Rz. 160

Art. 62 MwStSystRL regelt den Steuertatbestand und Steueranspruch. Nach Abs. 1 der Vorschrift ist Steuertatbestand der Tatbestand, durch den die gesetzlichen Voraussetzungen für den Steueranspruch verwirklicht werden.

 

Rz. 161

Nach Art. 62 Abs. 2 MwStSystRL ist Steueranspruch der Anspruch, den der Fiskus nach dem Gesetz gegenüber dem Steuerschuldner von einem bestimmten Zeitpunkt ab auf die Zahlung der Steuer geltend machen kann, selbst wenn Zahlungsaufschub gewährt werden kann. Die Vorschrift enthält keine Regelungen über die Festsetzungs- bzw. Zahlungsverjährung. Der Wortlaut der Vorschrift ergibt vielmehr, dass die Zahlungs- und Festsetzungsfristen sich nach dem jeweiligen nationalen Recht richten und nicht harmonisiert sind. Die Bestimmungen über den Zeitpunkt des Eintretens des Steuertatbestands und des Steueranspruchs sind erforderlich, um einen einheitlichen Anknüpfungspunkt für andere materiell-rechtliche Regelungen der Richtlinie zu finden, wie etwa die Bestimmung der Fristen über die Rechnungsausstellung, den Zeitpunkt des Vorsteuerabzugsrechts und die Festlegung des Steuererklärungszeitraums. Eine nationale Gesetzesregelung oder Verwaltungspraxis, nach der sich der Beginn der Verjährungsfrist für die Rückforderung eines ungerechtfertigten Vorsteuerabzugs nach dem Zeitpunkt richtet, zu dem der Vorsteuerabzug erstmals (in der Steuererklärung) geltend gemacht worden ist, steht Art. 62ff. MwStSystRL (zuvor: Art. 10 der 6. EG-Richtlinie) nicht entgegen.[1] Ein Mitgliedstaat, der den Vorsteuerabzug aufgrund ungenauer Rechnungen ablehnt, ist im Hinblick auf den Neutralitätsgrundsatz nicht verpflichtet, dem Rechnungsaussteller, d. h. dem leistenden Unternehmer die in der Rechnung ausgewiesene MwSt zu erstatten. Der Steueranspruch gegenüber dem leistenden Unternehmer auf der Ausgangsseite hängt somit nicht von der tatsächlichen Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug auf der Eingangsseite ab.[2]

 

Rz. 162

Nach Art. 63 MwStSystRL treten der Steuertatbestand und der Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird. Nach der durch die Richtlinie 2000/65/EG des Rates v. 17.10.2000[3] mWv 1.1.2002 eingefügten Bestimmung in Art. 64 Abs. 2 MwStSystRL können die Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen vorsehen, dass kontinuierliche Warenlieferungen und Dienstleistungen, die sich über einen bestimmten Zeitraum erstrecken, mindestens jährlich als bewirkt gelten. Die Ergänzung gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, bei bestimmten Dauerschuldverhältnissen, z. B. Stromlieferungsverträgen oder Managementdienstleistungen, eine zeitgerechte Versteuerung sicherzustellen. Sie deckt nicht nur Fälle ab, in denen im Voraus festgelegte aufeinanderfolgende Abrechnungen oder Zahlungen nicht vereinbart wurden, sondern auch die Fälle, in denen diese Abrechnungen oder Zahlungen in Zeitabständen von mehr als einem Jahr erfolgen. Mitgliedstaaten, die von der Regelung Gebrauch machen, müssen einen Zeitraum festlegen, der mindestens ein Jahr beträgt. Sie können aber auch Zeiträume von mehr als einem Jahr vorsehen.

Zu der Frage, ob Art. 63 MwStSystRL – entgegen seinem Wortlaut – im Fall eines Spielervermittlers im Profifußball, der seine Provision erst viel später, nach dem er seine Vermittlungsleistung erbracht hat, erhält, einschränkend dahin auszulegen sind, dass die MwSt erst entsteht, wenn das Entgelt fällig ist oder unbedingt geschuldet wird, hat der EuGH entschieden, dass – unter den Umständen des Ausgangsverfahrens – die MwSt nicht zum Zeitpunkt der Vermittlung, sondern mit Ablauf des Zeitraums entsteht, auf den sich die vom Verein geleisteten Zahlungen beziehen. Art. 63 MwStSystRL regelt, dass Steuertatbestand und -anspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem [...] die Dienstleistung erbracht wird. Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL bestimmt den Zeitpunkt, zu dem Dienstleistungen als "bewirkt" anzusehen sind, wenn sie "zu aufeinander folgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass [geben]". Hiernach ist für den EuGH ein Verständnis für den Ausgangsfall dahingehend möglich, dass Steuertatbestand und -anspruch erst im jeweiligen Jahr der Ratenzahlung entstanden sind.[4] Der EuGH hat m. E. mit seinem Urteil nicht die Sollbesteuerung grundsätzlich eingeschränkt, sondern ganz offensichtlich "nur" eine Einzelfallentscheidung in Bezug auf Spielervermittler getroffen. Statt auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung dürfte es in vergleichbaren Einzelfällen künftig auch im Rahmen der Sollbesteuerung auf den jeweiligen Zeitpunkt der Entgeltvereinnahmung ankommen. Dies gilt nach dem EuGH-Urteil v. 28.10.2021[5] jedenfalls für eine in Raten vergütete einmalige Dienstleistung, die nicht in den Anwendungsbereich von Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL fällt. Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL ist im Licht von Art. 63 MwStSystRL auszulegen. Zum einen ist nach Art. 63 MwStSystRL für Steuertatbestand und Steueranspruch auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung ...

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