Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldfestsetzung: Auswirkungen einer rückwirkend nachgezahlten Waisenrente - Zuflußprinzip

 

Leitsatz (redaktionell)

Keine Berücksichtigung des Zuflussprinzips bei der Prüfung, ob ein Kind wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, S. 2, § 11

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 04.11.2003; Aktenzeichen VIII R 43/02)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte zu Recht den Antrag der Klägerin auf Zahlung von Kindergeld (KG) abgelehnt hat, weil der Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) deshalb überschritten ist, weil das Kind im Jahre 2001 eine Nachzahlung für eine rückwirkend ab 1. Januar 1995 bewilligte Waisenrente erhalten hat. Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Klägerin hat eine 1964 geborene Tochter. Die Tochter ist seit ihrer Geburt dauerhaft behindert. Der Grad der Behinderung beträgt zurzeit 60 %. Sie ist seit dem 2. Dezember 1996 in einer Behindertenwerkstatt beschäftigt, dort seit dem 2. Juni 1996 in der Produktion eingesetzt und erzielt ein monatliches Bruttoentgelt von zurzeit 351 DM.

Die Klägerin ist seit 1990 verwitwet. Sie war zunächst nicht darüber informiert, dass ihrer Tochter bereits seit dem 1. Dezember 1990 eine Waisenrente zugestanden hätte. Nach Antragstellung wurde eine solche rückwirkend ab dem 1. Januar 1995 in Höhe von monatlich 716 DM bewilligt. Für den Zeitraum 1. Dezember 1990 bis 31. Dezember 1994 waren die Ansprüche verjährt. Die Nachzahlung für den Zeitraum 1. Januar 1995 bis 31. Dezember 2000 erfolgte im Jahr 2001 in einer Summe. Die Einkünfte aus der Nachzahlung, der laufenden Rente und den Einnahmen aus der Arbeit in der Behindertenwerkstatt beliefen sich im Jahre 2001 auf knapp 57.000 DM.

Der Beklagte zahlte der Klägerin laufend KG für ihre Tochter. Mit Bescheid über die Aufhebung der KG-Festsetzung gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) vom 3. April 2001 wurde das KG für die Tochter ab 1. Januar 2001 auf 0,-- DM festgesetzt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das voraussichtliche Einkommen der Tochter aufgrund der Nachzahlung des Waisengeldes die KG-schädliche Grenze überschreite. Nach den Darlegungen der Klägerin wurde das für die Monate Januar bis April 2001 bereits geleistete KG durch Aufrechnung mit der monatlichen Besoldung der Klägerin zurückgefordert.

Dagegen erhob die Klägerin Einspruch und führte zur Begründung aus:

Der Hinweis auf die KG-schädliche Grenze greife im Streitfall nicht ein, weil für die Tochter KG gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG bezahlt werde und für diese Alternative die KG-schädliche Einkommens- und Bezügegrenze nicht gelte, sondern nur für die Alternativen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG in Betracht komme. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die relativ hohen Einkünfte für das Kalenderjahr 2001 auf nachentrichtete Rentenzahlungen für den Zeitraum ab 1. Januar 1995 zurückzuführen seien. Wenn der Betrag auf die einzelnen Monate umgelegt würde, würden sich Renteneinkünfte von monatlich ca. 716 DM ergeben. Diese Summe würde unter Berücksichtigung der eigenen Einkünfte der Tochter aus ihrer Tätigkeit im Behindertenwerk von monatlich 350 DM zu keinem Zeitpunkt die Bemessungsgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG erreichen. Wenn ferner berücksichtigt werde, dass für die Zeit vom 1. Dezember 1990 bis 31. Dezember 1994 ebenfalls ein Rentenanspruch bestanden habe, dieser jedoch aufgrund der berechtigten Einrede der Verjährung nicht mehr habe geltend gemacht werden können, so erscheine es keinesfalls sachgerecht, KG-Zahlungen einzustellen bzw. zurückzufordern.

Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Der Beklagte führte u. a. aus:

Im Streitfall werde die maßgebliche Einkommensgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG aufgrund der der Tochter der Klägerin im Mai 2001 geleisteten Waisengeldnachzahlung von insgesamt 44.179,79 DM und des laufenden Bezugs von monatlich 714,12 DM überschritten. Zwar weise die Klägerin zutreffend darauf hin, dass die Einkommensgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sich nur auf die Tatbestände des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG beziehe. Gleichwohl werde im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG unterstellt, dass ein behindertes Kind sich selbst nicht unterhalten könne, wenn die Einkünfte den Grenzbetrag nicht überstiegen. Bei höheren Einkünften und Bezügen könne der Anspruchsberechtigte glaubhaft machen, dass der Lebensbedarf des Kindes hierdurch noch nicht gedeckt sei. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung trete für ein behindertes Kind zum Grundbedarf (in Höhe des jeweiligen Grenzbetrages, für 2001 14.040 DM) der behinderungsbedingte Mehrbedarf hinzu, der sich ohne Einzelnachweis nach dem Behindertenpauschbetrag des § 33b EStG bemesse, so dass von einem Gesamtbedarf von 15.450 DM auszugehen sei (14.040 DM zzgl. 1.410 DM). Dem stünden Einkünfte von insgesamt 48.967,35 DM gegenüber (Waisengeldnachzahlung brutto 44.179,79...

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