Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachzahlungen von Arbeitslosengeld II und Einstiegsgeld nach dem SGB II für das volljährige behinderte Kind und monatliche Zurechnung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein behindertes Kind ist erst dann imstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensbedarfs ausreicht.

2. Die Frage, ob ein Anspruch auf Kindergeld für das behinderte Kind besteht, ist grundsätzlich für jeden Monat gesondert zu prüfen.

3. Hinsichtlich der zeitlichen Berücksichtigung der Einkünfte und Bezüge gilt das Zuflussprinzip; die Einnahmen sind grundsätzlich in dem Monat zu berücksichtigen, in dem sie tatsächlich zugeflossen sind.

4. Erhält das volljährige behinderte Kind Sonderzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld, die nicht in jedem Monat, sondern unregelmäßig anfallen, wird das Prinzip des tatsächlichen Zuflusses durchbrochen und es gilt das normative Zuflussprinzip.

5. Nachzahlungen von Arbeitslosengeld II und Einstiegsgeld nach dem SGB II müssen dem Monat des tatsächlichen Zuflusses zugerechnet werden. Für solche Nachzahlungen gilt nicht das normative Zuflussprinzip.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, S. 2, § 11 Abs. 1, § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1-2; SGB II § 11 Abs. 1, § 16b; BGB § 1061

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 11.04.2013; Aktenzeichen III R 35/11)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der schwerbehinderte Sohn der Klägerin außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.

I.

Die Klägerin ist die Mutter von [… HH] (geboren am 00. August 1984). HH ist von Geburt an schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 90 % und den Merkzeichen G und B. Mit Bescheid vom 00. März 2010 hat das Versorgungsamt festgestellt, dass seit dem 00. Oktober 2009 der Grad der Behinderung 100 % beträgt. Der Klägerin wurde für HH laufend Kindergeld gewährt.

Am 31. März 2009 beendete HH sein Musikstudium. Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 14. März 2009 der Beklagten – der Familienkasse (FK) – mit, dass HH ab dem 1. April 2009 eine selbständige Tätigkeit als Musiker und Diplommusiklehrer antreten wolle, und beantragte die Fortsetzung der Kindergeldzahlungen ab dem 1. April 2009.

Mit Bescheid vom 24. Juli 2009 hob die FK die Zahlung des Kindergeldes für HH ab April 2009 auf. Die FK war der Auffassung, dass HH aufgrund seiner eigenen Einkünfte und Bezüge, insbesondere der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), im Stande sei, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Der dagegen gerichtete Einspruch wurde von der FK mit Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2010 als unbegründet zurückgewiesen.

Dagegen richtet sich die Klage. Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, dass der Gesamtbedarf des Kindes höher sei als seine Einkünfte und Bezüge.

In seiner fachärztlichen Stellungnahme vom 14. Mai 2010 hat der Sozialmediziner Dr. [… TT] festgestellt, dass HH aufgrund seiner Behinderung nicht im Stande ist, seinen gesamten Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Nach den vorgelegten Nachweisen der Klägerin über die Einkünfte und Bezüge von HH hat die FK mit Bescheid vom 15. September 2010 der Klage für den Monat April 2009 und den Zeitraum Juni 2009 bis November 2009 entsprochen und Kindergeld in Höhe von monatlich 164 EUR festgesetzt. Die Beteiligten haben insoweit übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

In den beiden – noch streitigen – Monaten Mai 2009 und Dezember 2009 sind HH die folgenden Einnahmen zugeflossen und die folgenden Aufwendungen abgeflossen ([…]):

Mai 2009

EUR

EUR

06.05.

ALG II für 04/09 und 05/09

1.608,74

darin:

Regelleistung 2 * 351,00 = 702,00

Unterkunftskosten 2 * 453,37 = 906,74

29.05.

ALG II für 06/09

804,37

darin:

Regelleistung 1 * 351,00 = 351,00

Unterkunftskosten 1 * 453,37 = 453,37

18.05.

Beitrag Berufsverband, -haftpflicht

-26,22

26.05.

Fachliteratur

-17,55

26.05.

Musikerunfallversicherung

-8,53

Dezember 2009

EUR

EUR

03.12.

Einstiegsgeld für 06/09 bis 11/09

897,50

darin:

Einstiegsgeld 5 * 179,50 = 897,50

18.12.

Einstiegsgeld für 12/09

179,50

31.12.

ALG II für 01/10

812,21

Regelleistung 1 * 359,00 = 359,00

Unterkunftskosten 1 * 453,21 =453,21

01.12.-31.12.

Honorar für Unterricht

60,00

11.12.

Auslagenersatz für Gottesdienst

20,00

08.12.

Rentenbeitrag

-32,34

17.12.

Werbung (Flyer)

-233,24

28.12.

Musikerunfallversicherung

-8,52

28.12.

Werbung (Homepage)

-52,04

31.12.

Bankgebühren

-6,45

Die Klägerin begründet ihre Klage, mit der sie die Festsetzung von Kindergeld für die Monate Mai und Dezember 2009 begehrt, damit, dass in jedem dieser beiden Monate die finanziellen Mittel des Sohnes geringer seien als dessen Bedarf. Der monatliche Bedarf von HH betrage im Mai 2009 1.195,87 EUR und im Dezember 2009 1.211,70 EUR. Der monatliche Bedarf setze sich zusammen aus dem Grundbedarf von 640,00 EUR (1...

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