Steuerunschädlich für die Tarifbegünstigung des Veräußerungsgewinns ist, wenn geringfügige Teile der Geschäftsbeziehungen zu den Auftraggebern und Mandanten aufrechterhalten werden und Gegenstand weiterer freiberuflicher Betätigung bleiben.

Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Fortführung einer Resttätigkeit durch den Veräußerer unschädlich, wenn die darauf entfallenden Umsätze in den letzten 3 Jahren weniger als 10 % der gesamten Einnahmen ausmachten.[1] Für die 10 %-Grenze muss auf die durchschnittlichen Jahreseinnahmen aus den 3 Veranlagungszeiträumen vor der Betriebsveräußerung abgestellt werden.[2]

Ob dies auch gilt, wenn die Praxisveräußerung im Laufe des Kalenderjahrs, z. B. am 1.7. eines Jahrs, erfolgt, ist nicht eindeutig. In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass die letzten 36 Monate (3 komplette Zeitjahre) vor der Praxisveräußerung zugrunde zu legen sind.[3] Dies erscheint sachgerecht und hat die Konsequenz, dass sich die Schädlichkeitsgrenze entsprechend erhöht.

 
Hinweis

Einhaltung der 10 %-Geringfügigkeitsgrenze

Wird die 10 %-Geringfügigkeitsgrenze eingehalten, ist die künftige Einnahmeentwicklung bei den zurückbehaltenen Mandanten irrelevant.[4] Daraus leitet die Finanzverwaltung ab, dass – auch bei Einhaltung der Geringfügigkeitsgrenze – jede Hinzugewinnung von Mandanten bzw. Patienten zur Versagung der Steuervergünstigung führt.[5] Jedwede Hinzugewinnung von Mandanten innerhalb des relevanten Zeitraums soll zur Versagung der Tarifprivilegien (ggf. zur Berichtigung der Steuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) führen.

Dem kann nicht zugestimmt werden. Die 10 %-Bagatellgrenze verlangt gerade nicht, dass keinerlei Tätigkeit mehr ausgeübt wird. Wenn schon die Zurückbehaltung unwesentlicher Mandantenbeziehungen unschädlich ist, muss dies auch für den Hinzuerwerb gelten. Ein Tätigkeitsvolumen bis zu "weniger als" 10 % der früheren Einnahmen ist deshalb stets unschädlich.[6]

 
Praxis-Beispiel

Maßgebend sind die Umsätze der letzten 3 Jahre vor der Veräußerung

Steuerberater A veräußert seine Einzelpraxis an eine Steuerberatungs-GmbH, deren Alleingesellschafter Steuerberater B ist. Der Veräußerungsgewinn beträgt 300.000 EUR. In den letzten 3 Jahren vor der Veräußerung erzielte A folgende Einnahmen:

 
Jahr Einnahmen insgesamt davon entfallen auf die zurückbehaltenen 6 Mandate
01 300.000 EUR 33.000 EUR = 11,0 %
02 340.000 EUR 30.600 EUR = 9,0 %
03 360.000 EUR  32.400 EUR = 9,0 %
insgesamt 1.000.000 EUR 96.000 EUR = 9,6 %

Da der auf die zurückbehaltenen 6 Mandate entfallende Umsatz weniger als 10 % des durchschnittlichen Umsatzes der letzten 3 Jahre beträgt, liegt eine begünstigte Praxisveräußerung vor. Das gilt auch, wenn der auf die zurückbehaltenen Mandate entfallende Umsatz in den Folgejahren die 10 %-Grenze übersteigt.

 
Hinweis

Ungeklärte Frage

Ob die Geringfügigkeitsgrenze auch Anwendung findet, wenn der Praxisumsatz in den letzten 3 Jahren relativ hoch war, z. B. 1 Mio. EUR im Jahr betragen hat, ist nicht geklärt. Die "Geringfügigkeitsgrenze" läge dann bei weniger als 100.000 EUR. In der Literatur werden – wohl zu Recht – Zweifel angemeldet, ob bei einer Fortführung der freiberuflichen Tätigkeit in diesem Umfang die Veräußerungsvergünstigungen gewährt werden können.[7]

[2] BFH, Beschluss v. 6.8.2001, XI B 5/00, BFH/NV 2001 S. 1561, Rz. 3; so bereits Korn, DStR 1995 S. 961, 965.
[3] Richter, Stbg 2008 S. 16.
[5] OFD Koblenz, Verfügung v. 15.12.2006, DB 2007 S. 314.
[6] So zutreffend kk, KÖSDI 2003 S. 13899; ebenso Wacker in Schmidt, EStG, 2019, § 18 Rz. 223; vgl. hierzu auch Richter, DStR 1998 S. 442, 445.
[7] Richter, Stbg 2008 S. 16.

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