Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitskampf. einstweilige Verfügung. Firmentarifvertrag, betriebezogener Branchentarifvertrag. Betriebsverlagerung

 

Leitsatz (amtlich)

Unterorganisationen einer Gewerkschaft können – unbeschadet ihrer unselbständigen Tätigkeit als Organ der Hauptgewerkschaft – dann parteifähig sein, wenn sie körperschaftlich organisiert und gegenüber der Hauptorganisation weitgehend selbständig sind.

Ein Streik zur Erzwingung des Abschlusses eines betriebsbezogenen Firmentarifvertrags bzw. betriebsbezogenen Verbandstarifvertrags zur Standortsicherung (Nichtverlagerung der Produktion) stellt einen unzulässigen Eingriff in den durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Bereich der Unternehmensautonomie dar.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3; ArbGG § 10; GG Art. 12 Abs. 1; ZPO § 261 Abs. 3 Nr. 1; BGB §§ 823, 1004; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 16.05.2000; Aktenzeichen 4 Ga 9/00)

 

Tenor

Unter Zurückweisung der Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 16.05.2000 – 4 Ga 9/00 – zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Den Verfügungsbeklagten wird untersagt, zur Erreichung eines von ihnen mit ihren Schreiben vom 21.03.2000 und 27.04.2000 geforderten Tarifvertrags zur Standortsicherung im Betrieb der Verfügungsklägerin in H…… Streikmaßnahmen durchzuführen.

Die Kosten der Berufung werden den Verfügungsbeklagten auferlegt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über das Verbot von Streikmaßnahmen zur Erreichung eines betriebsbezogenen Tarifvertrags zur Standortsicherung, der von den Verfügungsbeklagten als Firmentarifvertrag oder firmenbezogener Verbandstarifvertrag angestrebt wird.

Die Verfügungsklägerin stellt in ihrem Betrieb in H…… Zwiebackerzeugnisse her. Sie betreibt weitere Betriebe in L………… und W…………… In allen drei Betrieben sind Betriebsräte gewählt. Sie beabsichtigt, den Produktionsbetrieb von H…… nach T…… zu verlagern. Die Grundstückskaufverträge für das neue Betriebsgrundstück sind unterzeichnet. Insgesamt beschäftigt die Verfügungsklägerin in ihrem Betrieb in H…… 632 Arbeitnehmer.

Die Verfügungsklägerin ist Mitglied des Bundesverbandes der Deutschen Süßwarenindustrie e.V..

Die Beklagte zu 2) forderte sowohl die Verfügungsklägerin als auch den Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie e.V. mit Schreiben vom 21.03.2000 (Bl. 135, 283 d.A.) und vom 27.04.2000 (Bl. 136, 138 d.A.) auf, Verhandlungen zum Abschluss der angestrebten Tarifverträge aufzunehmen. Die Verfügungsklägerin und auch der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie e.V. lehnten die Aufnahme von Verhandlungen ab mit der Begründung, die Materie sei nicht tariffähig und falle in die Zuständigkeit des Betriebsrates nach §§ 111 ff. BetrVG.

Die Verfügungsklägerin selbst forderte ihren Betriebsrat mehrfach auf (so mit Schreiben vom 30.03.2000 (Bl. 91 d.A.) und vom 26.05.2000 (Bl. 262 d.A.)), in Verhandlungen zu treten über den Interessenausgleich und den Abschluss eines Sozialplans. Der Betriebsrat bat zunächst um weitere Informationen (Schreiben vom 06.04.2000) und stellte die Aufnahme von Verhandlungen in Aussicht (Schreiben vom 10.05.2000).

Nach Ablehnung der Aufnahme von Verhandlungen riefen die Verfügungsbeklagten ihre Mitglieder im Betrieb der Verfügungsklägerin in H…… mit Schreiben vom 17.04.2000 (Bl. 78 d.A.) zur Urabstimmung für den 18. und 19.04.2000 auf. In dem Schreiben heißt es u.a.:

„Auf zur Urabstimmung!

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

in den vergangenen Wochen haben wir mit vielen gemeinsamen Aktionen versucht, Herrn B…… davon zu überzeugen, daß H…… der richtige Standort für eine neue Zwieback-Fabrik ist. Leider hat er alle Signale nicht verstanden.

Deshalb bleibt uns jetzt keine andere Wahl mehr. Der nächste Schritt heißt

Arbeitskampf!

Darüber entscheidet allein ihr, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ob wir in einen Streik gehen sollen oder nicht, das entscheidet Ihr mit Eurer Stimme bei der

Urabstimmung”

Die Verfügungsklägerin beantragte daraufhin beim Arbeitsgericht in Hagen am 15.04.2000, den Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen, eine Urabstimmung durchzuführen sowie vorbereitenden Streikmaßnahmen zu treffen. Durch Beschluss vom 18.04.2000 untersagte das Arbeitsgericht den Verfügungsbeklagten, im Betrieb der Verfügungsklägerin eine Urabstimmung durchzuführen. Im übrigen wies es den Antrag zurück (Arbeitsgericht Hagen 1 Ga 7/00).

Die Urabstimmung wurde außerhalb des Betriebes in H…… am 18.04. und 19.04.2000 durchgeführt. Nach der Bekanntmachung des Ergebnisses durch die Verfügungsbeklagten stimmten 90,8 % der Mitglieder für einen Arbeitskampf. Zwischenzeitlich fand am 11.05.2000 im Betrieb der Verfügungsklägerin ein Warnstreik statt, um den diesjährigen Lohnverhandlungen, geführt von den Verfügungsbeklagten, Nachdruck zu verleihen.

Das vorliegende einstweilige Verfügungsverfahren hat die Verfügungsklägerin am 26.04.2000 anhängig gemacht.

Zur Stützung des Antrags hat die Verfügungsklägerin vorgetra...

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