Rz. 154

Auch in den Fällen des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO ist die erstmalige Steuerfestsetzung, Änderung oder Aufhebung einer Steuerfestsetzung nur bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist zulässig. Die Festsetzungsfrist beginnt jedoch, abweichend von § 170 Abs. 1 AO, erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eintritt. Es handelt sich um eine von § 170 AO abweichende Regelung zum Beginn der Festsetzungsfrist. Nach Eintritt des Ereignisses steht ein voller Verjährungszeitraum von 4 Jahren zur Verfügung, dieses Ereignis durch Erlass, Änderung oder Aufhebung von Steuerbescheiden steuerlich zu berücksichtigen. Diese Vorschrift hat auch Bedeutung für den erstmaligen Erlass eines Steuerbescheids; auch für die erstmalige Steuerfestsetzung wird der Beginn der Festsetzungsfrist hinausgeschoben.

 

Rz. 155

Nach der Rechtsprechung [1] beginnt die Festsetzungsfrist bei jedem rückwirkenden Ereignis neu zu laufen, auch wenn jedes den gleichen Veranlagungszeitraum betrifft. Besteht etwa bei der InvZul eine Verbleibensfrist für das Wirtschaftsgut von drei Jahren und wird diese Voraussetzung für jedes der drei Jahre nicht eingehalten, beginnt die Festsetzungsfrist nach § 175 Abs. 1 S. 2 AO mit dem Ende jedes der drei Jahre neu zu laufen, sodass sich die endgültige Festsetzungsfrist nach der mit dem Ende des letzten der drei Jahre beginnenden Festsetzungsfrist ermittelt. M. E. ist dem nicht zu folgen. Der Tatbestand des Wegfalls der InvZul ist endgültig mit dem ersten Jahr des Verstoßes gegen die Verbleibensvoraussetzungen eingetreten; in den übrigen Jahren wird dem aus steuerlicher Sicht nichts hinzugefügt. Das bedeutet, dass die Nichterfüllung der Verbleibensfrist in den folgenden Jahren keine steuerliche Wirkung mehr hat und daher auch keine Rückwirkung mehr haben kann. BFH v. 25.9.1995, III R 53/93, BStBl II 1997, 269 beantwortet die Frage nicht, was die steuerliche Wirkung des Nichtverbleibens in diesen Jahren sein soll. Wenn die Ereignisse dieser Jahre aber keine steuerliche Wirkung haben, kann sich die Frage des rückwirkenden Eintritts dieser Wirkungen nicht stellen.

 

Rz. 156

Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn der Festsetzungsfrist für die Änderung aufgrund einer Bilanzberichtigung ist der Erlass des Änderungsbescheids, in dem die Korrektur des Betriebsvermögens erstmalig berücksichtigt wurde. Wird dieser Bescheid angefochten, ist auf denjenigen Zeitpunkt abzustellen, in dem die Bilanzkorrekturen materiell wirksam wurden, also ggf. der Eintritt der Rechtskraft des gerichtlichen Urteils. Erst in diesem Zeitpunkt steht die Bilanzänderung als rückwirkendes Ereignis endgültig fest. Erst zu diesem Zeitpunkt ist die rückwirkende Änderung des Sachverhalts eingetreten.[2]

 

Rz. 157

Bei einer Festsetzung von Kindergeld besteht das rückwirkende Ereignis in dem Überschreiten der Einkünfte- und Bezügegrenze. Ab diesem Zeitpunkt beginnt die Festsetzungsfrist zu laufen.[3]

 

Rz. 158

Der abweichende Beginn der Festsetzungsfrist gilt nur für denjenigen Teil der Steuerschuld, der auf dem rückwirkend eingetretenen Ereignis beruht. Für das Herausschieben des Beginns der Festsetzungsfrist für die gesamte Steuerschuld besteht keine sachliche Rechtfertigung. Die Regelung des Abs. 1 S. 2 ist gerechtfertigt, da die Finanzverwaltung keine Schritte zur Realisierung des Steueranspruchs tun kann, wenn das Ereignis noch nicht eingetreten ist; für die anderen Teile der Steuerschuld gilt dies jedoch nicht. Bei der Bedeutung, die die Festsetzungsfrist für den Rechtsfrieden hat, verbietet sich eine ausdehnende Auslegung.

 

Rz. 159

Dies gilt auch, wenn eine Steuer aufgrund des rückwirkenden Ereignisses erstmals festgesetzt wird. Festzusetzen ist dann (nur) die Steuer, die auf dem rückwirkenden Ereignis beruht. Steuerliche Auswirkungen anderer Sachverhalte, die vorher versehentlich nicht berücksichtigt worden sind, können nicht einbezogen werden. Allerdings gilt auch insoweit § 177 AO.

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