Rz. 3

§ 39 Abs. 1 FGO normiert abschließend – ohne materiell-rechtliche Kriterien für die Zuständigkeitsbestimmung vorzugeben – die nachfolgenden Fälle, in denen das zuständige FG durch den BFH bestimmt wird, und verbietet damit eine entsprechende Anwendung von § 36 ZPO im finanzgerichtlichen Verfahren.[1] Eine Zuständigkeitsbestimmung durch den BFH aus anderen als den nachfolgenden Gründen ist nicht statthaft.[2]

2.1 Verhinderung des zuständigen FG (Abs. 1 Nr. 1)

 

Rz. 4

Ist das an sich zuständige FG in einem einzelnen Fall an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit rechtlich oder tatsächlich verhindert, bestimmt der BFH das zuständige FG. Dazu reicht es aber nicht aus, dass ein einzelner von mehreren Senaten des FG verhindert ist, vielmehr müssen so viele Richter des Gerichts im organisatorischen Sinne verhindert sein, dass überhaupt kein beschlussfähiger Spruchkörper mehr besteht.[1] Auch eine nur vorübergehende Verhinderung dürfte unter Rechtsschutzgesichtspunkten nicht die Zuständigkeitsbestimmung des BFH eröffnen.[2]

 

Rz. 5

Das zuständige FG ist aus rechtlichen Gründen z. B. dann verhindert, wenn die Gesamtheit der am FG tätigen Richter – ohne dass ein beschlussfähiger Spruchkörper mit noch drei Berufsrichtern übrig bleibt[3] – wegen Ausschließung[4] oder der erfolgreichen Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit[5] in einer konkreten Streitsache an der Ausübung der Gerichtsbarkeit nicht mehr tätig werden können.[6]

 

Rz. 6

Das zuständige FG ist aus tatsächlichen Gründen dann verhindert, wenn es z. B. infolge von Katastrophen oder längerer Krankheit oder Tod der Richter funktionsunfähig geworden sein sollte.[7] Solange aber geschäftsplanmäßige Vertreter weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen verhindert sind und daher noch ein beschlussfähiger Spruchkörper besteht, ist das FG noch nicht funktionsunfähig.

 

Rz. 7

Die Norm setzt allerdings ein an sich zuständiges FG voraus. Daran fehlt es, wenn ein gesetzlich vorgesehenes Gericht gar nicht vorhanden ist.[8] Auch eine möglicherweise nicht vorschriftsmäßige Besetzung des zuständigen FG rechtfertigt keine Zuständigkeitsbestimmung durch den BFH, weil es Sache des zuständigen Ministeriums ist, für die Möglichkeit einer vorschriftsmäßigen Besetzung dieses FG Sorge zu tragen.[9] Dementsprechend bietet § 39 Abs. 1 Nr. 1 FGO insgesamt auch keine Grundlage für die Wahrnehmung von Aufgaben der Gerichtsorganisation des an sich zuständigen FG durch den BFH. Einen gerichtsinternen Streit darüber, welcher Senat des FG nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständig ist (negativer Kompetenzkonflikt), entscheidet daher das Präsidium des FG[10] und nicht der BFH.[11]

[2] Steinhauff, in HHSp, AO/FGO, § 39 FGO Rz. 58.
[3] BFH v. 28.9.1984, VI S 5/84 (NV).
[6] BFH v. 30.6.1998, IX S 24/97, BFH/NV 1999, 62; BFH v. 14.11.1988 VIII S 10/88, BB 1989, 349.
[8] Nicht ordnungsgemäße Konstituierung des Gerichts, § 3 Abs. 1 FGO; BFH v. 18.7.1968, I S 7/68, BStBl. II 1968, 744.

2.2 Ungewissheit über den Gerichtsbezirk eines FG (Abs. 1 Nr. 2)

 

Rz. 8

Nach § 39 Abs. 1 Nr. 2 FGO wird das örtlich zuständige FG durch den BFH bestimmt, wenn es wegen der Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke nicht eindeutig bestimmbar ist. Die Ungewissheit muss tatsächlicher Art sein, z. B. die räumliche Zuordnung des Wohnsitzgrundstücks[1] oder der Verwirklichung eines zollrechtlichen Tatbestands[2] zum Gerichtsbezirk. Im Übrigen erscheint eine Ungewissheit wegen der Gerichtsbezirksgrenzen aufgrund der Anknüpfung an den Beklagtensitz[3] ausgeschlossen. Eine rechtliche Ungewissheit begründet nicht die Anwendbarkeit der Regelung.[4]

2.3 Positiver Zuständigkeitskonflikt mehrerer FG (Abs. 1 Nr. 3)

 

Rz. 9

Haben sich mehrere FG rechtskräftig für zuständig erklärt (sog. positiver Kompetenzkonflikt), kann eine Entscheidung des BFH über das zuständige FG (auch ein solches, das sich bisher gar nicht selbst für zuständig erklärt hat) herbeigeführt werden. Dies setzt denklogisch eine mehrfache Rechtshängigkeit derselben Sache (identische Streitgegenstände) voraus, wobei sich die jeweils angerufenen FG rechtskräftig (z. B. durch Beschluss nach § 70 Abs. 1 FGO i. V. m. § 17a Abs. 1 GVG oder durch Zwischenurteil nach § 97 FGO) für zuständig erklärt haben müssen.

 

Rz. 10

Allerdings kann eine Zuständigkeitsbestimmung durch den BFH nicht mehr vorgenommen werden, wenn ein FG bereits in der Sache rechtskräftig entschieden hat.[1] Das später ergangene Urteil kann allenfalls noch im Wege einer sog. Restitutionsklage beseitigt werden.[2] Zu der gleichlautenden Regelung des § 36 Nr. 3 ZPO...

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