Entscheidungsstichwort (Thema)

Begünstigung des Betriebsvermögens, Vollverschonung, Vorläufigkeitsvermerk, rückwirkendes Ereignis

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Der im Hinblick auf die nach einem BVerfG-Urteil zu erwartende Neuregelung des ErbStG in einen Bescheid über Schenkungsteuer aufgenommene Vorläufigkeitsvermerk umfasst nicht auch die Möglichkeit einer nachträglichen Wahlrechtsausübung auf Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG.

2) Ergibt sich aus dem gewählten Vorläufigkeitsvermerk hinreichend klar, dass das Finanzamt die Bestandskraft nur für den Fall offenhalten wollte, dass sich die für den Streitfall geltende Rechtslage aufgrund einer Entscheidung des BVerfG ändert, gilt die Durchbrechung der Bestandskraft nur für eine etwaige gesetzliche Neuregelung. Die Bestandskraft wird damit nicht auch für einen Antrag auf Vollverschonung durchbrochen, da dieser Antrag gerade nicht auf der gesetzlichen Neuregelung, sondern auf dem geltenden Recht basiert.

3) Eine Änderung der Steuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO scheidet aus, da die Feststellung von Wertansätzen bzw. das Nichtüberschreiten der 10 % -Grenze für Verwaltungsvermögen kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. Norm ist.

 

Normenkette

AO § 165 Abs. 2, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; ErbStG a.F. § 13a Abs. 8

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 05.03.2020; Aktenzeichen II B 99/18)

 

Tatbestand

Streitig ist, bis wann der Antrag auf Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in der für den Streitfall geltenden Fassung gestellt werden kann.

Mit Schenkungsvertrag vom 11.12.2011 übertrug der Vater des Klägers, A 2, diesem 75 % seines Kommanditanteils an der A GmbH & Co. KG, 75 % seines Anteils an der Komplementär-GmbH, der A Beteiligungs-GmbH, 75 % seiner Rücklage- und Darlehenskonten und 60 % seines Verrechnungskontos bei der A GmbH & Co. KG. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertrag vom 11.12.2011 (URNr. /2011 des Notars R in N) Bezug genommen. Der Bruder des Klägers unterzeichnete die erforderliche Genehmigungserklärung am 16.01.2012.

Der Kläger gab in der Schenkungsteuererklärung den Wert des übertragenen Betriebsvermögens mit einem geschätzten Wert von X Euro und die Quote des Verwaltungsvermögens mit 4,41 % an. Er kündigte ein Gutachten zur Bewertung an. Zusammen mit der Steuererklärung ist die Anlage „Steuerentlastung für Unternehmensvermögen (§§ 13a, 13 b ErbStG)” eingereicht und die Steuerbegünstigung für die Übertragung des Betriebsvermögens beantragt worden. In dieser Anlage ist in Zeile 15 die Optionsverschonung aufgeführt. Es heißt dort in Zeile 16:

„Optieren Sie unwiderruflich zu einer vollständigen Steuerbefreiung (§ 13a Abs. 8 ErbStG)?

Dieses Wahlrecht können Sie nur einheitlich für das gesamte begünstigte Vermögen ausüben.”

Danach befindet sich die Möglichkeit, folgenden Text anzukreuzen:

„ja – Eine schriftliche Erklärung nach § 13a Abs. 8 ErbStG ist beigefügt.”

Der Text ist nicht angekreuzt, ein schriftlicher Antrag auf Optionsverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG ist nicht beigefügt.

Der Beklagte setzte die Schenkungsteuer unter Berücksichtigung des erklärten Werts und der Regelverschonung auf X Euro fest. Die Festsetzung erfolgte unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO). Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 11.05.2012 Bezug genommen.

Das Finanzamt N erließ einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Werts des Anteils am Betriebsvermögen auf den 16.01.2012 und stellte den Wert des Betriebsvermögens auf X Euro, die Summe der gemeinen Werte des Verwaltungsvermögens auf X Euro und die Summe der gemeinen Werte des jungen Verwaltungsvermögens auf 0 Euro fest. Die Quote des Verwaltungsvermögens teilte es nachrichtlich mit 2,5100% (X Euro: X Euro) mit. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO:

Der Beklagte änderte dementsprechend den Schenkungsteuerbescheid und setzte die Schenkungsteuer unter Berücksichtigung eines Verschonungsabschlags in Höhe von 85 % auf X Euro fest. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob er auf. Der Bescheid enthielt einen Vorläufigkeitsvermerk mit folgendem Wortlaut:

„Die Festsetzung der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) ist gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nummer 3 AO hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes vorläufig. Entsprechendes gilt für Festsetzungen nach dem 31. Dezember 2006 und vor dem 01. Januar 2009 entstandener Erbschaftsteuer, in denen die Anwendung des ab 2009 geltenden Rechts beantragt wurde (Art. 3 Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24. Dezember 2008). Die Vorläufigkeitserklärung erfolgt lediglich aus verfahrenstechnischen Gründen. Sie ist nicht dahin zu verstehen, dass das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz als verfassungswidrig angesehen wird. Sollte aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts diese Steuerfestsetzung aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen; ein Einspruch ist daher ins...

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