1 Allgemeines

 

Rz. 1

Die moderne Informationstechnologie hat Gesellschaft und Wirtschaft gerade in jüngerer Zeit spürbar verändert. Technische Entwicklungen, wie das Internet und seine Möglichkeiten zur Gestaltung von Prozessen, haben Eingang in das Besteuerungsverfahren sowie in die Strategien der Steuervermeidung gefunden.

 

Rz. 2

§ 88b AO wurde mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens[1] in die AO eingefügt. Ausweislich des Namens, aber auch des Inhalts diente dieses Gesetz dazu, das Besteuerungsverfahren für Stpfl., Angehörige der steuerberatenden Berufe und für die Finanzverwaltung in einer den modernen technischen Anforderungen entsprechenden Weise umzugestalten. Dabei sollten aber nicht nur bürokratische Belastungen reduziert, sondern auch die Handhabbarkeit des Besteuerungsverfahrens verbessert, vereinfacht und erleichtert werden.[2]

 

Rz. 3

§ 88b AO trat am 23.7.2016 in Kraft und ist schon auf alle zu diesem Zeitpunkt noch anhängigen Verfahren anzuwenden.[3]

[1] v. 18.7.2016, BGBl I 2016, 1679.
[2] Gläser/Schöllhorn, DStR 2016, 1577, 1577.
[3] Art. 23 Abs. 2 des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens v. 18.7.2016, BGBl I 2016, 1679, 1709.

1.1 Gegenstand und Zweck der Vorschrift

 

Rz. 4

Zu den unterstützenden technischen Anforderungen an das Besteuerungsverfahren zählt dabei gerade auch die Reaktionsmöglichkeit der Verwaltung auf Steuerverkürzungen durch immer stärkere Nutzung der innovativen technischen Möglichkeiten. Zu diesem Zweck wurde mit der Regelung des § 88b AO die Berechtigung geschaffen, länderübergreifend Klardaten aus Steuerverwaltungsverfahren und Straf- oder Bußgeldverfahren in Steuersachen, die für eine automationsgestützte Verhinderung und Bekämpfung von Steuerverkürzungen, die länderübergreifend oder von internationaler oder erheblicher Bedeutung sind, bereitzustellen und untereinander abzurufen, im Wege des automatisierten Datenabgleichs zu überprüfen, zu verwenden und zu speichern.[1] Einer vorhergehenden Anonymisierung oder Pseudonymisierung[2] der Daten bedarf es dabei nicht.

 

Rz. 5

Im Grundsatz besteht die Bedeutung des § 88b AO in der Bereitstellung von Klardaten zur zweckbezogenen Verwendung im Wege des automatisierten Datenabgleichs und der dadurch eröffneten Weiterverwendung für Zwecke der automatisierten Risikoausfilterung einer hinreichend risikorelevanten Teilmenge der ausgewerteten Daten. Zu diesem Zweck sichert die Norm den Datenaustausch zwischen den zuständigen Finanzbehörden der Länder und des Bundes datenschutzrechtlich ab.[3]

[1] v. Wedelstädt, AO-StB 2016, 196, 197.
[2] Legaldefinition in Art. 4 Nr. 5 DSGVO.
[3] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 88b AO Rz. 1.

1.2 Anwendungsbereich

 

Rz. 6

Die in der Steuerverwaltung vorhandenen Daten werden durch eine bessere Vernetzung speziell für diese Aufgabe berufener und übergreifend tätiger Stellen einer verbesserten Aufbereitung und Auswertung zugeführt. Diese Analysen führen zu Erkenntnissen, die für den Zuständigkeitsbereich des ausführenden Landes oder des Bundes, aber insbesondere und gezielt auch übergreifend von Bedeutung sind.

 

Rz. 7

Die Daten werden durch die dafür zuständigen Stellen der Finanzverwaltungen des Bundes und der Länder genutzt. Zunächst ist die Datenauswertung und Nutzung für den Bereich der USt, insbesondere für Umsatzsteuerkarusselle, vorgesehen.

 

Rz. 8

Ohne Beschränkung der föderalen Zuständigkeiten setzt eine solche Strategie einen analytischen Zugriff auch auf Daten der anderen Länder- oder Bundesfinanzbehörden – auch für Ermittlungs- und Auswertungszwecke – voraus. Dem dient § 88b AO. Die Vorschrift ist auf ein wechselseitiges Verfahren ausgerichtet. Sie schafft keine einseitigen Berechtigungen.

1.3 Verhältnis zu anderen Vorschriften

 

Rz. 9

§ 88b AO schafft eine ergänzende Aufgabe und Datennutzungsberechtigung im Besteuerungsverfahren ohne Verletzung des § 30 AO. Teilweise wird § 88b AO als Gesetz im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO zur Einschränkung des Steuergeheimnisses gesehen.[1] Dem ist aber nicht zu folgen. Vielmehr stellt das in § 88b AO geregelte Verfahren selbst ein Verwaltungsverfahren in Steuersachen dar (s. Rz. 27).

 

Rz. 10

Durch die Eröffnung der auf eigene Aufgaben bezogenen Nutzungsberechtigung wird zugleich klargestellt, dass hier Aufgaben des jeweiligen Landes oder des Bundes erfüllt werden. Die Aufgabenzuweisung an das Bundeszentralamt für Steuern, nach § 5 Abs. 1 Nr. 16 FVG umsatzsteuerlich erhebliche Informationen zur Identifizierung prüfungswürdiger Sachverhalte zusammenzuführen und auszuwerten, stellt – insoweit hat § 88b AO klarstellenden Charakter – also keine ausschließliche Zuständigkeitszuweisung dar. Vielmehr haben auch die Länder die Befugnis, eigenständig Datenauswertungen vorzunehmen. Diese Klarstellung des Gesetzgebers in § 88b AO geht mit der gleichzeitigen Schaffung der dafür benötigten Befugnisse einher.

 

Rz. 11

Durch die Schaffung einer zweckbestimmten Erlaubnisnorm hat der Gesetzgeber gleichzeitig von seiner negativen Regelungskompetenz Gebrauch gemacht. In anderen als den gesetzlich geregelten Fällen[2] ist ein unmittelbarer Datenabruf zu analytischen Zwecken und übe...

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