Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenz. Nachteilsausgleich. Interessenausgleich. Sozialplan. Masseunzulänglichkeit. Betriebsstilllegung. Betriebsänderung. Insolvenzeröffnung. Beginn nach Insolvenzeröffnung

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG ist dann einfache Insolvenzforderung gem. § 38 InsO, wenn die Betriebsstilllegung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begonnen und der Versuch eines vorherigen Interessenausgleichs unterblieben ist, hingegen Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn die Betriebsänderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen und durchgeführt wird.

 

Normenkette

BetrVG § 113 Abs. 3; InsO §§ 38, 55 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Urteil vom 10.11.2005; Aktenzeichen 3 Ca 2374/05)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 10.11.2005 – 3 Ca 2374/05 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass dem Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung als Masseverbindlichkeit gemäß § 209 Abs. 1 Ziff. 3 InsO in Höhe von 41.070,00 EUR zusteht.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Nachteilsausgleichsanspruchs im Rahmen eines Insolvenzverfahrens.

Der Kläger trat 1968 in die Dienste der S. Ingenieurbüro und Apparatebau GmbH ein. Dort erzielte er zuletzt ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 2.220,00 EUR.

Am 01.07.2005 wurde über das Vermögen der S. Ingenieurbau und Apparatebau GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte, der bereits vorläufiger Insolvenzverwalter war, als Insolvenzverwalter bestellt.

Am 08.06.2005 führte er in dieser Funktion mit dem bei der späteren Schuldnerin gewählten Betriebsrat ein Erörterungsgespräch. Der genaue Inhalt des Gesprächs ist streitig. Mit Schreiben vom 22.06.2005 an den Betriebsrat (Abl. Bl. 12 d. A.) teilte der Beklagte mit, dass die Betriebsstilllegung zum 30.09.2005 geplant sei. Den Arbeitnehmern solle nach Anzeige einer Massenentlassung wegen der Betriebsstilllegung zum 30.09.2005 gekündigt werden.

Mit einem am 01.07.2005 beim Arbeitsamt eingegangenen Schreiben zeigte er die beabsichtigte Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit Lübeck an; die Agentur für Arbeit stellte den Eintritt der Rechtswirksamkeit der Anzeige nach Stellungnahme des Betriebsrats vom 06.07.2005 (Abl. Bl. 14 d.A) zum 08.07.2005 fest (Abl. Bl. 13 d. A.).

Am 01.07.2005 stellte der Beklagte 19 von 34 Mitarbeitern frei. Das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger kündigte er mit Schreiben vom 21.07.2005 zum 31.10.2005. Auch andere Mitarbeiter erhielten an diesem Tag ihre Kündigung. Vor Ausspruch dieser Kündigungen hat der Beklagte mit dem Betriebsrat keine Verhandlungen über einen Interessenausgleich geführt. Der Betrieb ist dann am 30.09.2005 auch tatsächlich stillgelegt worden.

Am 18.08.2005 hat das Amtsgericht Lübeck unter dem Aktenzeichen 52 b IN 113/05 Masseunzulänglichkeit festgestellt.

Der Kläger verlangt nach Rücknahme der zunächst erhobenen Kündigungsschutzklage Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG und ist der Auffassung, dass es sich um eine Masseverbindlichkeit handele.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass dem Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung zusteht, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, einen Betrag von 41.070,00 EUR jedoch nicht unterschreiten sollte.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, bei einem Nachteilsausgleichanspruch handele es sich um eine einfache Insolvenzforderung, die zur Insolvenztabelle angemeldet werden müsse. Die Forderung sei zudem unbegründet. Das Unternehmen habe sich in einer ausweglosen Situation befunden. In einem solchen Fall könne die Durchführung des Interessenausgleichsverfahrens nicht verlangt werden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und dies damit begründet, dass der Beklagte die Betriebsänderung in Form der Betriebsstilllegung durchgeführt habe, ohne zuvor den Versuch eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat versucht zu haben. Unerheblich sei, ob sich die Betriebsänderung aus einer wirtschaftlichen Notlage ergeben habe.

Gegen dieses, ihm am 15.11.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 09.12.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung, die der Beklagte am 12.01.2006 durch Telekopie und am 16.01.2006 durch Originalschriftsatz begründet hat.

Der Beklagte meint, das Arbeitsgericht habe dem Feststellungsbegehren zu Unrecht stattgegeben. Der Feststellungsantrag sei unzulässig. Darüber hinaus sei die Forderung des Klägers zu Unrecht als Masseverbindlichkeit qualifiziert worden.

Er habe in der Zeit Mai/Juni 2005 als vorläufiger Insolvenzverwalter der Fortführung des Betriebes zugestimmt. Der Geschäftsführer habe gemeinsam mit ihm, dem Beklagten als vorläufigen Insolvenzverwalter, eine Betriebsversammlung abgehalten und die Arbeitnehmer da...

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