Rz. 50

Die Doppelbelastung der von der Körperschaft erzielten Gewinne ist betriebs- und volkswirtschaftlich kaum zu rechtfertigen (vgl. Rz. 45ff.) und aus rechtssystematischen Erwägungen sowie rechtspolitisch unerwünscht. Verfassungsrechtlich kann der Gesetzgeber ohne Beanstandung des BVerfG eine drohende Doppelbelastung "im Wege einer Anrechnung der KSt auf die ESt – wie bei dem bis zum Jahr 2000 geltenden Anrechnungsverfahren – oder – wie beim Halb- oder Teileinkünfteverfahren – in pauschaler Form im Wege einer Entlastung sowohl auf der Körperschaftsebene als auch auf der Ebene der Anteilseigner" vermeiden.[1] Eine Doppelbelastung ist zwar nicht ohne Weiteres ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), stellt aber einen klaren Verstoß gegen das Postulat der rechtsformneutralen Besteuerung dar. Daher wird das "klassische" System mit der ungemilderten Doppelbelastung in dieser Reinheit kaum noch angewandt. Vielmehr mildern die Staaten, die das klassische System anwenden, regelmäßig auf die eine oder andere Weise die Doppelbelastung.

 

Rz. 51

Die Abkehr von der ungemilderten Doppelbelastung des Gewinns der Kapitalgesellschaften durch einen ermäßigten Ausschüttungssteuersatz erfolgte in der Bundesrepublik erstmals durch das Gesetz v. 18.7.1958[2], das einen Thesaurierungssteuersatz von 51 % und einen Ausschüttungssteuersatz von 15 % vorsah. Diese Milderung der Doppelbelastung beruhte weniger auf systematischen als vielmehr auf kapitalmarktpolitischen Erwägungen. Die Einführung des gespaltenen Steuersatzes im Jahr 1958 stand im engen Zusammenhang mit anderen Gesetzesvorhaben, und zwar mit

  • dem Sparprämiengesetz,
  • dem Gesetz über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und
  • dem Gesetz über steuerliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln und bei Überlassung von eigenen Aktien an Arbeitnehmer.
 

Rz. 52

Alle diese Vorhaben verfolgten zusammen das Ziel, "den kleinen und mittleren Sparer zum Sparen überhaupt anzuregen und in besonderem Maße ihn stärker als bisher dazu zu bringen, sein Spargeld durch Sicherstellung einer ausreichenden Rendite in Aktienwerten anzulegen und ihm auf diese Weise die Möglichkeit zu geben, Eigentum am Produktivvermögen der deutschen Wirtschaft zu erwerben" (vgl. Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts).

 

Rz. 53

Der damalige Gesetzentwurf der Bundesregierung entsprach in seiner Zielsetzung – und prinzipiell auch in der Wahl seiner Mittel – einer gemeinsamen Stellungnahme der Wissenschaftlichen Beiräte beim BMF und beim BMWi zum Thema "Kapitalmarkt und Steuer" v. 26.1.1958.[3] Einem weitergehenden Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats beim BMWi, die ausgeschütteten Gewinne in vollem Umfang von der KSt freizustellen, haben sich die Bundesregierung und die gesetzgebenden Körperschaften seinerzeit nicht angeschlossen. Ausschlaggebend hierfür waren im Wesentlichen Haushaltsgründe sowie die Erwägung, dass beschränkt steuerpflichtige Anteilseigner bei einer weiteren Ermäßigung der KSt für Ausschüttungen einen untragbaren Steuervorteil gegenüber den unbeschränkt Steuerpflichtigen erlangt hätten (vgl. Nr. II 8 der allgemeinen Gesetzesbegründung, Drucksache III/260).

[1] BVerfG v. 29.3.2017, 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106, BFH/NV 2017, 1006, Rz. 114.
[2] BGBl I 1958, 473.
[3] BA Nr. 24 v. 5.2.1958, 7.

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