Entscheidungsstichwort (Thema)

Strafverfahrensrecht. kleine Wirtschaftsstrafkammer. Zuständigkeit. Berufung. Rechtsmittelberechtigung der Staatsanwaltschaft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Gegen einen Beschluss, mit dem die Wirtschaftsstrafkammer im Berufungsverfahren eine Strafsache an eine allgemeine Strafkammer verweist, ist in entsprechender Anwendung des § 210 Abs. 2 StPO die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft statthaft.

2. Zuständig für die Anfechtung einer gerichtlichen Entscheidung im Zwischen- oder Hauptverfahren ist grundsätzlich die Staatsanwaltschaft bei demjenigen Gericht, das die anzufechtende Entscheidung erlassen hat, sofern nicht eine Beauftragung nach § 145 Abs. 1 GVG vorliegt.

3. Die (kleine) Wirtschaftsstrafkammer ist nicht für das Rechtsmittel der Berufung gegen Urteile der Strafrichter bei den Amtsgerichten anderer Landgerichtsbezirke in Wirtschaftsstrafsachen zuständig (obiter dictum).

4. Die in § 12 Abs. 2 der Dritten Verordnung des Thüringer Ministers für Justiz und Europaangelegenheiten zur Änderung der Thüringer Verordnung über gerichtliche Zuständigkeiten in der ordentlichen Gerichtsbarkeit vom 27.7.1995 enthaltene Zuständigkeitskonzentration beim Landgericht Mühlhausen ist im Hinblick auf Berufungen gegen strafrichterliche Urteile nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 74c Abs. 3 Satz 1 und 2 GVG in Verbindung mit § 1 Nr. 19 der Thüringer Verordnung zur Übertragung von Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen im Bereich der Rechtspflege vom 25.10.2004 gedeckt (obiter dictum).

 

Normenkette

GVG §§ 74c, 74e, 145 Abs. 1; StPO §§ 209, 209a, 210 Abs. 2, §§ 225a, 296 Abs. 1, § 321 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Mühlhausen (Entscheidung vom 21.09.2011; Aktenzeichen 665 Js 51109/10 7 Ns)

AG Erfurt (Entscheidung vom 05.03.2010; Aktenzeichen 332 Js 34947/06 44 Ds)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde wird verworfen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

 

Gründe

I. Das Amtsgericht - Strafrichter - Erfurt sprach die Angeklagten mit Urteil vom 5.3.2010 schuldig, in jeweils elf rechtlich selbstständigen Fällen fahrlässig ohne Erlaubnis nach § 32 Abs. 1 KWG Bankgeschäfte betrieben zu haben. Den Angeklagten W sprach es außerdem wegen Verletzung der Buchführungspflicht nach § 283b Abs. 1 Ziffer 3b StGB schuldig. Es verurteilte die Angeklagten deshalb jeweils zu einer Gesamtgeldstrafe.

Gegen dieses Urteil legten sowohl die Staatsanwaltschaft Erfurt als auch die Angeklagten Berufung ein.

Die Staatsanwaltschaft Erfurt legte die Akten dem Landgericht Mühlhausen über die dortige Staatsanwaltschaft zur Entscheidung über die Berufung vor.

Die nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Mühlhausen zuständige Kammer hat sich auf Rüge der Zuständigkeit durch die Angeklagten mit der angefochtenen Entscheidung für unzuständig erklärt und das Verfahren an die allgemeine Berufungskammer bei dem Landgericht Erfurt abgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Zuweisung von Berufungen gegen Urteile der Strafrichter von Amtsgerichten eines anderen Landgerichtsbezirks an die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Mühlhausen durch § 12 der Dritten Verordnung des Justizministers zur Änderung der Thüringer Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit in der ordentlichen Gerichtsbarkeit vom 25.7.1995 sei von der Ermächtigungsnorm des § 74c Abs. 3 GVG nicht gedeckt, weil diese für die Möglichkeit der Konzentration von Wirtschaftsstrafsachen bei einem Landgericht die landgerichtliche Zuständigkeit voraussetze, nicht aber zu begründen legitimiere.

Gegen diesen in der Hauptverhandlung verkündeten Beschluss legte die Staatsanwaltschaft Erfurt am 26.9.2011 mit der Begründung sofortige Beschwerde ein, das Landgericht übersehe die unterschiedlichen Normadressaten von § 74c Abs. 1 GVG einerseits und § 74c Abs. 3 GVG anderseits.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft trat der Beschwerde der Staatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 17.10.2011 bei und beantragte, den angefochtenen Beschluss vom 21.9.2011 aufzuheben.

II. 1. Die sofortige Beschwerde ist statthaft.

Gegen einen Beschluss, mit dem die Wirtschaftsstrafkammer im Berufungsverfahren eine Strafsache an eine allgemeine Strafkammer verweist, wird analog § 210 Abs. 2 StPO die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft für statthaft erachtet (OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.11.1981, 1 Ws 339/81, juris; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 24.2.2004, 2 Ws 436 und 453/03, juris; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 74c GVG Rdz. 6; ders. NStZ 1981, 168, 172).

Dem schließt sich der Senat an.

Das Gesetz enthält in §§ 209, 209a, 225a Abs. 4 StPO, 74c und 74e GVG eingehende Bestimmungen darüber, wie vor Beginn der Hauptverhandlung in erster Instanz zu verfahren ist, wenn das angegangene Gericht höherer Ordnung beziehungsweise die Wirtschaftsstrafkammer sich nicht für zuständig hält und die Strafsache an ein Gericht niederer Ordnung beziehungsweise die allgemeine Strafkammer verweist. Ein solc...

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