf nach § 14 Abs. 3 UStG a. F. geschuldete Umsatzsteuer. Allein der Umstand, dass der Unternehmer die ihm in Rechnung gestellte Umsatzsteuer bezahlt hat (an den vermeintlichen Leistungsgeber), rechtfertigt eine Billigkeitsmaßnahme nicht. Auch aus der Rechtsprechung des EuGH zu Optigen (vgl. EuGH vom 12.01.2006, Rs. C-354/03, DStRE 2006, 133) und Reemtsma (vgl. EuGH vom 15.03.2007, Rs. C-35/05, DStRE 2007, 570) ergibt sich nichts anderes. Im Fall Optigen wurden Leistungen tatsächlich ausgeführt, im Fall Reemtsma war die Steuer tatsächlich an den Fiskus abgeführt worden.

 

Rz. 85

Zu Vertrauensschutzerwägungen in Fällen des Vorsteuerabzugs aus Scheinrechnungen vgl. FG Berlin-Brandenburg vom 17.08.2016 (Az.: 7 K 7246/14, EFG 2016, 1829; Revision anhängig unter Az.: V R 50/16). Das FG geht davon aus, dass bei fehlender Leistungserbringung ein herabgesetzter Vertrauensschutz besteht.

 

Rz. 86

Nach dem BFH-Urteil vom 30.06.2015 (Az.: VII R 30/14 (v), BFH/NV 2015, 1611, Sachverhalt: Steuerausweis bei nicht steuerbarer Leistung, vgl. Abschn. 14c.1 Abs. 1 S. 5 Nr. 4 UStAE) kann dem EuGH-Urteil vom 15.03.2007, Rs. C-35/05 "Reemtsma", HFR 2007, 515) kein unionsrechtliches Gebot entnommen werden, einen Anspruch des Leistungsempfängers aus § 37 Abs. 2 AO auf Erstattung zu Unrecht vom Leistenden in Rechnung gestellter Umsatzsteuer gegen den Fiskus anzuerkennen, wenn eine Erstattung vom Leistenden wegen dessen Insolvenz nicht mehr (vollständig) erreicht werden kann. Demnach werden die Regelungen, die das deutsche Umsatzsteuer- und Abgabenrecht zum Schutz des Leistungsempfängers bereithält, der die zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer an den Rechnungsaussteller gezahlt hat, den Anforderungen, die der EuGH an eine systemgerechte Abwicklung zu Unrecht erhobener und gezahlter Umsatzsteuer stellt, grundsätzlich gerecht. Im Hinblick auf das Urteil des EuGH vom 26.04.2017 (Rs. C-564/15 "Farkas") erscheint ein unionsrechtlich begründeter Erstattungsanspruch gegenüber der Steuerverwaltung im Einzelfall zumi...

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