Rz. 66

[Autor/Stand] Besonderheiten ergeben sich, wenn eine wirtschaftliche Einheit mit mehreren Gebäuden oder Gebäudeteilen bebaut ist, die jeweils eine gewisse Selbstständigkeit aufweisen. Denn bei mehreren Gebäuden oder Gebäudeteilen darf es rechentechnisch nicht zu einem mehrfachen Abzug der Bodenwertverzinsung kommen. Zwar könnte man in diesen Fällen den Bodenwert den einzelnen Gebäuden oder Gebäudeteilen zuordnen. Dies würde jedoch Wertverzerrungen nicht vollständig ausschließen, weil auch weitere Unterschiedlichkeiten der Gebäude oder Gebäudeteile berücksichtigt werden müssen. Dazu gehört insbesondere die Berücksichtigung von verschiedenen Jahren der Bezugsfertigkeit, aus der eine unterschiedliche Restnutzungsdauer bei den einzelnen Gebäuden resultiert.

 

Rz. 67

[Autor/Stand] Ferner kann eine verschiedene Bauart oder eine unterschiedliche Nutzung zu einer unerwünschten Wertverzerrung führen. Das wäre beispielsweise bei einem Gebäudemix aus einer Fertigungshalle und einem Verwaltungsgebäude denkbar. Die Fertigungshalle hat eine typisierte wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer von 50 Jahren und das Verwaltungsgebäude eine entsprechende Gesamtnutzungsdauer von 60 Jahren. Diese Unterschiedlichkeiten müssen bei der Bemessung der Verzinsung des Bodenwerts berücksichtigt werden.

 

Rz. 68

[Autor/Stand] Nach R B 185.4 Abs. 3 ErbStR 2019[4] ist hierfür die Ermittlung einer sog. gewogenen oder gewichteten Restnutzungsdauer vorgesehen.

a) Gewogene Restnutzungsdauer

 

Rz. 69

[Autor/Stand] Die gewogene Restnutzungsdauer ist bei solchen Grundstücken anzusetzen, bei denen die wirtschaftliche Einheit mit mehreren Gebäuden oder Gebäudeteilen bebaut ist, für die unterschiedlich hohe Roherträge ermittelt werden können. Die Ermittlung der gewogenen Restnutzungsdauer erfolgt in der Weise, indem die Summe der Produkte aus dem jeweiligen Rohertrag und der jeweiligen Restnutzungsdauer der Gebäude durch die Summe aller Roherträge dividiert wird.

b) Formel zur Ermittlung der gewogenen Restnutzungsdauer

 

Rz. 70

[Autor/Stand] Die Ermittlung der gewogenen Restnutzungsdauer erfolgt nach der folgenden Formel:

Dabei bedeuten:

  • RND = Restnutzungsdauer
  • RoG = Rohertrag des Gebäudes/Gebäudeteils
  • n = Anzahl der Gebäude/Gebäudeteile

c) Beispiel zur Ermittlung der gewogenen Restnutzungsdauer (vor dem 1.1.2016)

 

Rz. 71

 
Praxis-Beispiel

Ein Geschäftsgrundstück mit einem Bodenwert von 300 000 EUR ist zum 1.2.2009 zu bewerten. Das Grundstück ist mit einem im Jahr 1990 bezugsfertig errichteten Verwaltungsgebäude mit einem jährlichen Rohertrag von 100 000 EUR bebaut. Ferner befindet sich auf dem Grundstück ein Industriegebäude mit einem jährlichen Rohertrag von 40 000 EUR, das ebenfalls 1990 bezugsfertig errichtet worden ist.[7]

Der Grundbesitzwert ist zum Bewertungsstichtag 1.2.2009 wie folgt zu ermitteln:

1. Ermittlung der gewogenen Restnutzungsdauer:

 
Verwaltungsgebäude: wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer (Anlage 22 BewG) = 60 Jahre
abzüglich Alter am Bewertungsstichtag – 19 Jahre
Restnutzungsdauer = 41 Jahre
Industriegebäude: wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer (Anlage 22 BewG) = 50 Jahre
abzüglich Alter am Bewertungsstichtag – 19 Jahre
Restnutzungsdauer = 31 Jahre

Die Mindest-Restnutzungsdauer von 30 % nach § 185 Abs. 3 Satz 5 BewG jeweils überschritten und daher nicht zu berücksichtigen.

2. Grundbesitzwert:

 
Rohertrag (100 000 EUR + 40 000 EUR) 140 000 EUR
abzüglich Bewirtschaftungskosten, 22 % (Anlage 23 BewG: Geschäftsgrundstück, 38 Jahre RND) –  30 800 EUR
Reinertrag des Grundstücks 109 200 EUR
abzüglich Bodenwertverzinsung (§ 188 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 BewG: Liegenschaftszinssatz 6,5 % × 300 000 EUR Bodenwert) –  19 500 EUR
Gebäudereinertrag 89 700 EUR
× Vervielfältiger, 13,98 (Anlage 21 BewG: RNDgewogen 38 Jahre, Liegenschaftszinssatz 6,5 %
Gebäudeertragswert (89 700 EUR × 13,98 =) 1 254 006 EUR
zuzüglich Bodenwert +   300 000 EUR
Ertragswert/Grundbesitzwert 1 554 006 EUR

d) Beispiel zur Ermittlung der gewogenen Restnutzungsdauer (nach dem 31.12.2015)

 
Praxis-Beispiel

Der Grundbesitzwert (Ertragswert) für ein Geschäftsgrundstück (Bodenwert: 300 000 EUR), bebaut mit einem Verwaltungsgebäude (jährlicher Rohertrag: 100 000 EUR, Baujahr 1999) und einem Industriegebäude (jährlicher Rohertrag: 40 000 EUR, Baujahr 1999), ermittelt sich am Bewertungsstichtag (1.2.2018) wie folgt:

1. Ermittlung der gewogenen Restnutzungsdauer:

 
Verwaltungsgebäude: wirtsch. Gesamtnutzungsdauer (Anlage 22 zum BewG) 60 Jahre
  abzüglich Alter am Bewertungsstichtag ./. 19 Jahre
  Restnutzungsdauer 41 Jahre
Industriegebäude: wirtsch. Gesamtnutzungsdauer (Anlage 22 zum BewG) 40 Jahre
  abzüglich Alter am Bewertungsstichtag ./. 19 Jahre
  Restnutzungsdauer 21 Jahre

(Mindest-Restnutzungsdauer nach § 185 Abs. 3 Satz 5 BewG jeweils überschritten)

2. Grundbesitzwert:

 
Rohertrag (100 000 EUR + 40 000 EUR =) 140 000 EUR
abzüglich Bewirtschaftungskosten 22 % (Anlage 23 zum BewG: Geschäftsgrundstück, 35 Jahre RND) ./.  30 800 EUR
Reinertrag des Grundstücks 109 200 EUR
abzüglich Bodenwertverzinsung (§ 188 Ab...

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