Leitsatz (amtlich)

Entspricht der für mindestens 2 Jahre abgeschlossene Ausbildungsvertrag eines Umschülers allen Erfordernissen eines Lehrvertrages und kann er nur aus einem wichtigen Grunde gelöst werden, so besteht ohne Rücksicht auf Art und Höhe der Vergütung Versicherungsfreiheit nach AVAVG § 63 Abs 1.

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei Arbeitslosen-Versicherungsfreiheit besteht kein Anspruch auf Schlechtwettergeld.

 

Orientierungssatz

1. Zum Begriff "Lehrling" und zur Rechtsnatur des Lehrverhältnisses.

2. Zum Begriff "Umschüler" und zur Rechtsnatur des Umschul- Verhältnisses.

 

Normenkette

AVAVG § 63 Abs. 1 Fassung: 1957-04-03, Abs. 2 Nr. 2 Fassung: 1957-04-03, § 143f Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1960-10-28, Abs. 3 S. 2 Fassung: 1960-10-28

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Juni 1964 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Kläger, ein Bauunternehmer, hatte mit dem 1941 geborenen Beigeladenen H einen schriftlichen "Ausbildungsvertrag für Altlehrlinge im Handwerk" zur Ausbildung als Maurer für die Zeit vom 1. Juni 1961 bis zum 31. Mai 1963 abgeschlossen. Der Beigeladene, der früher nach Abschluß einer kaufmännischen Berufsausbildung als kaufmännischer Angestellter tätig gewesen ist, hat diesen Vertrag nach seiner nicht bestrittenen Erklärung deshalb abgeschlossen, weil er den Beruf eines Hochbauingenieurs anstrebte, für den er ein zweijähriges Praktikum benötigte. Hierbei habe er eine regelrechte Ausbildung in allen Zweigen des Hochbaus erhalten und, was inzwischen geschehen sei, die Gesellenprüfung ablegen wollen. Auf Grund dieses Vertragsverhältnisses, das auch in die Lehrlingsrolle eingetragen war, wurde der Beigeladene unter Leitung eines Poliers zu sämtlichen in allen Zweigen des Hochbaus anfallenden Arbeiten herangezogen, ohne Hilfsarbeitertätigkeiten verrichten zu müssen.

Im Januar 1962 beantragte der Kläger Schlechtwettergeld wegen witterungsbedingter Arbeitsausfälle im Dezember 1961. Mit Bescheid vom 15. Januar 1962 lehnte die beklagte Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb) das für den Beigeladenen in Höhe von 8,05 DM beantragte Schlechtwettergeld ab, weil dieser im fraglichen Zeitraum nicht in einem der Arbeitslosenversicherung unterliegenden Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.

In seiner hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger die Ansicht vertreten, Altlehrlinge im bayerischen Baugewerbe seien während ihrer Ausbildung arbeitslosenversicherungspflichtig. Sie seien gewöhnliche Arbeiter in der Umschulung, denen auch nicht die tarifvertraglich festgesetzte Ausbildungsbeihilfe, sondern Stundenlohn gezahlt werde. Ihr Ausbildungsverhältnis könne im Rahmen des § 2 Ziff. 5 des für allgemein verbindlich erklärten Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe vom 6. Juli 1956 in der Fassung vom 12. November 1960 (BRTV) während des Winters bei ungünstiger Witterung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gelöst werden.

Das Sozialgericht (SG) hat in seinem Urteil vom 9. Oktober 1962 das Ausbildungsverhältnis des Beigeladenen als echtes, gemäß § 63 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) versicherungsfreies Lehrverhältnis angesehen und die Klage abgewiesen. Die Berufung wurde zugelassen.

Auch die Berufung des Klägers, in der er ua geltend gemacht hatte, der Ausbildungsvertrag des Beigeladenen habe nur aus Versehen keine Klausel über das Ruhen der gegenseitigen Rechte und Pflichten bei nicht in der Person des Altlehrlings begründeten Unterbrechungen des Ausbildungsverhältnisses enthalten, hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat in den Gründen seines Urteils im wesentlichen ausgeführt: Der Inhalt des zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen abgeschlossenen Vertrags, insbesondere dessen §§ 2 und 3, lasse eindeutig erkennen, daß es sich nach dem Willen der Vertragspartner um einen Lehrvertrag im eigentlichen Sinn gehandelt habe. Hiermit habe die tatsächliche Ausgestaltung des Ausbildungsverhältnisses übereingestimmt. Gegen ein Lehrverhältnis spreche auch nicht, daß der Beigeladene keine "Lehrlingsvergütung", sondern Stundenlohn erhalten habe, da das Alter eines Lehrlings, die Höhe seiner Vergütung und die in § 127 a der Gewerbeordnung (GewO) aufgeführten Pflichten, insbesondere bei einem älteren Lehrling, für sich allein nicht für ein Lehrverhältnis kennzeichnend seien. Zudem sei in § 63 AVAVG nF als entscheidender Gesichtspunkt für die Beurteilung der Versicherungsfreiheit von Lehrlingen, Umschülern und Anlernlingen die "Ausbildung" im Beruf herausgestellt worden. Das Ausbildungsverhältnis des Beigeladenen habe nach dem Vertrag vom 2. Juni 1961 nur aus einem wichtigen Grund gelöst werden können, also nur aus einem Grunde, der auch bei sonstigen Lehrverhältnissen zur vorzeitigen und fristlosen Kündigung berechtige. Dagegen fehle im Lehrvertrag jeder Hinweis darauf, daß das Ausbildungsverhältnis zB auch wegen ungünstiger Witterung habe gelöst werden können. Die Behauptung, es handele sich hierbei um ein redaktionelles Versehen, sei unerheblich, da allein der vorliegende Lehrvertrag entscheide.

Revision wurde zugelassen.

Der Kläger hat Revision eingelegt mit dem Antrag,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger "Schlechtwettergeld" in Höhe von DM 8,05 zu erstatten.

Er ist der Auffassung, das LSG habe §§ 63, 143 f AVAVG verletzt, da es zu Unrecht den Ausbildungsvertrag des Beigeladenen als echten Lehrvertrag im Sinne des § 63 Abs. 1 AVAVG angesehen habe. Tatsächlich liege ein Umschulungsvertrag vor. Für die Abgrenzung dieser beiden Vertragsverhältnisse könne nicht darauf abgestellt werden, ob ein Ausbildungsvertrag gegeben sei oder nicht, da es sich nach § 63 Abs. 1 und 2 AVAVG bei beiden um Ausbildungsverträge handle. Entscheidend sei vielmehr der wirtschaftliche Inhalt des Vertrags, der vorliegend zwar zB hinsichtlich des Ausbildungszwecks und der Befristung durchaus Merkmale eines Lehrvertrags aufweise, nach seinem wirtschaftlichen Inhalt aber einem Arbeitsvertrag weitaus näherstehe. Dies ergebe sich besonders daraus, daß der Beigeladene Zeitlohn erhalten habe, was ein echtes Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung voraussetze, wie es für den Arbeitsvertrag, aber nicht für den Lehrvertrag kennzeichnend sei. Diese Auslegung des Ausbildungsvertrags entspreche auch dem Grundgedanken des § 63 AVAVG, der davon ausgehe, daß der von der Versicherungspflicht ausgenommene Lehrling bereits vertraglich gegen Arbeitslosigkeit geschützt sei, weil er bei einem durch ordentliche Kündigung nicht auflösbaren Vertragsverhältnis auch in der Zeit winterlicher Arbeitslosigkeit seine Lehrlingsvergütung weiterbeziehe. Das gelte aber nicht für einen Umlerner , der im Zeitlohn arbeite und daher mangels Arbeitsleistung in der Schlechtwetterzeit kein Entgelt erhalte. Sei dieser Arbeitnehmer auch noch arbeitslosenversicherungsfrei, so erhalte er in dieser Zeit weder Lohn noch Schlechtwettergeld, also überhaupt nichts. Es handle sich daher bei dem Vertrag des Beigeladenen um einen Umschülervertrag. Dieser habe nicht nur unter den für Lehrlinge geltenden Voraussetzungen, sondern auch aus anderen Gründen gelöst werden können. Zwar sei er, ebenso wie ein Lehrvertrag, nur aus einem wichtigen Grund kündbar, doch ergäben sich trotz dieser rein formalen Übereinstimmung aus dem verschiedenen Wesen beider Vertragstypen erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Kündigungsmöglichkeiten. Es komme hinzu, daß nach dem BRTV für das Baugewerbe den Altlehrlingen als sogenannten Umschülern im Gegensatz zu den Lehrlingen bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall in der Zeit vom 15. Oktober bis zum 31. März "außerordentlich fristlos" gekündigt werden könne. Diese tarifvertragliche Regelung gebe wegen der besonderen Arbeitsbedingungen im Baugewerbe die authentische Interpretation für das Vorliegen eines wichtigen Grundes im persönlichen Geltungsbereich des BRTV. Eine dem entgegenstehende Vereinbarung wäre, weil der BRTV für das Baugewerbe für allgemein verbindlich erklärt sei, nach § 4 Abs. 3 des Tarifvertragsgesetzes (TVG) unbeachtlich. Auch aus § 111 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) und § 26 der Handwerksordnung (HO) ergäben sich Verschiedenheiten für die Auflösung der beiden Vertragsarten. Schließlich rügt der Kläger, das Berufungsgericht habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, weil es über die Stellung der Altlehrlinge im bayerischen Baugewerbe kein Gutachten der zuständigen Handwerkskammer eingeholt und nicht berücksichtigt habe, daß für den Beigeladenen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt worden seien.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, nach den vom LSG getroffenen Feststellungen handle es sich bei dem Ausbildungsvertrag des Beigeladenen um einen echten Lehrvertrag. Da diese Frage stets allein auf Grund des konkreten Einzelvertrages zu entscheiden sei, habe es einer gutachtlichen Stellungnahme der zuständigen Handwerkskammer über die Einordnung der Altlehrlinge im bayerischen Baugewerbe nicht bedurft. Selbst wenn man aber vorliegend ein Umschulungsverhältnis annehme, so wäre auch dieses nach § 63 Abs. 2 Ziff. 2 AVAVG versicherungsfrei, weil die Kündigung wie bei einem Lehrverhältnis nur aus wichtigem Grund möglich gewesen sei. Zwar könne die Entscheidung der Frage, ob ein wichtiger Grund vorliege, je nach Alter und Einsichtsvermögen des Lehrlings verschieden ausfallen. Dies ändere aber nichts daran, daß die Kündigungsvoraussetzungen, nämlich das Vorliegen eines wichtigen Grundes, bei Lehrlingen und Altlehrlingen die gleichen seien. Unerheblich sei es, ob § 2 Ziff. 5 BRTV für das Baugewerbe auf Altlehrlinge anzuwenden sei, da jedenfalls die einzelvertragliche Vereinbarung, daß der Vertrag nur aus wichtigem Grund gelöst werden könne, für den Beigeladenen insgesamt günstiger sei und daher der Regelung des BRTV vorgehe.

Der Beigeladene hat im Revisionsverfahren keine Anträge gestellt oder Erklärungen abgegeben.

II.

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen das Beschäftigungsverhältnis des Beigeladenen in der fraglichen Zeit als versicherungsfreies Lehrverhältnis angesehen.

Nach § 143 f Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 AVAVG besteht ein Anspruch auf Schlechtwettergeld nur für Personen, die in einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung stehen. Versicherungsfrei in der Arbeitslosenversicherung ist nach § 63 Abs. 1 AVAVG eine Beschäftigung zur Ausbildung auf Grund eines schriftlichen Lehrvertrags von mindestens zweijähriger Dauer ohne Rücksicht auf die Höhe der Vergütung, wenn der Lehrvertrag nur aus einem wichtigen Grund gelöst werden kann; gleiches gilt nach § 63 Abs. 2 AVAVG für eine Beschäftigung als Umschüler auf Grund eines schriftlichen Ausbildungsvertrags von mindestens 18-monatiger Dauer, sofern dieser nur unter den für Lehrlinge geltenden Voraussetzungen gelöst werden kann.

Eine Definition des Begriffs "Lehrling" ist in der GewO bewußt nicht enthalten. Ebenso ist die Rechtsnatur des Lehrverhältnisses - Arbeitsverhältnis oder Berufsausbildungs- oder Erziehungsverhältnis eigener Art - in der Lehre umstritten (vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd. I, S. 83, 737; Nikisch, "Arbeitsrecht", 3. Aufl., Bd. I, S. 870; Rohlfing/Kiskalt/Wolff, Gewerbeordnung, 3. Aufl., S. 390). Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA) - GE 5215, AN 1938, 311; GE 5333, AN 1940, 46; GE 5493, AN 1942, 544 -, der sich der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 29. November 1957 (BSG 6, 147, 151) angeschlossen hat, ist ein Lehrverhältnis dann als gegeben anzusehen, wenn die Beschäftigung hauptsächlich der Fachausbildung dient, diesem Ziel entsprechend geleitet wird und der Auszubildende in dem Ausbildungsbetrieb tatsächlich die Stellung eines Lehrlings einnimmt. Die Arbeitstätigkeit ist hier nicht Selbstzweck, sondern in erster Linie Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zieles, nämlich der Fach- und Berufsausbildung. Daher gibt dem Lehrverhältnis, wie es der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seiner Entscheidung vom 30. Januar 1963 (BSG 18, 246, 249) formuliert hat, nicht die Arbeit gegen Entgelt, sondern der Ausbildungszweck das Gepräge. " Umlerner " - auch "Umschüler" genannt - sind ältere Personen, die meist bereits für einen anderen Beruf ausgebildet sind und die aus irgendwelchen Gründen den Beruf wechseln müssen oder solche, die ihre Ausbildung erst verspätet beginnen können (BT II - 1953 - Drucks. 1274, S. 113; vgl. auch GE 3326, AN 1929, 23; GE 3758, AN 1930, 253; GE 5215, AN 1938, 311; GE 5493, AN 1942, 545; Bürgel in ErsK 1960, S. 57, 60). Die letztgenannte Gruppe wurde nach dem Kriege teilweise als "Altlehrlinge" bezeichnet (vgl. Erl. des Bayerischen Arbeitsministeriums vom 20. April 1949 und 8. November 1954 in Bayer. ArbBl 1949 S. 57 und 1955, 236 A sowie Anm. zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Kiel vom 18. Januar 1950 in BB 1950, 509). Es kann dahinstehen, ob der allein entscheidende "objektivierte Wille des Gesetzgebers" in § 63 Abs. 2 AVAVG auch diese "Altlehrlinge", d. h. die nach dem hierfür üblichen Zeitpunkt erstmals eine Ausbildung beginnenden Personen erfaßt, da der Beigeladene jedenfalls wenigstens Umschüler im Sinne dieser Vorschrift ist. Denn er hat nach den insoweit nicht angegriffenen und daher bindenden (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) Feststellungen des Berufungsgerichts seine Ausbildung als Maurer erst nach Abschluß einer kaufmännischen Berufsausbildung und Tätigkeit in diesem Beruf im Alter von zwanzig Jahren begonnen. Demgegenüber hat die Bezeichnung "Altlehrling" im verwandten Vertragsformular selbst dann keine Bedeutung, wenn hierunter im bayerischen Baugewerbe - entgegen der Behauptung der Revision - im allgemeinen nur sogenannte "alte Lehrlinge", d. h. erstmals eine Berufsausbildung beginnende Personen verstanden worden sein sollten. Daher ergibt sich aus der Tatsache, daß das Berufungsgericht keine Stellungnahme der zuständigen Handwerkskammer zur Einordnung der Altlehrlinge im bayerischen Baugewerbe eingeholt hat, keine Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht (§§ 103, 128 SGG). Wesentlicher Inhalt eines Umlernverhältnisses im Sinne des § 63 Abs. 2 AVAVG ist, wie sich aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt, der Ausbildungszweck, den es mit dem Lehrverhältnis gemeinsam hat, wenn auch daneben meist die Arbeitsleistung den Vertrag erheblich stärker mitbestimmt als bei einem echten Lehrverhältnis (vgl. BT 2, Drucks. 1274 aaO; Krebs, AVAVG, 2. Aufl., § 63, Anm. 28; Draeger/Buchwitz/Schönfelder, AVAVG, § 63, Anm. 22, 23; Hartmann/Philipp, Handwerksordnung S. 148; Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, 11. Aufl., S. 259; Rohlfing/Kiskalt/Wolff, aaO S. 398).

Schon das RVA hatte zu § 74 AVAVG aF, der nur die Versicherungsfreiheit von Lehrlingen, nicht aber auch die von Umschülern ausdrücklich vorsah, die ständige Rechtsprechung entwickelt, daß sich auch ein Umlerner in einem Lehrverhältnis befinden und damit versicherungsfrei sein könne (vgl. AN 1929, 23; 1930, 253; 1942, 545). Diese Ansicht, die auch von den gewerberechtlichen Kommentatoren vertreten wird (vgl. Landmann/Rohmer, aaO S. 259; Rohlfing/Kiskalt/Wolff, aaO S. 398; Rohlfing in Anm. zu AP 1951 Nr. 22 und BB aaO) hat der erkennende Senat gleichfalls in seiner Entscheidung vom 29. November 1957 (aaO) zu § 74 AVAVG aF geteilt. Danach ist ein Umlernverhältnis je nach den Umständen des Einzelfalles dann ein Lehrverhältnis im Sinne des § 74 AVAVG aF, wenn der Umlerner nach dem wirtschaftlichen Inhalt des Vertrags und der Ausgestaltung seiner Tätigkeit im Betrieb tatsächlich die Stellung eines Lehrlings einnimmt. An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch nach Einführung des § 63 Abs. 2 AVAVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. April 1957 (BGBl I 321) fest. Diese Vorschrift bezieht in "Änderung des Gesetzes vom 9. Dezember 1952 die umstrittenen Beschäftigungsverhältnisse der Umschüler ausdrücklich in die Versicherungsfreiheit ein", da "diese Umschulverhältnisse, die arbeits- und tarifrechtlich Arbeitsverhältnisse darstellen, ihrem Zweck nach jedoch vorwiegend Ausbildungsverhältnisse sind, der gleichen Begünstigung wie sonstige Ausbildungsverhältnisse bedürfen" (BT II Drucks. 1274 aaO). Zwar wird hiermit nunmehr eine eigene Regelung für Umschüler getroffen, doch greift diese nicht ein, wenn nach den Umständen des Einzelfalles erkennbar ist, daß das Ausbildungsverhältnis eines Umschülers alle Voraussetzungen eines echten Lehrverhältnisses erfüllt. Für diesen Fall gilt vielmehr nach wie vor die speziell Lehrlinge erfassende Vorschrift des § 63 Abs. 1 AVAVG. Dies ergibt sich einmal aus dem systematischen Aufbau des § 63 Abs. 1 AVAVG, vor allem aus der Tatsache, daß diese Vorschrift die primäre, für alle Lehrverhältnisse geltende Befreiungsnorm enthält, wohingegen Abs. 2 nur diese Befreiung auch auf diejenigen Ausbildungsverhältnisse erstreckt, die zwar keine echten Lehrverhältnisse darstellen, aber durch die Erschwerung der Kündigung wie diese in ihrem Bestand geschützt sind. Desgleichen bestätigt auch die oben zitierte Regierungsbegründung, nach der § 63 Abs. 2 AVAVG die Umschulverhältnisse erfaßt, "die arbeits- und tarifrechtlich Arbeitsverhältnisse darstellen", daß diejenigen Umschulungsverhältnisse, die als Lehrverhältnisse anzusehen sind, nicht nach § 63 Abs. 2 AVAVG, sondern wie bisher nach der für Lehrverhältnisse geltenden Norm, nunmehr also § 63 Abs. 1 AVAVG, zu behandeln sind.

Daher hat das Berufungsgericht zu Recht geprüft, ob das Ausbildungsverhältnis des Beigeladenen als Lehrverhältnis im Sinne des § 63 Abs. 1 AVAVG anzusehen war. Seine dahingehende Entscheidung wird auch durch die von ihm festgestellten Tatsachen getragen.

Hierbei ist zunächst von dem zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen abgeschlossenen "Ausbildungsvertrag für Altlehrlinge im Handwerk" auszugehen. Dieser wurde vom Berufungsgericht beigezogen, zum Gegenstand der Verhandlung gemacht und, soweit seine Bestimmungen nicht ausdrücklich in den Urteilsgründen wiedergegeben wurden, im Tatbestand des Urteils vom 24. Juni 1964 in Bezug genommen. Er ist daher insgesamt als festgestellt anzusehen und kann auch vom Revisionsgericht selbständig ausgelegt werden (vgl. Baumbach/Lauterbach, ZPO, 26. Aufl., § 561 2 A; Wieczorek, ZPO, 1957, B III c 3 zu § 313 und BGH LM § 133 BGB Nr. 2).

Dieser "Ausbildungsvertrag" trägt nach Form und Inhalt alle wesentlichen Züge eines echten Lehrvertrages: Er ist entsprechend § 21 Abs. 1, 2 und 4 der Handwerksordnung (HwO) am Tage nach Beginn der Ausbildung schriftlich zwischen "Lehrherr" und "Altlehrling" abgeschlossen, vom Lehrherrn, dem Beigeladenen und dessen gesetzlichen Vertreter unterschrieben und von der Handwerkskammer in die Lehrlingsrolle eingetragen worden. Inhalt des Vertrages ist "die Ausbildung in dem Lehrberuf Maurer" (vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 1 HwO), für die in § 1 des Vertrages eine zweijährige Ausbildungszeit vorgesehen wurde (vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 2 HwO). An diese schließt sich, wie auch in den Muster-Lehrverträgen vielfach üblich (vgl. Rohlfing/Kiskalt/Wolff, aaO § 126 b, Anm. 8), nach § 1 letzter Absatz des Vertrages eine Nachlehre für den Fall einer in der Person des Auszubildenden liegenden, über drei Monate hinausgehenden Versäumung der Ausbildungszeit an. § 2 des Ausbildungsvertrages enthält eine den §§ 21 Abs. 1 Nr. 3, 24 Abs. 1 HwO entsprechende Aufzählung der Pflichten eines Altlehrlings, zu denen insbesondere der Besuch von schulmäßigen Einrichtungen zur Berufsausbildung gehört, der vom Lehrherrn nach § 3 letzter Satz des Vertrages gestattet werden muß. Dieser § 3 ist besonders wesentlich für die Annahme eines Lehrvertrages, da die in ihm festgestellten Pflichten des "Lehrherrn" mit den in § 22 Abs. 1 und 3 HwO genannten übereinstimmen. Danach sorgt der Lehrherr dafür, daß der Altlehrling "mit allen nach den für den betreffenden Beruf erlassenen 'Fachlichen Vorschriften zur Regelung des Lehrlingswesens' geforderten Arbeiten hinreichend vertraut gemacht wird" und verpflichtet sich, die "Ausbildung so zu fördern, daß der Altlehrling so rasch als möglich sein Lehrziel erreichen kann". Lehrziel ist nach §§ 1, 11 des Ausbildungsvertrages die Gesellenprüfung, der sich der Altlehrling nach Beendigung der Ausbildungszeit unterziehen soll. Diese streng auf die möglichst baldige Ablegung der Gesellenprüfung ausgerichtete Lehrpflicht des Lehrherrn, die es auch verbietet, den Altlehrling zu Arbeiten heranzuziehen, "die nach Art und Umfang mit der Ausbildung unvereinbar sind" (§ 3 des Vertrages, vgl. § 22 Abs. 3 HwO), ist der zentrale Inhalt des vom Beigeladenen abgeschlossenen Ausbildungsvertrages. Dessen §§ 2 und 3 stellen klar, daß für beide Vertragspartner die geregelte Fachausbildung des Beigeladenen und die Erreichung eines zeitlich und inhaltlich fest vorbestimmten Ausbildungszieles - der Gesellenprüfung als Maurer - alleiniger Inhalt des Ausbildungsvertrages und nicht etwa nur gewollte Nebenwirkung eines gleichzeitig wesentlich auf Arbeitsleistung gerichteten Vertragsverhältnisses war. Diesem Ziel entsprechend war die praktische Beschäftigung des Altlehrlings in erster Linie nach den für jede Lehrlingsausbildung maßgebenden "Fachlichen Vorschriften zur Regelung des Lehrlingswesens" (vgl. Rohlfing/Kiskalt/Wolff, aaO, § 127, Anm. 3) und weniger nach den betrieblichen Bedürfnissen des Lehrherrn durchzuführen, die hinter dem Ausbildungszweck des Vertrages zurückzustehen hatten (vgl. § 3 Sätze 2 und 3 des Vertrages). Damit aber erweist sich der vom Beigeladenen mit dem Kläger abgeschlossene Ausbildungsvertrag nach seinem Zweck und Inhalt als echter, allein auf eine geregelte Fachausbildung als Maurer gerichteter Lehrvertrag. Dem entsprechen auch seine übrigen Bestimmungen, wie die Regelung des Urlaubs (§ 6), der Probezeit (§ 1; vgl. § 25 Abs. 1 HwO), der Nachwirkungsklausel (§ 18; vgl. Rohlfing/Kiskalt/Wolff, aaO, § 126 b, Anm. 9) und der Pflicht zur Erteilung eines Lehrzeugnisses (§ 9; vgl. § 23 HwO). Typisch für einen Lehrvertrag ist schließlich auch die für eine Lösung des Ausbildungsverhältnisses getroffene Regelung. So enthält § 7 Satz 1 die auch in den Einheitslehrverträgen übliche Vereinbarung, daß "dieser Ausbildungsvertrag als gelöst gilt, wenn die zuständige Stelle, die die Lehrlingsrolle führt, der Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses widerspricht". Dabei handelt es sich nicht etwa um die Vereinbarung eines bestimmten Kündigungsgrundes; vielmehr stellt § 7 Satz 1 den Abschluß des Vertrages selbst unter eine auflösende Bedingung für den Fall, daß der zwischen den Parteien abgeschlossene Lehrvertrag von der Handwerkskammer nicht anerkannt wird (vgl. Rohlfing/Kiskalt/Wolff, aaO, § 126 b, Anm. 12). Ist dies jedoch geschehen, so kann das Ausbildungsverhältnis nach Ablauf der Probezeit (§ 25 HwO) wie jedes Lehrverhältnis nur ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (§ 7 Satz 2 des Vertrages). Neben dieser ausdrücklichen Regelung der Lösung des Ausbildungsverhältnisses im Vertrag des Beigeladenen sind formularmäßige Zusätze, wie sie angeblich in anderen Handwerkskammerbezirken verwandt werden, unerheblich, da hierüber keine Einigung der Parteien vorliegt, sie also nicht zum Inhalt des Vertrages vom 2. Juni 1961 geworden sind. Dieser konnte demnach nur aus wichtigem Grund gelöst werden.

Entspricht somit der Ausbildungsvertrag des Beigeladenen in allen wesentlichen Punkten einem typischen Lehrvertrag, so weicht er von diesem nur hinsichtlich des Erziehungsinhalts (§ 24 Abs. 2 HwO) und der Entlohnung ab. Daß der Erziehungszweck bei älteren Lehranfängern weitgehend hinter dem Ausbildungszweck des Lehrvertrages zurücktritt, wurde bereits in der Entscheidung vom 29. November 1957 (aaO S. 153) ausgesprochen (vgl. auch Hueck/Nipperdey, aaO S. 737). Aber auch die Entlohnungsart - Tariflohn eines Hilfsarbeiters, also Zeitlohn - vermag nicht entscheidend gegen die Annahme eines Lehrvertrages zu sprechen. Denn wenn schon nach § 63 Abs. 1 AVAVG die Höhe der Vergütung keine Rolle spielt, so muß Gleiches auch für die Lohnart gelten, die für sich allein noch weniger über Art und Wert der Beschäftigung eines Auszubildenden zu sagen vermag. Da im übrigen die Lehrlingsvergütung zumindest auch Entgeltcharakter trägt (vgl. Hueck/Nipperdey, aaO, S. 746, Nikisch, "Arbeitsrecht", aaO, S. 876) erscheint die Entlohnung eines älteren, verantwortungsbewußten "Umschüler-Lehrlings" im Zeitlohn durchaus möglich. Dies um so mehr, als auch der Anhang 1 zum BRTV für das Baugewerbe vom 6. Juli 1956 in der Fassung vom 12. November 1960 in Abschnitt II die Ausbildungsbeihilfe der Lehrlinge in Vom-Hundert-Sätzen des Tariflohnes, also Zeitlohnes, eines Facharbeiters bemißt. Daher ist weder die Art noch die Höhe der gewährten Vergütung für die Anerkennung oder Ablehnung eines Lehrverhältnisses von ausschlaggebender Bedeutung (vgl. BSG, 29. November 1957, aaO S. 153; OVA Osnabrück in Breithaupt 1951, S. 1335, 1338; Krebs, aaO, § 63, Anm. 3; Schwindt, Komm. zur HwO, Vorbemerkung zu § 17 b, S. 91).

Aber nicht nur der Ausbildungsvertrag vom 2. Juni 1961 trägt nach Form und sachlichem Inhalt alle wesentlichen Merkmale eines echten Lehrvertrages. Auch die tatsächliche Ausgestaltung der Beschäftigung des Beigeladenen auf Grund dieses Vertrages entsprach - und das ist entscheidend (vgl. GE 3326, AN 1929, 23; BSG 6, 151) - der eines Lehrlings: Nach den bindenden Feststellungen des LSG ist der Beigeladene das Ausbildungsverhältnis eingegangen, um eine regelrechte Ausbildung in allen Zweigen des Hochbaus zu erhalten und die Gesellenprüfung als Maurer abzulegen. Gerade der Umstand, daß er sich in dem ihm völlig neuen Beruf des Maurers innerhalb der abgekürzten Ausbildungszeit von nur zwei Jahren auf die Gesellenprüfung vorbereitete, deutet darauf hin, daß seine tatsächliche Beschäftigung, entsprechend dem Inhalt des abgeschlossenen Lehrvertrages, hauptsächlich der Erreichung dieses Zieles, d. h. der Fachausbildung als Maurer diente (vgl. den ähnlich gelagerten Fall in AN 1930, 253). Entscheidend für die tatsächliche Ausgestaltung der Tätigkeit des Beigeladenen ist aber, daß er, obwohl als ehemaliger kaufmännischer Angestellter völlig berufsfremd, im Betrieb des Klägers keine Tätigkeiten als Hilfsarbeiter ausführen mußte, sondern unter der Leitung eines Poliers zu sämtlichen Arbeiten in allen Zweigen des Hochbaus herangezogen wurde. Denn mangels beruflicher Vorkenntnisse als Maurer hätte er für den Kläger nur als Hilfsarbeiter in größerem Umfang wirtschaftlich wertvolle Arbeit leisten können. Wäre daher seine Beschäftigung wie ein Arbeitsverhältnis ganz oder wenigstens wie ein einfaches Umschulungsverhältnis erheblich vom Arbeitszweck bestimmt worden, so hätte er zumindest in beträchtlichem Umfang Hilfsarbeitertätigkeiten im Betrieb des Klägers verrichtet (vgl. insoweit Bayer. LSG in Bayer. ArbBl 1955, 132 B, das einem Altlehrling gerade wegen einer entsprechenden Tätigkeit als Hilfsarbeiter ansieht). Die Tatsache aber, daß der Beigeladene keine Hilfsarbeitertätigkeiten auszuführen hatte, er vielmehr zu allen Arbeiten im Hochbau, die er mangels entsprechender Vorkenntnisse nicht selbständig verrichten konnte, "unter Leitung eines Poliers herangezogen wurde", beweist, daß seine Beschäftigung vorwiegend der entsprechend geleiteten Fachausbildung diente. Damit hatte er im Betrieb des Klägers tatsächlich die - auch nach dem Ausbildungsvertrag vorgesehene - Stellung eines Lehrlings und nicht die eines Hilfsarbeiters oder die dieser angenäherte Stellung eines sich nicht in einem Lehrverhältnis befindenden Umschülers inne. Ob er hierbei noch Vorbereitungs- und Aufräumungsarbeiten erledigen mußte oder nicht, ist unerheblich, da es sich bei diesen um vor allem der Erziehung dienende Tätigkeiten handelt. Ihre Verrichtung hängt mit dem jugendlichen Alter der meisten Lehrlinge zusammen (vgl. Schwindt, aaO, § 22 Anm. 7) und ist daher nicht notwendiger Inhalt des Lehrverhältnisses eines älteren Lehrlings, bei dem der Erziehungsgedanke weitgehend zurücktritt. Somit war das Ausbildungsverhältnis des Beigeladenen im Betrieb des Klägers sowohl nach dem Inhalt des ihm zugrunde liegenden Ausbildungsvertrages als auch nach seiner tatsächlichen Ausgestaltung ein echtes Lehrverhältnis. Da dieses nach § 7 des Vertrages vom 2. Juni 1961 nur aus wichtigem Grund gelöst werden konnte, war der Beigeladene im Dezember 1961 nach § 63 Abs. 1 AVAVG arbeitslosenversicherungsfrei, wobei es unerheblich ist, ob für ihn Beiträge zu diesem Versicherungszweig entrichtet wurden oder nicht (BSG 13, 98, 101).

Diese Entscheidung läßt sich jedoch nicht schlechthin auf alle Ausbildungsverhältnisse von Altlehrlingen im Bayerischen Baugewerbe übertragen. Vielmehr wird jeweils nur anhand der im Einzelfall vorliegenden vertraglichen und tatsächlichen Ausgestaltung festgestellt werden können, ob das Ausbildungsverhältnis eines Altlehrlings als Lehrverhältnis nach § 63 Abs. 1 AVAVG versicherungsfrei oder als reines Umschulungsverhältnis je nach seinen Auflösungsmöglichkeiten gemäß § 63 Abs. 2 AVAVG arbeitslosenversicherungsfrei oder -pflichtig ist.

Vorliegend jedenfalls war das Umschulungsverhältnis des Beigeladenen versicherungsfrei, weshalb für ihn nach § 143 f AVAVG kein Anspruch auf Schlechtwettergeld besteht. Die Revision des Klägers ist demnach als unbegründet zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI927556

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