Rz. 16

Durch die Regelung des § 9 OWiG werden Handlungen, die ein Vertreter (z. B. der Geschäftsführer einer juristischen Person) für einen anderen vorgenommen hat und die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllen – wie im allgemeinen Strafrecht durch § 14 StGB –, dem Vertretenen zugerechnet. Folglich kann z. B. der handelnde Geschäftsführer nicht nur belangt werden, wenn Normadressat der Steuerpflichtige ist, sondern auch, wenn der Normadressat z. B. der Gewerbetreibende oder der Arbeitgeber ist. Beides würde ohne die Anwendung von § 9 OWiG nur auf die GmbH zutreffen, die aber nicht belangt werden kann, weil sie nicht Handelnde ist. Durch § 9 OWiG werden hingegen die besonderen persönlichen Merkmale des Normadressaten bestimmten Handelnden zugerechnet; sie werden somit beim Handelnden fingiert.

 

Rz. 17

Die Zurechnung nach § 9 OWiG erfolgt jedoch nur, wenn der Handelnde als

  • Organ,
  • vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft,
  • gesetzlicher Vertreter,
  • Betriebsleiter oder
  • Beauftragter

agiert.

Vertretungsberechtigte Organe einer juristischen Person sind diejenigen, denen die Geschäftsführung für die juristische Person nach außen und nach innen obliegt, wobei es nicht darauf ankommt, ob das einzelne Organ die juristische Person selbständig rechtsgeschäftlich vertreten kann oder ob im konkreten Fall eine rechtsgeschäftliche Handlung vorliegt.[1] Eine fehlerhafte Bestellung des Organs führt nach § 9 Abs. 3 OWiG ebenfalls zur Anwendbarkeit des § 9 Abs. 1 OWiG und ist folglich unbeachtlich. Ob auch faktische Organe in den Anwendungsbereich des § 9 OWiG fallen, ist umstritten, wird von der Rechtsprechung jedoch bejaht.[2]

 

Rz. 18

Betriebsleiter i. S. d. § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG ist, wer kraft ausdrücklichen Auftrags die selbstständige und eigenverantwortliche Leitung eines Betriebes oder eines organisatorisch abgetrennten Teilbetriebs übernommen hat und diese auch tatsächlich ausübt. Auf die im Einzelnen für die Stelle gewählte Bezeichnung kommt es nicht an, sodass z. B. auch ein Prokurist oder ein "Direktor" hierunter fallen kann. Es ist insoweit jedoch zu beachten, dass die Verantwortlichkeit des Betriebsleiters nur so weit gehen kann, wie er auch über Entscheidungsbefugnisse verfügt.[3]

 

Rz. 19

Darüber hinaus ist auch derjenige als "Beauftragter" verantwortlich, der kraft ausdrücklichen Auftrags die eigenverantwortliche Wahrnehmung von Pflichten des Betriebsinhabers übernommen hat. Mithin handelt es sich bei nachgeordneten Weisungsempfängern ohne eigene Entscheidungsbefugnis nicht um Beauftragte i. S. d. § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 OWiG. Der Umfang der eigenverantwortlichen Entscheidungskompetenz muss hinreichend klar umrissen sein und die Verantwortlichkeit des Beauftragten reicht nur so weit, wie auch die Wahrnehmung der Aufgabe in eigener Verantwortung übertragen wurde. Ein Beauftragter i. S. d. § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 OWiG kann z. B. ein Compliance Officer sein[4], es ist allerdings nicht erforderlich, dass es sich bei ihm um einen Betriebsangehörigen handelt. Mit der eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Pflichten des Betriebsinhabers können vielmehr auch z. B. Wirtschaftsprüfer, Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte beauftragt werden.[5]  Die bloße Wahrnehmung der Aufgaben für den Betriebsinhaber ohne ausdrücklichen Auftrag reicht allerdings nicht aus.[6]

Zur Ahndungsmöglichkeit für Organisationsverschulden nach § 130 OWiG vgl. Vor §§ 377384 Rz. 5ff.

[1] Göhler/Gürtler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 9 OWiG Rz. 9 m. w. N.
[3] BayObLG v. 28.10.1987, 3 Ob OWi 120/87, wistra 1988, 162; OLG Stuttgart v. 28.5.1980, 1 Ss 406/80, Die Justiz 1980, 419.
[5] Göhler/Gürtler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 9 OWiG Rz. 23.
[6] OLG Hamm v. 4.11.1977, 4 Ss OWi 1737/77, MDR 1978, 598.

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