Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Der Rechtsstreit betrifft einen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe für die Zeit vom 1. September 1990 bis 28. Januar 1991.

Die 1967 geborene Klägerin begann am 1. September 1987 eine Ausbildung zur Datenverarbeitungskauffrau bei der T. S. AG und bezog ab Mai 1988 Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA). Wegen häufiger Erkrankungen konnte sie an der vorgesehenen Abschlußprüfung nicht teilnehmen, so daß ihr ursprünglich bis zum 28. Februar 1990 befristetes Ausbildungsverhältnis bis zum 31. August 1990 verlängert wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt erhielt die Klägerin BAB, zuletzt in Höhe von DM 162, 00 monatlich.

Ihren Antrag, die BAB über den 31. August 1990 hinaus zu bewilligen, begründete die Klägerin damit, sie habe auch im Sommer 1990 wegen eines Krankenhausaufenthalts an den Abschlußprüfungen nicht teilnehmen können. Die Industrie-und Handelskammer (IHK) habe ihr mitgeteilt, eine weitere Verlängerung des Ausbildungsverhältnisses sei nicht möglich. Im Hinblick darauf schloß die Klägerin mit der T. S. AG im August 1990 einen Praktikantenvertrag, der das Ziel hatte, der Klägerin durch eine berufsschul- und werkschulmäßige Betreuung sowie durch den praktischen Einsatz im Rahmen der Abteilung Informatik eine planmäßige und gezielte Vorbereitung auf die Abschlußprüfung zu ermöglichen. Inhaltlich legte dieser Vertrag fest, daß die Klägerin als kaufmännische Praktikantin beschäftigt wurde und eine Vergütung von DM 948, 00 brutto monatlich erhielt. In das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse wurde der Praktikantenvertrag nicht eingetragen.

Die BA lehnte die Weiterzahlung von BAB ab, weil der Praktikantenvertrag nicht den Anforderungen an einen Berufsausbildungsvertrag i.S. des § 3 Berufsbildungsgesetz (BBiG) entspreche (Bescheid vom 5. November 1990; Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 1991).

Die hiergegen gerichtete Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts SG Duisburg vom 11. Oktober 1991; Urteil des Landessozialgerichts LSG Nordrhein-Westfalen vom 30. Juni 1993). Das LSG hat ausgeführt, BAB sei nur dann zu gewähren, wenn die Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf in der vom BBiG vorgeschriebenen Form stattfinde. Daran fehle es für die Zeit ab 1. September 1990, denn der Praktikantenvertrag lege Umfang und Inhalt der Ausbildung nach der einschlägigen Ausbildungsordnung nicht fest. Auch sei dieser Vertrag nicht in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen. Diese Mängel seien nicht zu beheben, falls die Klägerin ihre Ausbildung tatsächlich auf der Grundlage des Praktikantenvertrages in gleichem Umfang und mit dem gleichen Inhalt wie nach dem Ausbildungsvertrag fortgesetzt habe. Die Gründe für den Abschluß des Praktikantenvertrages seien unerheblich. Die Voraussetzungen, unter denen BAB zu bewilligen seien, erfülle die Klägerin ab 1. September 1990 nicht mehr. Wenn sie vortrage, die IHK habe die Verlängerung ihres Ausbildungsverhältnisses zu Unrecht abgelehnt, sei sie auf Rechtsbehelfe gegen diese Entscheidung zu verweisen.

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung der §§ 40, 39 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) i.V.m. § 8 Abs. 4 Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung (AusbFöAnO) und führt aus, die Verwendung des Begriffs "Praktikantenvertrag" durch die T. S. AG dürfe kein Hindernis sein, die Weiterführung des Ausbildungsverhältnisses nicht als formgerecht anzusehen. Tatsächlich handele es sich um eine Verlängerung des Ausbildungsverhältnisses, denn der Praktikantenvertrag enthalte alle Elemente, die das BBiG für ein Ausbildungsverhältnis fordere. Die T. S. AG sei auf Verlangen der Klägerin lediglich ihrer Pflicht nachgekommen, die Ausbildungszeit zu verlängern. Die Regelung des § 14 Abs. 3 BBiG sei hier entsprechend heranzuziehen, weil die Klägerin wegen ihrer Erkrankungen die Abschlußprüfung nicht zu einem früheren Zeitpunkt habe ablegen können. Im übrigen habe die IHK der Verlängerung der Ausbildungszeit nach § 29 Abs. 3 BBiG konkludent zugestimmt, indem sie die Klägerin zur Abschlußprüfung zugelassen habe.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 11. Oktober 1991, das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. Juni 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. November 1990 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 1991 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Anspruch der Klägerin auf Berufsausbildungsbeihilfe über den 31. August 1990 hinaus unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält daran fest, das Praktikantenverhältnis sei weder in ein Ausbildungsverhältnis i.S. der §§ 3 und 4 BBiG umzudeuten noch könne es ein solches zur Begründung eines Anspruchs auf BAB ersetzen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG ).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet, denn das Urteil des LSG beruht nicht auf einer Gesetzesverletzung. Der Klägerin steht über den 31. August 1990 hinaus BAB nicht zu, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die Leistung nicht erfüllt sind.

1. Der Revisionsantrag der Klägerin geht von einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage aus. Er folgt damit der Rechtsansicht des LSG, welches der Fassung des § 8 Abs. 4 AusbFöAnO entnommen hat, während der Verlängerung der Ausbildung werde BAB als Ermessensleistung gezahlt. Ob diese Ansicht zutrifft oder § 8 Abs. 4 AusbFöAnO nur deklaratorische Bedeutung wegen eines unmittelbar aus § 40 Abs. 1 AFG herzuleitenden Anspruchs auf BAB während einer verlängerten Ausbildung zukommt (vgl. dazu: BSGE 38, 146, 147 = SozR 4100 § 42 Nr. 2; Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG, § 40 Rdnr. 24 Stand: August 1989 ), kann hier auf sich beruhen. Die gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen sind im einen wie im anderen Falle nicht erfüllt.

2. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 AFG gewährt die BA Auszubildenden BAB u.a. für eine berufliche Ausbildung in Betrieben, soweit ihnen nach Maßgabe dieses Gesetzes und der AusbFöAnO der BA die hierfür erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen.

2.1 Diesen Anspruch begrenzt § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst a AusbFöAnO i.d.F. der 29. ÄnderungsAnO vom 6. Juli 1990 (ANBA S. 1142) im Rahmen der der BA in § 39 Sätze 1 und 2 Nr. 1 AFG erteilten Anordnungsermächtigung auf betriebliche Ausbildungen in Berufen, die nach § 25 Abs. 1 BBiG als Ausbildungsberufe staatlich anerkannt sind oder die nach § 108 Abs. 1 BBiG als Ausbildungsberufe i.S. der vorgenannten Regelung gelten. Der von der Klägerin ergriffene Beruf der Datenverarbeitungskauffrau gehört jedenfalls zu den Berufen, die als Ausbildungsberuf gelten (Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe, herausgegeben vom Bundesinstitut für Berufsbildung Ausgabe 1991 S. 23 mit Hinweis auf Erl des BMWi im Einvernehmen mit dem BMA - IIB5-465022-13 - vom 9. Juli 1969). BAB ist jedoch nicht schon immer dann zu gewähren, "wenn das Ausbildungsziel ein anerkannter Ausbildungsberuf ist" (BSG SozR 3-4100 § 40 Nr. 2 m.w.N.). Entscheidend für die Förderungsfähigkeit einer Ausbildung ist - wie das BSG a.a.O. näher ausgeführt hat - nicht das Ziel der Ausbildung, sondern ihre Durchführung in der im BBiG vorgeschriebenen Form. Diese ist während der Vorbereitung der Klägerin auf die Abschlußprüfung im Rahmen des Praktikantenverhältnisses nicht gewahrt.

2.2 Förderungsfähig ist nur eine Ausbildung, deren Form das Erreichen der Ausbildungsziele gewährleistet. Diese sind darauf gerichtet, dem Auszubildenden die Grundlage für eine dauerhafte und vom einzelnen Betrieb unabhängige berufliche Tätigkeit zu vermitteln und die Wirtschaft mit qualifiziertem Nachwuchs auszustatten (BSG SozR 3-4100 § 40 Nr. 2). Demgemäß hat der schriftliche Ausbildungsvertrag bestimmten inhaltlichen Mindestanforderungen zu genügen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 BBiG). Die nach § 25 Abs. 2 Satz 1 BBiG erlassenen Ausbildungsordnungen und die gesetzlichen Pflichten des Ausbilders (§§ 6 ff. BBiG) sollen eine einheitliche Berufsausbildung inhaltlich und organisatorisch sicherstellen, die den technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfordernissen entspricht. Ausbilden darf nach §§ 20 ff. BBiG nur, wer die persönliche und fachliche Eignung besitzt und über geeignete Ausbildungsstätten verfügt. Die Wahrung dieser Anforderungen hat die zuständige Stelle - im vorliegenden Falle die IHK - zu überwachen (§ 23 BBiG), die ein Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse einzurichten und zu führen hat (§ 31 BBiG).

Der Praktikantenvertrag, der für die Zeit von September 1990 bis Anfang 1991 Grundlage der "Ausbildung" der Klägerin war, wies nicht die inhaltlichen Mindestanforderungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 BBiG auf. Die Bescheinigung der Arbeitgeberin der Klägerin vom 4. September 1990 über das Ziel des Praktikantenverhältnisses genügt schon deshalb nicht den Förderungsvoraussetzungen, weil - wie ausgeführt - die Form der Ausbildung und nicht schon ihr Ziel entscheidend ist. Abgesehen davon hat die IHK die Ausbildung nach den Feststellungen des LSG nicht verlängert, so daß das Praktikantenverhältnis nicht in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen war. Danach unterlag eine im Rahmen des Praktikantenverhältnisses vorgenommene Ausbildung der Klägerin nicht der Überwachung der IHK. Die Vorschriften des BBiG über eine geordnete und einheitliche Berufsausbildung waren nicht gewahrt. Die Förderungsvoraussetzungen der § 40 Abs. 1 Satz 1 AFG, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst a AusbFöAnO sind damit nicht erfüllt.

2.3 Dagegen kann die Revision nicht mit Erfolg geltend machen, das Praktikantenverhältnis habe die bei der T. S. AG begonnene (formgerechte) Ausbildung der Klägerin lediglich fortgesetzt. Eine Überprüfung der inhaltlichen Übereinstimmung betrieblicher Ausbildung mit den Vorschriften des BBiG und der jeweiligen Ausbildungsordnung steht der beklagten BA im Rahmen der Berufsausbildungsbeihilfe und damit den Sozialgerichten grundsätzlich nicht zu. Diese Aufgabe ist der IHK als zuständiger Stelle nach § 23 BBiG übertragen. Die IHK entscheidet durch die Aufnahme von Berufsausbildungsverhältnissen in das nach § 31 BBiG einzurichtende und zu führende Verzeichnis darüber, ob eine Ausbildung der durch das BBiG vorgeschriebenen Form, die eine inhaltlich qualifizierte Ausbildung gewährleisten soll, entspricht. Wird die Ausbildung nicht verlängert und das einer Ausbildung dienende Rechtsverhältnis nicht in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen, so bewirkt dies für Gerichte, die nicht für die Entscheidung über eine Anfechtung von Verwaltungsakten der IHK zuständig sind, andere Behörden und Dritte, daß die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen den eigenen Handlungen und Entscheidungen zugrunde zu legen sind. Für Sozialgerichte, BA und die Parteien des Praktikantenverhältnisses tritt Tatbestandswirkung ein (vgl. dazu: Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. 1974, § 50 Ic = S. 415). Die BA und die Vorinstanzen sind deshalb mit Recht nicht dem Vortrag der Klägerin nachgegangen, während des Praktikantenverhältnisses sei das vorausgegangene Ausbildungsverhältnis inhaltlich fortgesetzt worden. Angesichts der erörterten Zuordnung von Arbeitsförderung durch Gewährung von BAB und Ordnung der beruflichen Bildung handelt es sich auch nicht um ein Deklarationsproblem (Ausbildungsverhältnis - Praktikantenverhältnis), das auf der Grundlage des in § 133 Bürgerliches Gesetzbuch enthaltenen Rechtsgedankens zu lösen wäre.

3. Wegen der Tatbestandswirkung haben die Vorinstanzen und die BA mit Recht nicht geprüft, ob das Ausbildungsverhältnis im Sommer 1990 zu verlängern war. Gegebenenfalls hätte die Klägerin auf eine entsprechende Entscheidung hinwirken und Rechtsschutz gegenüber der IHK anstrengen müssen, für den der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht gegeben ist (§ 51 SGG). Die IHK hat der Verlängerung der Ausbildungszeit mit der Zulassung der Klägerin zur Abschlußprüfung auch nicht konkludent zugestimmt. Die Zulassung zur Abschlußprüfung ist eine nach § 39 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BBiG gebundene Entscheidung. Die Klägerin erfüllte die Zulassungsvoraussetzungen schon durch das vom 1. September 1987 bis 31. August 1990 dauernde Ausbildungsverhältnis.

Die Revision der Klägerin kann nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517605

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