Beteiligte

…, Klägerin und Revisionsbeklagte

…, Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Streitig ist die berufsgenossenschaftliche Zuordnung der Klägerin, insbesondere ob das klägerische Unternehmen wegen veränderter Produktionsverhältnisse von der Süddeutschen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft (Beklagte) an die Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik (Beigeladene) zu überweisen ist.

Die Klägerin wurde seit dem 1. März 1932 unter der Bezeichnung "M. ... C. ..., R. ... und S. ... KG, N. ..." im Betriebsverzeichnis der Beklagten als Mitglied geführt (Aufnahmetag: 1. Januar 1924). Als Gewerbszweig war zum Zeitpunkt der Aufnahme "Werkzeugfabrik" eingetragen. Das in der Folgezeit als Werkzeug- und Maschinenfabrik bezeichnete Unternehmen stellte seit seiner Gründung handbetriebene Bohrmaschinen, Bohrwinden und Schleifmaschinen sowie Haushaltsgeräte (ua Brotschneider, Messerschärfer, Kartoffelschäler, Bohnenschneider) her, und zwar vorwiegend aus den Materialien Eisen, Stahl und Grauguß.

Bei einer am 27. Juni 1952 von der Beklagten durchgeführten Betriebsrevision wurde festgestellt, daß in dem Unternehmen "neben Werkzeugen (Bohrfutter ua) in der Hauptsache elektrische und handbetriebene Bohr- und Schleifmaschinen" angefertigt werden; ferner "vorwiegend keramisch gebundene Schleifscheiben". In Betriebsbeschreibungen von 1955, 1959 und 1969 wurden folgende Fertigungsprogramme angegeben:

1955:

1. Handbohr- und Handschleifmaschinen,

2. Elektro-Handbohr- und Doppelschleifböcke,3. Bandschleif- und Poliermaschinen,4. Schleifscheiben,5. Bohrfutter (Werkstoffe: Grauguß, Temperguß, Stahl, Aluminium, Kupfer).

1959.

Handbohr- und Schleifmaschinen,

elektrische Bohr- und Schleifmaschinen,Bohrfutter,Schleifscheiben (Werkstoffe: Guß, Stahl, Aluminium).

1969: 1.

Schleifscheibenwerk (Material: Korunde, Silizium-Carbid, keramische Stoffe),

2.

Schleifmaschinen, Schleif- und Polierstraßenanfertigung (Material: vorwiegend Stahl und Grauguß),

3.

Elektrowerkzeugfertigung (Material:

vorwiegend Leichtmetalle, Kunststoffe und Stahl),

4.

Werk G. ...: Elektrische Werkzeuge, Handbohrmaschinen (Material wie bei 3.),

5.

Werk L. ...: Elektrowerkzeuge, Zusatzgeräte (Material: Leichtmetalle, Stahl, Kunststoffe).

Bereits im Jahre 1972 entstanden zwischen der Beklagten und der Beigeladenen Meinungsverschiedenheiten über die berufsgenossenschaftliche Zugehörigkeit des ursprünglich selbständigen Werkes L.. ... (E. ... und M. ... GmbH), das die Beklagte mit Wirkung vom 1. Januar 1970 an die Beigeladene überwiesen hatte. Nachdem dieses Werk in das Unternehmen der Klägerin eingegliedert worden war, verlangte die Beklagte die Rücküberweisung dieses Unternehmensteils an sich. Die Beigeladene lehnte dies jedoch ab und verlangte ihrerseits die Überweisung der gesamten M. ... KG an sich mit der Begründung, daß dieses Unternehmen vorwiegend Elektrowerkzeuge produziere. Die Beklagte räumte ein, daß sich die berufsgenossenschaftliche Zugehörigkeit angesichts der Struktur der jeweiligen Mitgliedsbetriebe und der sich im Laufe der Jahre verändernden Betriebsverhältnisse ändern könne und schlug deshalb - "anschließend an die Übung früherer Jahre" - vor, die Überweisung der M. ... KG von der Gegenüberweisung einer entsprechend großen Mitgliedsfirma der Beigeladenen abhängig zu machen. Dieser Vorschlag blieb jedoch ergebnislos.

Zu Beginn des Jahres 1978 erfuhr die Beklagte von der zum 1. Januar 1978 im Handelsregister eingetragenen veränderten Gesellschaftsform der Klägerin, die nun als "M. GmbH & Co KG" firmierte. Die Beklagte erteilte daraufhin den - nicht angefochtenen - Bescheid vom 12. April 1978: "Aufgrund des festgestellten Unternehmerwechsels haben wir unsere Eintragung im Unternehmerverzeichnis geändert (zum 1. Januar 1978 nun M. ... GmbH & Co, Geschäftsführerin: M. ... Verwaltungs-GmbH).

Am 22. Juni 1983 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Überweisung ihres Unternehmens an die Beigeladene. Zur Begründung gab sie an, die Betriebsverhältnisse hätten sich gegenüber der Gründerzeit nachhaltig geändert; die Produktionsstruktur ihres Unternehmens werde heute ausschließlich von der Berufsgenossenschaft (BG) der Feinmechanik und Elektrotechnik abgedeckt, bei der auch wesentliche Konkurrenten versichert seien. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 5. Juli 1983 ab. Sie führte aus, die Voraussetzungen des § 667 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) seien nicht gegeben, weil sich die Verhältnisse seit Gründung der GmbH & Co KG nicht geändert hätten. Eine Berichtigung nach § 664 Abs 3 RVO käme nicht in Betracht, da keine offensichtlich fehlerhafte Eintragung vorläge. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 1983).

Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin an die Beigeladene zu überweisen (Urteil vom 21. August 1985). Der Überweisungsanspruch sei nach § 667 Abs 1 RVO begründet, weil eine wesentliche Änderung in den Betriebsverhältnissen des Unternehmens eingetreten sei; der jetzt wichtigste Produktionsbereich, die Herstellung und Fertigung von elektrischen Werkzeugen sei eindeutig dem Bereich der Beigeladenen zugeordnet. Bei der Beigeladenen sei auch die beste und zweckmäßigste Unfall- und Krankheitsverhütung gewährleistet.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung hat die Beklagte geltend gemacht, in ihren Zuständigkeitsbereich falle nach den maßgeblichen Beschlüssen des Bundesrates und der Reichsgewerbestatistik von 1907 die Verfertigung von Bohrmaschinen, Haushaltungsmaschinen, Maschinen für Haus- und Gartenbedarf, Steinbohr- und Schleifmaschinen, so daß die Belassung des Unternehmens bei ihr nicht der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung eindeutig zuwiderlaufe.

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung mit Urteil vom 2. Juli 1987 zurückgewiesen. Entgegen der Auffassung des SG sei der Anspruch auf Überweisung nach § 664 Abs 3 RVO begründet. § 667 Abs 1 RVO erfasse nur nachträgliche, dh seit der rechtsverbindlichen Eintragung in das Unternehmerverzeichnis (hier Eintragung der GmbH & Co KG, Bescheid vom 12. April 1978) eingetretene, wesentliche Änderungen eines Unternehmens (BSGE 38, 187). Seit Bestehen der neugegründeten Kapitalgesellschaft seien aber keine Änderungen mehr eingetreten. Vielmehr sei bereits im Vorunternehmen (M. ... KG) die Umstellung auf die überwiegende Fertigung von elektrischen Kleinmaschinen und Elektrowerk zeugen vollzogen gewesen. Die wesentliche Änderung des Produktionsprogrammes sei nicht nur unstreitig, sondern ergebe sich auch aus den in den Akten befindlichen Unterlagen. Zudem habe der Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 2. Juli 1987 glaubhaft angegeben, daß der Verarbeitung von Metall nur noch untergeordnete Bedeutung zukäme. Da die Betriebe, die sich mit der Fertigung von elektrotechnischen Apparaten, Instrumenten, Einrichtungen und Maschinen befaßten, nach dem die sachliche Zuständigkeit der BG'en regelnden Bundesratsbeschluß vom 21. Mai 1885 und auch nach dem alphabetischen Verzeichnis der Gewerbezweige (Handbuch der Unfallversicherung Bd III, 1910, S 20 ff, 34) eindeutig der Beigeladenen zugeordnet seien, sei die Eintragung der Klägerin in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten am 12. April 1978 iS von § 664 Abs 3 RVO unrichtig gewesen. Sie habe nicht nur klar der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung widersprochen, sondern sei auch grob irrtümlich vorgenommen worden. Hierfür spreche ua das von der Beklagten im Jahre 1973 vorgeschlagene "Tauschgeschäft". Die Überweisung an die Beigeladene sei in analoger Anwendung des § 668 Abs 1 RVO rückwirkend zum Ablauf des Jahres 1983 auszusprechen gewesen, sofern nicht die Beteiligten einen anderen Zeitpunkt vereinbarten.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte in erster Linie eine Verletzung des § 664 Abs 3 RVO. Insbesondere habe das LSG die Bedeutung des Bescheides vom 12. April 1978 nicht hinreichend beachtet. Ein bindend gewordener Aufnahmebescheid, der mit der materiellen Rechtslage nicht übereinstimme, erzeuge trotzdem Rechtswirkungen, die einer Verurteilung zur Berichtigung des Unternehmerverzeichnisses entgegenstehen könnten (BSGE 15, 282; 38, 188, 190). Der Grundsatz der Katasterstetigkeit ("Katasterfrieden") lasse es nicht zu, daß ohne zwingende Gründe in das Mitgliederverzeichnis eingegriffen werde. Solche zwingenden Gründe lägen hier nicht vor. An einem offensichtlichen Irrtum habe es hier schon deshalb gefehlt, weil die Produktion von Elektrowerkzeugen keineswegs eindeutig bei der Beigeladenen zu versichern sei. Nach dem maßgeblichen Bundesratsbeschluß vom 21. Mai 1885 und dem vom Reichsversicherungsamt (RVA) wiederholt ergänzten alphabetischen Verzeichnis der Gewerbezweige liege keine verbindliche Zuweisung des streitigen Produktionszweiges vor. Dies habe das LSG verkannt. Unter Verletzung des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) habe es sich nicht mit dem Berufungsvorbringen auseinandergesetzt, daß sich das Fertigungsprogramm der Klägerin im Grunde nicht verändert habe, sondern nur dem technischen Fortschritt angepaßt worden sei. Früher wie heute würden vorwiegend Bohrmaschinen, Schleifmaschinen usw angefertigt; lediglich der Antrieb habe sich geändert. Auch ein Elektrowerkzeug bleibe seiner Zweckbestimmung nach ein Werkzeug. Zumindest hätte das LSG durch Einholung eines Sachverständigengutachtens die Frage aufklären müssen, ob Elektrowerkzeuge zu den elektrotechnischen Apparaten gehörten (Verstoß gegen § 103 SGG). Im übrigen sei die weitaus überwiegende Zahl der im Unternehmen der Klägerin beschäftigten Arbeitnehmer mit Arbeitsprozessen befaßt, die für eine - dem Zuständigkeitsbereich der Beklagten zuzuordnende - moderne Maschinenfabrik typisch seien. Das LSG hätte deshalb auch die Aufstellung über die Beschäftigtenstruktur, die der technische Aufsichtsbeamte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung überreicht habe, beachten müssen.

Die Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 2. Juli 1987 sowie das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. August 1985 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG im Ergebnis für zutreffend. Unhaltbar sei zwar die Auffassung, die Klägerin habe am 1. Januar 1978 ein neues Unternehmen gegründet. Sie sei immer eine KG gewesen und als solche auch weitergeführt worden. Der Eintritt der Komplementär-GmbH habe an dem Bestand des Unternehmens nichts geändert, so daß die Veränderungen in den Betriebsverhältnissen nicht an diesem Zeitpunkt eingetreten sein dürften. Im übrigen sei es gleichgültig, nach welcher Vorschrift die Überweisung zu erfolgen habe. Entscheidend sei, daß gegenüber den Verhältnissen, die zur Zeit der ursprünglichen Aufnahme bei der Beklagten vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Es stelle eine unbillige Härte dar, wenn sie als Mitglied der Beklagten eine Beitragsbelastung zu tragen habe, die unverhältnismäßig höher sei als bei der Beigeladenen und zu den bei ihr vorhandenen Risiken in einem groben Mißverhältnis stehe. Im übrigen sei es eindeutig, daß sie heute vollkommen andere Produkte herstelle als 1932. Ebenso eindeutig sei sie der Beigeladenen zuzuordnen, wenn man das alphabetische Verzeichnis der gewerblichen BG'en von 1959 zugrunde lege.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,die Revision zurückzuweisen.

Auch sie meint, hier sei kein Fall der anfänglichen Unrichtigkeit iS von § 664 Abs 3 RVO, sondern ein Fall der nachträglich eingetretenen wesentlichen Änderung iS von § 667 Abs 1 RVO gegeben. Für die Herstellung von Elektrowerkzeugen sei die Beigeladene die zuständige BG, wenn man das vom Hauptverband der gewerblichen BG'en herausgegebene alphabetische Verzeichnis der Gewerbezweige von 1959 zugrunde lege. Schon hieraus ergebe sich, daß gegenüber 1932 eine für die berufsgenossenschaftliche Zuständigkeit wesentliche Änderung eingetreten sein müsse.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Beklagten hat insofern Erfolg, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Für eine Entscheidung über den umstrittenen Überweisungsanspruch sind nach der Rechtsauffassung des Senats keine ausreichenden Tatsachen festgestellt.

Für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Überweisung ihres Unternehmens ist nicht § 664 Abs 3 RVO, sondern § 667 Abs 1 Satz 1 RVO maßgebend. Danach hat die BG das Unternehmen an den zuständigen Träger der Unfallversicherung zu überweisen, wenn sich die Zuständigkeit der BG für dieses Unternehmen ändert.

Das LSG meint demgegenüber, § 667 Abs 1 RVO käme nicht zur Anwendung, weil seit der zum 1. Januar 1978 erfolgten Neueintragung der Klägerin keine Änderungen in deren Unternehmen mehr eingetreten seien. Bei dieser Eintragung habe es sich vielmehr um eine unrichtige gehandelt, die nach § 664 Abs 3 RVO zu berichtigen sei. Dem kann nicht gefolgt werden. Ob nämlich eine den Zuständigkeitswechsel begründende Änderung im Unternehmen vorliegt, ist nach den Verhältnissen zu beurteilen, die zum Zeitpunkt der maßgeblichen, dh die sachliche Zuständigkeit der BG betreffenden Entscheidung vorgelegen haben. Dies entspricht der allgemeinen Vorschrift des § 48 Abs 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Verwaltungsverfahren - (SGB X) sowie der schon vor deren Inkrafttreten zum Leistungsrecht ergangenen Rechtsprechung (vgl BSGE 7, 215, 216; 27, 244; 55, 165; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, Bd II, S 583a).

In Anwendung dieses Grundsatzes ist hier auf die erstmalige Aufnahme der M. ... bei der Beklagten abzustellen, die nach dem Auszug aus der Betriebskarte zum 1. Januar 1924 erfolgte. Diese Aufnahme beruhte auf der sachlichen Zugehörigkeit des Betriebes und war nach § 658 RVO aF in der bis zum 30. Juni 1963 gültig gewesenen Fassung (geändert mit Wirkung vom 1. Juli 1963 durch Art 1 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 30. April 1963, BGBl I S 241 - UVNG -) vorzunehmen. Unmaßgeblich ist dagegen insoweit der Bescheid vom 12. April 1978; denn dieser betraf lediglich einen Unternehmerwechsel iS von § 665 Satz 1 RVO. Anlaß war die gesellschaftsrechtliche Änderung der M. ... , nicht aber eine Änderung des Unternehmens selbst. Der Bescheid vom 12. April 1978 beschränkte sich in seinen Rechtswirkungen darauf, daß die M. ... GmbH & Co KG ab 1. Januar 1978 als neuer Unternehmer des Betriebes Mitglied der Beklagten wurden und für diesen Betrieb die Mitgliedschaft der M. ... KG erlosch.

Daß ein solcher Unternehmerwechsel und die dementsprechende Änderung des Unternehmerverzeichnisses für die Anwendung des § 667 Abs 1 RVO ohne Bedeutung ist, ergibt sich auch aus der Systematik des Gesetzes. Im Zweiten Teil (Allgemeine Unfallversicherung) wird zwischen dem Wechsel in der Person des Unternehmers (% 665 RVO) und Änderungen seines Unternehmens (§ 666 RVO) unterschieden. Zu dem Unternehmerwechsel ohne Eröffnung eines neuen Betriebes hat das RVA bereits entschieden, daß für den Erlaß eines förmlichen Aufnahmebescheides kein Raum gegeben sei; die BG habe den Betrieb lediglich auf den Namen des neuen Unternehmers zu übertragen (EuM 12, 157 zu § 664 Satz 1 RVO aF, jetzt § 665 Satz 1 RVO). Eine insoweit vorgenommene Berichtigung des Betriebsverzeichnisses sei nicht als Löschung eines Betriebes und Neuaufnahme eines anderen zu behandeln (EuM 10, 228). An dieser Rechtslage hat sich durch das UVNG nichts geändert. Die nach neuem Recht vorgeschriebene Führung von Unternehmerverzeichnissen (§ 663 RVO) beruht zwar auf dem Übergang von einer Betriebsversicherung (§ 657 RVO aF) zu einer Personenversicherung, hat jedoch die Unterscheidung zwischen Betrieben bzw Unternehmen und Mitgliedern (= Unternehmer: § 649 Satz 1 RVO aF, § 658 Abs 1 RVO nF) beibehalten. Insbesondere richtet sich die sachliche Zuständigkeit der BG'en wie zuvor nach Art und Gegenstand der Unternehmen (§ 646 Abs 2 RVO). Die rechtsverbindliche Eintragung eines neuen Unternehmers beinhaltet deshalb nicht zugleich eine konkludente Entscheidung über die materiell-rechtliche Zugehörigkeit des Unternehmens und kann daher als Vergleichsgrundlage für Unternehmensänderungen nicht in Betracht kommen.

Unter Beachtung dieser Grundsätze hätte das LSG § 667 Abs 1 RVO anwenden und prüfen müssen, ob seit der erstmaligen Aufnahme der M. ... bis zur Erhebung des Überweisungsanspruchs eine die Zuständigkeit der Beklagten berührende wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten war. Ausgehend von § 664 Abs 3 RVO hat das LSG zwar geprüft, ob die zum 1. Januar 1978 erfolgte Umschreibung des Unternehmers von Anfang an unrichtig war, was nach der zu dieser Vorschrift ergangenen Rechtsprechung zu bejahen ist, wenn die Eintragung aufgrund eines so gröblichen Irrtums erfolgte, daß die weitere Belassung des Betriebes bei der formal zuständig gewordenen BG der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung eindeutig zuwiderlaufen würde (BSGE 38, 187, 191). Das LSG hat hierzu ausgeführt, daß die Umstellung auf die überwiegende Fertigung von elektrischen Kleinmaschinen und Elektrowerkzeugen bereits im Jahre 1978 vollzogen gewesen sei und hat damit zum Ausdruck gebracht, daß im "Vorunternehmen" eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei. Die hierzu festgestellten Tatsachen reichen jedoch nicht aus, um im Rahmen des § 667 Abs 1 RVO eine abschließende Sachentscheidung treffen zu können.

In Rechtsprechung und Schrifttum ist seit Jahrzehnten anerkannt, daß die Änderung der Verhältnisse wesentlich sein muß (Schiedsstelle EuM 27, 213, 214; 30, 10, 11; BSGE 15, 282; 38, 187, 193; 49, 222, 226; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, S 515; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 667 Anm 3 Buchst a). Diese Gesetzesauslegung berücksichtigt insbesondere die Grundsätze der Katasterrichtigkeit und der Katasterstetigkeit (BSG aaO). Es sollen nur solche nachhaltigen, wesentlichen Betriebsveränderungen zu einer Überweisung führen, die das Gepräge des Unternehmens grundlegend umgestaltet haben (BSGE 15, 282; 49, 222, 226; Brackmann aaO). Insoweit hat die Rechtsprechung eine wesentliche Änderung der Betriebsverhältnisse sowohl in der Änderung des Arbeitsvorganges als auch in der Einführung andersartiger Rohstoffe erblickt. Das RVA hat eine wesentliche Änderung zB in einem Fall bejaht, in dem eine Wachstuch- und Ledertuchfabrik mit einer Weberei zu einem Gesamtunternehmen verschmolz und den Webereiprodukten anschließend das Übergewicht zukam (EuM 20, 128). Bei einer umstrittenen Überweisung eines Unternehmens von einer Metall- zu einer Eisen- und Stahl-BG wurde maßgeblich auf den zu verarbeitenden Rohstoff abgestellt und zur Begründung auf die Vorbemerkungen zum alphabetischen Verzeichnis des RVA hingewiesen (Schiedsstelle, EuM 36, 21). In einer Entscheidung der Schiedsstelle vom 5. Januar 1931 (EuM 30, 10, 11) wurde der Ausnahmecharakter von Betriebsüberweisungen besonders deutlich hervorgehoben und die grundlegende Umgestaltung der Betriebsverhältnisse verneint, weil "trotz der nicht zu verkennenden technischen Umgestaltung eines wesentlichen Teiles des Betriebes (Übergang von der Eisenschmelzerei zur Stahlerzeugung durch Einführung des Siemens-Martin-Verfahrens) die Eigenart des Betriebes in entscheidenden und sich auch deutlich ausprägenden Arbeitsvorgängen erhalten geblieben" war. Bedeutsam war auch der Anteil der mit dem neuen Verfahren beschäftigten Arbeitnehmer, der Gefahrencharakter, der überwiegend ausgeübten Tätigkeiten und der Umstand, daß ein Fabrikationszweig erhalten geblieben war, der dem ursprünglichen Hauptbestandteil, der Maschinenfabrik, nahestand.

Betrachtet man diese Entscheidungen insgesamt und bezieht die Kriterien mit ein, die das Bundessozialgericht (BSG) für die erstmalige Bestimmung der berufgenossenschaftlichen Zuständigkeit für maßgeblich angesehen hat (BSGE 39, 112, 114), so muß sich die wesentliche Änderung der Betriebsverhältnisse - ausgehend von der für das betreffende Unternehmen zweckmäßigsten Unfall- und Krankheitsverhütung - maßgeblich auf die Herstellungsweise der Erzeugnisse beziehen. Das dabei in Betracht kommende Arbeitsverfahren und die dabei benutzten Betriebseinrichtungen hängen häufig, aber nicht immer, von der Art des Werkstoffes ab, so daß dieser uU mitbestimmend sein kann (BSG aaO).

Die Schwierigkeit, eine den Zuständigkeitswechsel begründende wesentliche Änderung der Betriebsverhältnisse festzustellen, ist vor allem dadurch bedingt, daß § 646 RVO keine Abgrenzung der einzelnen Zuständigkeitsbereiche enthält. Eine die sachliche Zuständigkeit der BG'en nach Art und Gegenstand der Unternehmen bestimmende Rechtsverordnung (§ 646 Abs 2 RVO) ist bisher nicht ergangen. Der die sachliche Zuständigkeit der BG'en regelnde Bundesratsbeschluß vom 22. Mai 1885 (AN 143) ist daher weiterhin geltendes Recht (BSG SozR Nr 4 zum RAM-Erlaß - Gemeindl. Unfallversicherung - Allg vom 16. März 1942 und Nr 1 zu § 646 RVO; BSGE aaO, 113). Zurückzugreifen ist ferner auf das vom RVA aufgestellte alphabetische Verzeichnis der Gewerbezweige nach ihrer berufsgenossenschaftlichen Zugehörigkeit (alphabetisches Verzeichnis, AN 1885, 254; 1886, 134; 1903, 404; 1906, 477; Handbuch der Unfallversicherung, Bd III, 1910, S 1 ff). Ebenso wie bei Erstzuweisungen ist in entsprechender Anwendung der bezeichneten Bestimmungen auch bei Überweisungen zu prüfen, welcher BG ein verändertes Unternehmen am nächsten steht, wenn für einen Gewerbezweig - hier Herstellung von Elektrowerkzeugen - keine ausdrückliche Zuweisung vorliegt. Das vom Hauptverband der gewerblichen BG'en herausgegebene alphabetische Verzeichnis der Gewerbezweige von 1959 ist nicht als verbindliche Fortschreibung anzusehen; diese ist gemäß § 646 Abs 2 RVO vielmehr dem Verordnungsgeber vorbehalten.

Angesichts dieser rechtlichen Situation hätte sich das LSG nicht - auch nicht im Rahmen des § 664 Abs 3 RVO - mit der Feststellung begnügen dürfen, das klägerische Unternehmen sei im Hinblick auf die wesentlich geänderten Produktionsverhältnisse "eindeutig" der Beigeladenen zuzuordnen. Es hätte vielmehr zunächst feststellen müssen, inwiefern sich die Herstellungsweise unter Einbeziehung der Arbeitsverfahren und der hauptsächlich verwendeten Materialien wesentlich verändert hat, und hätte sodann unter Berücksichtigung des technischen Fortschritts vergleichen müssen, ob das veränderte Unternehmen seiner Eigenart nach der Beklagten oder der Beigeladenen näher steht. Daß im vorliegenden Fall ohne detaillierte tatsächliche Feststellungen keine eindeutige Zuordnung vorgenommen werden kann, ergibt sich schon daraus, daß in dem alphabetischen Verzeichnis des RVA die Herstellung von Elektrowerkzeugen nicht aufgeführt war. Der Beklagten waren neben den klassischen Eisen- und Stahl-Werken zB die Betriebe zugeordnet, die sich mit der Herstellung von Bohrmaschinen (Handbuch der Unfallversicherung aaO S 28), Holzbearbeitungsmaschinen (S 44), Metallbearbeitungsmaschinen (S 58) sowie mit der Herstellung von Werkzeugen und Werkzeugmaschinen (S 85) befaßten. Bei den der Beigeladenen zugeordneten Zweigen handelte es sich neben der an erster Stelle genannten Nähmaschinenfabrikation (S 2) und der Herstellung von physikalisch-technischem Gerät um den Bau von Elektromotoren, elektrischen Maschinen und elektrotechnischen Apparaten (S 34). Im Hinblick auf diese Zuweisungen war die Beklagte für die von der Klägerin ursprünglich hergestellten handbetriebenen Werkzeuge und Maschinen zuständig. Inwieweit bis zum Jahre 1983 durch den technischen Fortschritt ein zwingender Zuständigkeitswechsel eingetreten ist, läßt sich nicht schon anhand der veränderten Produkte und der geringeren Verwendung von Eisen und Stahl beantworten. Zu Recht weist die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Klägerin nach wie vor Werkzeuge und Maschinen herstelle und daß nicht ohne weiteres gesagt werden könne, elektrisch angetriebene Werkzeuge seien mit elektrotechnischen Apparaten gleichzusetzen.

Für eine solche Gleichsetzung wäre es erforderlich gewesen, im einzelnen festzustellen, weshalb es sich bei der Herstellung von modernen Elektrowerkzeugen und elektrisch betriebenen Holzbearbeitungs- und Schleifmaschinen weniger um die technische Weiterentwicklung der ursprünglich hergestellten Werkzeuge und Maschinen als vielmehr um die Herstellung anderer, nämlich elektrotechnischer Erzeugnisse handelt, deren Herstellungsweise die Zuständigkeit der Beigeladenen nahelegt. Diese Feststellungen wird das LSG nachzuholen haben, wobei es sich anbietet, durch ein Sachverständigengutachten zu klären, inwieweit die bei der Herstellung verwendeten Werkstoffe, der Anteil der Elektromotoren- und Elektronikherstellung sowie die hauptsächlich vorkommenden Arbeitsverfahren dem Unternehmen der Klägerin ein Gepräge geben, das dem elektrotechnischer Unternehmen weitgehend entspricht. Dem Verwendungszweck der Erzeugnisse wird nur dann Bedeutung zukommen, wenn sich auch unter dem Gesichtspunkt der zweckmäßigsten Unfall- und Krankheitsverhütung kein Zuständigkeitsschwerpunkt feststellen läßt (vgl BSGE 39, 112, 114).

Bezüglich des Überweisungszeitpunktes wäre das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden. Nach § 668 Abs 1 RVO wird die Überweisung zwar erst mit dem Ablauf des Geschäftsjahres wirksam, in dem sie dem Unternehmer mitgeteilt wird. Diese Vorschrift betrifft aber nur den Regelfall des § 667 Abs 1 RVO, in welchem die Überweisung von der BG durchgeführt wird. Wird die vom Unternehmer beantragte Überweisung dagegen abgelehnt, so ist der Ablauf des Geschäftsjahres maßgebend, in dem der Antrag gestellt wurde. Andernfalls wäre der Überweisungszeitpunkt von der anschließenden Verfahrensdauer abhängig. Für die hier vertretene Auffassung spricht auch § 671 Abs 1 Satz 1 RVO aF, der bei einer Überweisung auf Antrag des Unternehmers (§ 666 RVO aF) auf den Antragszeitpunkt abstellte. Daß diese Regelung von § 668 Abs 1 RVO nF nicht übernommen wurde, beruhte ausschließlich auf praktischen, die unterschiedlichen Beitragssysteme berücksichtigenden Erwägungen (vgl Brackmann aaO, S 516). Im übrigen hat das LSG zutreffend auf die in § 668 Abs 2 RVO vorgesehene Dispositionsbefugnis der Beteiligten hingewiesen.

Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517995

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