Rn. 176

Stand: EL 161 – ET: 11/2022

Die Erfordernisse des § 62 Abs 2 EStG gelten nicht für solche Ausländer nebst Angehörigen, die freizügigkeitsberechtigt sind, so zB ein polnischer ArbN mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, BFH v 07.04.2011, III R 89/08, BFH/NV 2011, 1324. Es sind dies die Staatsangehörigen der EU-Staaten und ihre Familienangehörigen, deren Rechtsstellung das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreiZügG/EU) geregelt hat (1 Abs 2 Nr 1 AufenthG iVm § 2 Abs 2 FreizügG/EU v 30.07.2004, BGBl I 2004, 1950). Nach § 12 FreizügG/EU gelten dessen Regeln auch für Staatsangehörige der EWR-Staaten und ihre Familienangehörigen.

Das Freizügigkeitsrecht ergibt sich unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht; eine Bescheinigung gemäß § 5 Abs 1 FreizügG/EU hat lediglich deklaratorische Natur. Bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Kindergeldanspruch nach § 62 Abs 1 u 2 EStG muss das Freizügigkeitsrecht eines Unionsbürgers aus Art 21 Abs 1 AEUV berücksichtigt werden, solange nicht die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen dieses Rechts ausdrücklich durch förmlichen VA nach §§ 6,7 FreizüG/EU festgestellt hat, BFH v 27.04.2015, III B 127/14, BStBl II 2015, 901. So ist ein polnischer Staatsangehöriger, der für eine polnische Firma als ArbN im Inland beschäftigt ist, als freizügigkeitsberechtigter Ausländer anzusehen, obwohl die für die Aufnahme einer Beschäftigung erforderliche Genehmigung der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 284 SGB III nicht vorliegt. Hinsichtlich der Kindergeldfestsetzung oblag die Feststellung der fehlenden Freizügigkeit allein den Ausländerbehörden und den Verwaltungsgerichten, nicht jedoch den Familienkassen (BFH v 15.03.2017, III R 32/15, BStBl II 2017, 963). Für Anspruchszeiträume ab August 2019 findet § 62 Abs 1 S 4 EStG Anwendung, s Rn 152.

Das Aufenthaltsrecht entfällt auch bei Angehörigen der zum 01.01.2007 beigetretenen Mitgliedstaaten Bulgarien und Rumänien allein durch einen VA nach § 5 Abs 5, § 6 u § 7 FreizügG/EU (BSG v 30.01.2013, B 4 AS 54/12 R, BSGE 113, 60).

Zur EU bzw zum EWR gehören neben der Bundesrepublik die in A 4.5 Abs 1 S 4 DA-KG 2021 genannten Staaten. Britische Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt bereits vor dem 01.01.2021 in Deutschland begründet haben, stehen nach dem Austrittsabkommen EU/VK einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger gleich. Dies gilt grds, bis der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland aufgegeben wird, A 4.2 Abs 2 DA-KG 2021. Entsprechendes gilt für die Staatsangehörigen der Schweiz, A 4.5 Abs 1 S 3 DA-KG 2021. Grundsätzlich ist bei Staatsangehörigen der EU- bzw EWR-Staaten und der Schweiz von der Freizügigkeitsberechtigung auszugehen, A 4.2 Abs 3 S 1 DA-KG 2021. Ergeben sich für die Familienkasse im Einzelfall konkrete Umstände, aufgrund derer Zweifel an der Freizügigkeitsberechtigung bestehen, hat sie das Vorliegen der Feizügigkeitsberechtigung zunächst in eigener Zuständigkeit zu prüfen, ggf kann bzw soll sie die Ausländerbehörde hinzuziehen, A 4.2 Abs 3 S 2ff DA-KG 2021.

Seit dem 01.05.2010 gelten im Verhältnis zu den EU-Staaten die VO (EG) Nr 883/2004 iVm der VO (EG) Nr 987/2009; im Verhältnis zu den EWR-Staaten gelten die vorgenannten Vorschriften ab dem 01.06.2012, ausführlich dazu s § 65 Rn 91ff (Pust). Die genannten VO regeln unter anderem, welches nationale Recht – das des Wohnsitzstaats oder das des Beschäftigungsstaats – auf bestimmte Personen Anwendung findet. Ferner finden sich Konkurrenzregelungen, ausführlich dazu s § 65 Rn 91ff (Pust) zu VO (EG) Nr 883/2004 und VO (EG) Nr 987/2009 sowie zu VO (EWG) Nr 1408/71 und VO (EWG) Nr 574/72; s § 65 Rn 161ff (Pust).

Ab dem 01.01.2011 gilt in allen Mitgliedsstaaten der EU mit Ausnahme von Dänemark und Großbritannien anstelle der VO (EG) Nr 859/2003 die VO (EU) Nr 1231/2010. Danach gelten die VO (EG) Nr 883/2004 und die VO (EG) Nr 987/2009 für Angehörige von Drittstaaten, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter die genannten VO fallen, sowie für ihre Familienangehörigen und ihre Hinterbliebenen, wenn sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedsstaaten haben und sich in einer Lage befinden, die nicht ausschließlich einen einzigen Mitgliedsstaat betrifft.

Im Verhältnis zu den EWR-Staaten und der Schweiz finden die VO (EG) Nr 883/2004 und die VO (EG) Nr 987/2009 für vorgenannte Angehörige von Drittstaaten so lange keine Anwendung, bis die Drittstaaten den Regelungen zugestimmt haben, EuGH v 18.10.2010, C-247/09, HFR 2011, 115 (Xhymshiti).

Die Richtlinie 2011/98/EU v 13.12.2011, die bis zum 25.12.2013 in nationales Recht umzusetzen war, regelt in Art 12 Abs 1 Buchst e, dass nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer, die über eine kombinierte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis verfügen, beim Anspruch auf Familienleistungen das Recht auf Gleichbehandlung mit deutschen Staatsangehörigen haben (BZSt v 29.12.2013, BStBl I 2013, 1505).

Nach dem Urteil der großen Kammer des E...

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