rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Spätere Änderung eines bestandskräftigen Abhilfebescheids nach § 173 AO, wenn ein Einspruch in einem Massenrechtsbehelfsverfahren ohne Zuziehung der Steuerakten bearbeitet worden ist

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Geht beim Finanzamt in einem Massenrechtsbehelfsverfahren ein Einspruch des Steuerpflichtigen ein, mit dem die Verfassungswidrigkeit von Normen des Steuerrechts, derentwegen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aussteht, gerügt wird, verstößt das Finanzamt nicht gegen seine Ermittlungspflichten nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO, wenn es die Überprüfung des Falles auf den konkreten Änderungswunsch des Steuerpflichtigen beschränkt.

2. Hat das Finanzamt diesen Einspruch ohne Hinzuziehung der Steuerakten bearbeitet und dem Einspruch dadurch abgeholfen, dass es ohne Änderung der Höhe der Steuer einen geänderten, hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Frage vorläufigen Bescheid erlassen hat, so muss sich das Finanzamt die Kenntnis steuerrelevanter Tatsachen, die ihm in der Zeit zwischen dem Erlass des ursprünglichen Bescheid und dem Erlass des Abhilfebescheids anderweitig bekannt geworden sind, für die Anwendung von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht zurechnen lassen. Nimmt das Finanzamt daher später einen in der Steuererklärung nicht berücksichtigten gewerblichen Grundstückshandel an, so darf es für das Streitjahr auch dann später noch einen auf § 173 AO gestützten Änderungsbescheid erlassen, wenn ihm alle für den Grundstückshandel relevanten Grundstücksaktivitäten des Steuerpflichtigen noch vor Ergehen des Abhilfebescheids durch den Eingang notarieller Veräußerungsanzeigen bekannt geworden sind.

 

Normenkette

AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3; AO § 367 Abs. 2 S. 1; EGAO Art. 97 § 18a Abs. 1; EStG § 33a Abs. 2

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob ein Einkommensteueränderungsbescheid gemäß § 173 Abgabenordnung (AO) geändert werden kann.

I.

Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Der Kläger ist Inhaber eines Baugeschäfts. Der Kläger erwarb und veräußerte in den Jahren von 1988 bis 1991 mehrere Grundstücke. Am 18. Oktober 1988 erwarb er einen Bauplatz zu 796 qm in [… G] (FlStNr. 2/1) für 110.000 DM, wovon er bereits am 17. Februar 1989 wieder eine Teilfläche von 500 qm mit einem aufstehenden Rohbau für 310.000 DM veräußerte. Die entsprechende notarielle Veräußerungsmitteilung ging dem Beklagten – dem Finanzamt (FA) – ausweislich des Vermerks der Vollstreckungsstelle spätestens am 24. Februar 1989 zu. Am 27. Juni 1990 erwarb der Kläger ein unbebautes Grundstück zu 1.202 qm in [… A] (FlStNr. 2/5 und 2/6), das er mit zwei Doppelhäusern bebaute. Am 6. Juni 1991 veräußerte er zwei Teilflächen daraus zu jeweils 300 qm sowie die beiden Hälften des einen Doppelhauses im Rohbauzustand für 170.000 DM und 175.000 DM. Die beiden notariellen Veräußerungsmitteilungen hierzu gingen dem FA ausweislich des Vermerks der Vollstreckungsstelle spätestens am 10. Juni 1991 zu. Am 4. November 1991 veräußerte der Kläger die beiden letzten Teilflächen aus diesem Grundstück zu 299 qm bzw. 309 qm zusammen mit den beiden anderen Hälften des zweiten Doppelhauses für jeweils 355.000 DM. Die beiden notariellen Veräußerungsmitteilungen über diese Verkäufe gingen dem FA ausweislich des Vermerks der Vollstreckungsstelle spätestens am 6. November 1991 zu.

In der am 25. Januar 1991 beim FA eingereichten Einkommensteuererklärung für 1989 erklärten die Kläger nur den Gewinn aus dem Baugeschäft; Einnahmen oder Ausgaben in Zusammenhang mit dem Erwerb und der Veräußerung des Grundstücks in G wurden nicht erklärt. Das FA folgte den Angaben der Kläger in der Einkommensteuererklärung für 1989 ohne Abweichung (Einkommensteuerbescheid 1989 vom 26. März 1991). Mit Einspruch vom 5. April 1991 wandten sich die Kläger gegen die verfassungsrechtlich unzureichende Höhe der Ausbildungsfreibeträge gem. § 33a Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG). Der Einspruch wurde auf einem vom Prozessbevollmächtigten unterzeichneten Vordruck, der für Einsprüche über die Rüge mehrerer Normen des Steuerrechts als verfassungswidrig gefertigt worden war, erhoben. Dieser Einspruch wurde von der Übernahmestelle der zuständigen Veranlagungsstelle im Rahmen der Bearbeitung von Massenrechtsbehelfen wegen der Rüge der Verfassungswidrigkeit einzelner Normen des Steuerrechts ohne Hinzuziehung der Steuerakten bearbeitet. Es erfolgte am 10. November 1992 nur die Übertragung einzelner Daten, die aus dem Einspruchsschreiben entnommen werden konnten, in einen Vordruck (ESt-Akte 1989, Bl. 31, 32); der Vordruck wurde anschließend von der Datenerfassungsstelle des FA abgespeichert. Mit Änderungsbescheid vom 11. Dezember 1992 erklärte das FA den Einkommensteuerbescheid 1989 u.a. hinsichtlich der Ausbildungsfreibeträge gemäß § 165 Abs. 1 AO für vorläufig, ohne die Steuerfestsetzung zu ändern. In den Erläuterungen zur Festsetzung w...

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