Rz. 174

Die Organschaft im Umsatzsteuerrecht betrifft nach der aktuellen Gesetzesfassung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG die Selbstständigkeit einer Kapitalgesellschaft ausschließlich unter umsatzsteuerlicher Betrachtungsweise. Soweit eine Kapitalgesellschaft in das Unternehmen eines anderen Unternehmers nach dem Gesamtbild der Verhältnisse

  • finanziell,
  • wirtschaftlich und
  • organisatorisch

eingegliedert ist, ist die Kapitalgesellschaft nicht mehr selbstständig tätig. Entscheidend für die Beurteilung der Voraussetzungen der Organschaft ist das Innenverhältnis, da die Beteiligten im Außenverhältnis regelmäßig selbstständig auftreten. Liegen die Voraussetzungen der Organschaft vor, ist die Kapitalgesellschaft nicht (mehr) Unternehmer i. S. d. UStG, da mit der Selbstständigkeit eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Unternehmereigenschaft fehlt. Der Unternehmer (Organträger), in dessen Unternehmen die Gesellschaft (Organgesellschaft) eingegliedert ist, übernimmt alle umsatzsteuerlichen Rechte und Pflichten der Organgesellschaft. Wesentliche wirtschaftliche Rechtsfolge ist nach der bisher national seit Einführung der Organschaft unbestrittenen Auslegung, dass zwischen den Teilen des Organkreises nur nicht steuerbare Innenumsätze vorliegen können.[1] Die Organschaft ist national kein Wahlrecht, liegen alle Voraussetzungen vor, treten die Rechtsfolgen der Organschaft von Gesetz her ein. Auch in den Fällen, in denen die Betroffenen die Organschaft nicht erkannt hatten, können sich nachträglich erhebliche Änderungen für die Steuerfestsetzung sowie für die Steuerschuldnerschaft ergeben. Aufgrund der unionsrechtlichen Auslegung der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG können unter einschränkenden Bedingungen auch Personengesellschaften weisungsgebunden in einen Organkreis eingebunden sein.

[1] Vgl. dazu Rz. 193a ff.

5.1 Entwicklung der Organschaft

 

Rz. 175

Die Organschaft im Umsatzsteuerrecht hat eine lange historische Entwicklung. Ursprünglich insbesondere durch die Rechtsprechung des RFH entwickelt, fand die Organschaft im Jahr 1934 Eingang in das UStG. Seit diesem Zeitpunkt ist die Organschaft – in unterschiedlicher Ausprägung – im deutschen Umsatzsteuerrecht verankert.

 

Rz. 176

Die Organschaft hatte in dem vor 1968 geltenden Umsatzsteuersystem – einem Allphasensystem ohne Vorsteuerabzugsberechtigung – eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung, da nach diesem System auf jeder Handelsstufe eine USt – in unterschiedlicher Höhe – entstand und der Leistungsempfänger, unabhängig ob Unternehmer oder Endverbraucher, keine Entlastung von der auf der vorigen Stufe entstandenen USt durch einen Vorsteuerabzug erfuhr. Eine organschaftliche Verbindung, die mehrere aufeinander folgende Fertigungs- oder Handelsstufen zu einem Organkreis und damit zu einem einheitlichen Unternehmen verband, führte im Ergebnis zu einer deutlichen Verringerung der insgesamt auf dem Endprodukt lastenden USt, da die Umsätze innerhalb des Organkreises als Innenumsätze nicht der Besteuerung unterlagen. Um einer Konzentrationswirkung der Organschaft aus diesen umsatzsteuerrechtlichen Gründen entgegenzuwirken, war 1961[1] eine Mindestbeteiligung von mehr als 75 % der Anteile und der Stimmrechte an der Organgesellschaft eingeführt worden. Mit Einführung des UStG 1967 entfiel diese Voraussetzung wieder, da der wesentliche wirtschaftliche Grund für die Zusammenballung zu einem Organkreis durch die Einführung der Vorsteuerabzugsberechtigung entfallen war.

 

Rz. 177

In das UStG 1967[2] – in dem das derzeit gültige Umsatzsteuersystem mit Vorsteuerabzugsberechtigung erstmals umgesetzt wurde – wurde die Grundregelung für die Organschaft mit übernommen, obwohl mit dem eingeführten Vorsteuerabzug das wirtschaftlich bedeutendste Argument für die Organschaft entfallen war. Soweit vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer Leistungen untereinander austauschen, ist es nach wirtschaftlicher Betrachtung unerheblich, ob untereinander nicht steuerbare Innenumsätze[3] oder steuerbare Umsätze mit Vorsteuerabzugsberechtigung des Leistungsempfängers erbracht werden. In der damaligen Gesetzesbegründung ist zur systematischen Begründung für die Beibehaltung des Instituts der Organschaft wenig enthalten. Es wurde lediglich angemerkt, dass das Institut der Organschaft zur Vermeidung unnötiger Verwaltungsarbeit in der Wirtschaft beibehalten werde. Steuerliche Auswirkungen seien mit der Organschaft wegen des Vorsteuerabzugs grundsätzlich nicht verbunden.[4]

 

Rz. 178

In das UStG 1980[5] wurde die Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG unverändert übernommen. Aus unionsrechtlichen Gründen wurde dann aber durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986[6] die Regelung um die S. 2 bis 4 erweitert. Durch diese Erweiterung wurde die Wirkung der Organschaft auf das Inland beschränkt. Damit wurde die Regelung über die Organschaft in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht gebracht, da nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie es jedem Mitgliedstaat freistand, nach Konsultation gem. Art. 29 der 6. EG-Richtlinie[7] im Inland ansässige Pe...

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