Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz bei stationärer Behandlung

 

Leitsatz (redaktionell)

Erleidet ein nach RVO § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a Versicherter im Zusammenhang mit dem Schreiben eines Briefes einen Unfall, so liegt ein Arbeitsunfall nicht vor, weil beim Schreiben eines Briefes die privaten Interessen des Briefschreibers im Vordergrund stehen. Es fehlt mithin der rechtlich wesentliche innere Zusammenhang zwischen der stationären Behandlung und dem Unfallereignis.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. a Fassung: 1974-08-07, § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 12.10.1978; Aktenzeichen S 17 U 35/78)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12. Oktober 1978 wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Die Klägerin gewährte Frau B (B.), der Ehefrau eines bei ihr versicherten Mitgliedes, Familienkrankenhausbehandlung. Am 29. Dezember 1976 schrieb Frau B. gegen 23.00 Uhr in ihrem Krankenzimmer einen Brief. Beim Aufstehen fiel sie, da sie den linken Fuß hinter ein Stuhlbein gesetzt hatte, mit dem Stuhl um und erlitt einen lateralen Schenkelhalsbruch. Die Klägerin begehrt Ersatz der ihr durch diesen Unfall entstandenen Kosten in Höhe von 16.727,55 DM.

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 12. Oktober 1978 die Klage abgewiesen, da das Schreiben des Briefes in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Krankenhausaufenthalt von Frau B. gestanden habe.

Das SG hat im Urteil die Sprungrevision zugelassen. Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel mit Einwilligung der Beklagten eingelegt.

Sie trägt vor: Das SG habe seine Entscheidung darauf abgestellt, daß das Schreiben des Briefes in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Krankenhausaufenthalt der Versicherten gestanden habe und als eigenwirtschaftliche Tätigkeit zu bewerten sei. Hierauf komme es jedoch entscheidend nicht an. Abgesehen davon, daß Frau B. beim Briefeschreiben selbst nicht verunglückt sei, sei maßgebend, daß sie das Bett habe verlassen dürfen, sich an den Tisch setzen und darüber hinaus durch angemessene Bewegung zum Heilerfolg beitragen können. Daß Frau B. die Möglichkeit, das Bett zu verlassen, auch dazu genutzt habe, Briefe zu schreiben, sei unerheblich. Entscheidend sei, daß Frau B. bei ihrem Vorhaben, sich angemessene Bewegung zu verschaffen, auch beim Sitzen auf einem Stuhl in einer dem Körper dienlichen Art durch veränderte Haltung zur Therapie beigetragen habe. Sie habe somit, als sie vom Stuhl aufgestanden sei, unter Versicherungsschutz gestanden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Düsseldorf vom 12. Oktober 1978 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Ersatz in Höhe von 16.727,55 DM zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Leistet die Krankenkasse Familienkrankenhauspflege wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles, so hat sie in entsprechender Anwendung von § 1510 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) einen Ersatzanspruch gegen die Berufsgenossenschaft (BSGE 39, 24, 25).

Der Ersatzanspruch hinsichtlich der Familienkrankenhauspflege aufgrund einer entsprechenden Anwendung der Grundsätze des § 1510 Abs 2 RVO setzt jedoch zunächst voraus, daß die Klägerin diese Leistung erbracht hat, obgleich sie nicht dazu verpflichtet war, weil der Ehemann von Frau B. im Hinblick auf Entschädigungsansprüche seiner Frau gegenüber dem Unfallversicherungsträger keinen Anspruch auf Familienkrankenhauspflege hatte. Schon an dieser Voraussetzung fehlt es hier.

Das SG hat zutreffend entschieden, daß Frau B. keinen Arbeitsunfall iS des § 548 RVO erlitten hat. Zwar war sie während ihres Krankenhausaufenthaltes gem § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO gegen Arbeitsunfall versichert. Im Rahmen dieser Vorschrift besteht aber Versicherungsschutz nur bei Verrichtungen, die im ursächlichen Zusammenhang mit der stationären Behandlung stehen. Wie bei den anderen in § 548 Abs 1 RVO angeführten Tätigkeiten reicht es nicht aus, daß sich der Unfall während der stationären Behandlung ereignet hat. Ein nur zeitlicher und örtlicher Zusammenhang genügt nicht; es muß auch ein rechtlich wesentlicher innerer Zusammenhang mit ihr bestehen (vgl BSG SozR 2200 § 548 Nr 17; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl, S 480 q II). Dies ist bei privaten Zwecken dienenden Verrichtungen nicht der Fall. Wird zB ein Versicherter während der Arbeitszeit oder nach Arbeitsschluß auf der Betriebsstätte für eigene Zwecke und nicht im Interesse des Betriebes tätig, so begründet weder der zeitliche Zusammenhang mit der vorangegangenen Betriebstätigkeit noch der Umstand, daß sich der Unfall an einer Betriebseinrichtung ereignet hat, einen ursächlichen Zusammenhang des Unfalles mit der versicherten Beschäftigung (s ua BSGE 14, 295, 296; BSG SozR Nr 72 zu § 542 RVO aF; Brackmann aaO S 480 s II, Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 548 Anm 50). Dies gilt auch während einer stationären Behandlung iS des § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO für Verrichtungen, die nicht im inneren Zusammenhang mit der stationären Behandlung stehen, sondern privaten Interessen des Versicherten dienen, wie dies beim Schreiben eines Briefes der Fall ist. Bei dieser privaten Zwecken dienenden Tätigkeit begründet ebenfalls weder der zeitliche Zusammenhang mit der stationären Behandlung noch der Umstand, daß sich der Unfall im Krankenzimmer durch eine Besonderheit im Verhalten der Frau B. im Zusammenhang mit einem dem Krankenhaus gehörenden Stuhl ereignete, einen ursächlichen Zusammenhang des Unfalles mit der den Versicherungsschutz begründenden stationären Behandlung. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist Frau B. auch nicht bei einer sogenannten gemischten Tätigkeit verunglückt, die wesentlich sowohl privaten Zwecken diente als auch im inneren Zusammenhang mit der stationären Behandlung stand. Es kann dahinstehen, inwieweit das Aufstehen und die Bewegung durch Umhergehen grundsätzlich der stationären Behandlung von Frau B. dienten. Beim Schreiben des Briefes standen jedenfalls die privaten Interessen von Frau B. gegenüber im Zusammenhang mit der stationären Behandlung stehenden Gründen für das Verlassen des Bettes so stark im Vordergrund, daß sie als die allein wesentliche Ursache des Unfalles zu werten sind.

Da Frau B. somit im Zusammenhang mit dem Schreiben des Briefes keinen Arbeitsunfall erlitten hat, steht der Klägerin ein entsprechender Ersatzanspruch nicht zu. Die Revision wär daher zurückzuweisen.

Eine Kostenentscheidung entfällt (s § 193 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657764

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