Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Rechtsanwältin. Anspruch auf Befreiung für eine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin. Unterschiedliche Statusbezogenheit: Keine identischen Regelungsgegenstände. Abänderung. Ersetzung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Rechtsanwältin für eine vor dem 1.1.2016 ausgeübte Beschäftigung ist zu unterscheiden von einem Anspruch auf Befreiung für eine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin nach dem ab dem 1.1.2016 geltenden Berufsrecht.

2. Wegen der unterschiedlichen Statusbezogenheit (Rechtsanwalt bzw. Syndikusanwalt) handelt es sich nicht um identische Regelungsgegenstände.

3. Ein früherer Bescheid über die Ablehnung eines Antrags auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI wird durch einen neuen Bescheid, der den Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI ablehnt, weder abgeändert noch ersetzt i.S. von § 96 Abs. 1 SGG, da die Regelungsgegenstände nicht identisch sind.

 

Normenkette

SGG §§ 62, 96, 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 4 S. 1; GG Art. 103 Abs. 1; BRAO § 46 ff.; SGB VI § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 231 Abs. 4b S. 4

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 27.11.2019; Aktenzeichen L 8 R 1083/16 WA)

SG Köln (Urteil vom 14.06.2013; Aktenzeichen S 6 R 1164/11)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. November 2019 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin für ihre Beschäftigung als Sachbearbeiterin bei der Beigeladenen zu 1. im Bereich Haftpflichtschaden für den Zeitraum vom 1.6.2010 bis zum 31.3.2014 von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu befreien ist.

Vor dem SG ist die Klägerin mit ihrer Klage zunächst erfolgreich gewesen. Das SG Köln hat mit Urteil vom 14.6.2013 die ablehnende Verwaltungsentscheidung aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin von der Rentenversicherungspflicht zu befreien. Das Berufungsverfahren ist zunächst ruhend gestellt worden.

Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015 (BGBl I 2517) erteilte die Beklagte auf den Antrag der Klägerin eine Befreiung von der Versicherungspflicht ab Zulassung als Syndikusrechtsanwältin durch die Rechtsanwaltskammer Köln sowie rückwirkend für die Zeit ab 1.4.2014. Für den davorliegenden Zeitraum lehnte die Beklagte eine rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ab, da keine einkommensbezogenen Beiträge zum Versorgungswerk entrichtet worden seien (Bescheid vom 16.1.2017 und Widerspruchsbescheid vom 24.10.2017). Dagegen hat die Klägerin ebenfalls Klage zum SG Köln erhoben (Aktenzeichen S 45 R 1522/17).

Nach Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens hat das LSG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 27.11.2019 einen Anspruch der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht für den Zeitraum 1.6.2010 bis 31.3.2014 verneint und auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG Köln vom 14.6.2013 geändert sowie die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI lägen nicht vor. Die Ablehnung einer rückwirkenden Befreiung unter den besonderen Voraussetzungen des § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI betreffe einen anderen Regelungsgegenstand und sei deshalb nicht Gegenstand des Verfahrens. Auch liege keine zulässige Klageänderung vor.

Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Verfahrensfehler geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG).

II

Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Eine grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht zu. Hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensmängel ist die Beschwerde bereits unzulässig.

1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Es muss sich dabei um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handeln, über die das BSG nach erfolgter Zulassung zur Wahrung und Vereinheitlichung der Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts entscheiden könnte (vgl dazu BSG Beschluss vom 12.8.2010 - B 3 KR 3/10 B - juris RdNr 10 mwN).

Die Klägerin formuliert als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung:

"Werden in einer wegen der Erfüllung der Befreiungsvoraussetzungen des § 6 SGB VI vor dem 03.04.2014 bei Sozialgerichten anhängig gemachten und noch nicht entschiedenen Rechtssache die an den jeweiligen Klägern gemäß den Bestimmungen der §§ 6, 231 Abs. 4b SGB VI nach dem 31.12.2015 ergangenen Bescheide und Widerspruchsbescheide Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens nach § 96 SGG?"

und

"Sind bei der Auslegung des § 96 SGG das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte, die gesetzgeberischen Motive sowie die Entscheidungen des BVerfG vom 19. und 22. Juli 2016 (1 BvR 2584/14 und 1 BvR 2534/14) zu berücksichtigen?"

Der Rechtssache kommt deshalb keine grundsätzliche Bedeutung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zu, weil die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen nicht mehr klärungsbedürftig sind. Sie lassen sich unschwer und eindeutig anhand der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung klären, ohne dass es hierzu einer erneuten höchstrichterlichen Entscheidung bedarf (vgl zu den Voraussetzungen Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 65 f mwN). In einem anschließenden Revisionsverfahren könnten keine weiteren Erkenntnisse zur Wahrung und Vereinheitlichung der Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts gewonnen werden (vgl BSG Beschluss vom 12.8.2010 - B 3 KR 3/10 B - juris RdNr 11).

Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Rechtsanwältin für eine vor dem 1.1.2016 ausgeübte Beschäftigung ist zu unterscheiden von einem Anspruch auf Befreiung für eine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin nach dem ab dem 1.1.2016 geltenden Berufsrecht (vgl § 46 ff BRAO idF des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015, BGBl I 2517). Der Senat hat bereits entschieden, dass es sich wegen der unterschiedlichen Statusbezogenheit (Rechtsanwalt bzw Syndikusanwalt) nicht um identische Regelungsgegenstände handelt (vgl BSG Beschluss vom 22.3.2018 - B 5 RE 12/17 B - juris RdNr 31). Auch existiert weitere Rechtsprechung des Senats zu § 96 SGG im Kontext des Befreiungsrechts (zur Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für die Tätigkeit einer Syndikuspatentanwältin vgl BSG Urteil vom 28.6.2018 - B 5 RE 2/17 R - SozR 4-2600 § 6 Nr 17 RdNr 16 ff).

Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin ist die Frage nach der Auslegung des § 96 SGG - auch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände - höchstrichterlich entschieden. Die tatsächlichen Gegebenheiten, die zu neuen Befreiungs- und Ablehnungsbescheiden geführt haben, wurden in der Senatsrechtsprechung bereits vollumfänglich berücksichtigt. Der Senat hat sich weder "die Ansicht der Beklagten zu eigen gemacht" noch unbeachtet gelassen, dass es den Syndikusrechtsanwälten nicht um "die Erlangung eines neuen Status" gegangen ist. Dem Vortrag der Klägerin, es gebe "denknotwendig" nur die eine Befreiung für die eine Tätigkeit, kann nicht gefolgt werden. Der Senat hat bereits ausführlich dargestellt, dass ein neuer Bescheid, der den Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs 4b SGB VI ablehnt, einen früheren Bescheid über die Ablehnung eines Antrags auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI weder abändert noch ersetzt iS von § 96 Abs 1 SGG. Die Regelungsgegenstände sind nicht identisch (vgl BSG Urteil vom 28.6.2018 - B 5 RE 2/17 R - SozR 4-2600 § 6 Nr 17 RdNr 16 und BSG Beschluss vom 22.3.2018 - B 5 RE 12/17 B - juris RdNr 31).

Der Senat hat auch den Gesichtspunkt der Prozessökonomie bereits erwogen und ausgeführt, dass § 96 Abs 1 SGG mit Wirkung zum 1.4.2008 neu gefasst wurde (Art 1 Nr 16 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.3.2008, BGBl I 444). Die Gesetzesänderung ("nur dann") diente der Einschränkung des Anwendungsbereichs der Norm. Eine Einbeziehung des neuen Verwaltungsakts sollte danach nur noch möglich sein, wenn der ursprüngliche Bescheid nach Klageerhebung durch ihn ersetzt oder abgeändert wird. Eine entsprechende Anwendung der Norm kommt danach - auch aus Gründen der Prozessökonomie - nicht mehr in Betracht (vgl BSG Urteil vom 28.6.2018 - B 5 RE 2/17 R - SozR 4-2600 § 6 Nr 17 RdNr 21).

Soweit die Klägerin auf Ausführungen des BVerfG zur Auslegung des § 231 Abs 4b SGB VI in den Kammerentscheidungen vom 19.7.2016 und 22.7.2016 verweist (1 BvR 2584/14 und 1 BvR 2534/14), ergibt sich daraus ebenfalls keine weitere Klärungsbedürftigkeit. Aus diesen Beschlüssen können keine Rückschlüsse für die Auslegung des § 96 SGG gezogen werden. Gegenstand der Verfassungsbeschwerden waren Verfahren über eine Befreiung nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI. Die Verfassungsbeschwerden wurden wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses nicht zur Entscheidung angenommen. Nur in diesem Kontext ergingen die Hinweise des BVerfG zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer rückwirkenden Befreiung von der Versicherungspflicht und zur Anwendung der Übergangsvorschrift des § 231 Abs 4b Satz 5 SGB VI(vgl dazu bereits BSG Beschluss vom 23.7.2019 - B 5 RE 5/19 B - juris RdNr 14) .

Auch unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens der Klägerin, es müsse genau ermittelt werden, "welchen Inhalts die Ablehnung ist und welche Rechte und Ansprüche damit verneint werden", besteht keine erneute Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen. Die Klägerin zitiert aus einem zur Weitergewährung einer befristeten Erwerbsminderungsrente ergangenen Senatsbeschluss vom 17.8.2017 (B 5 R 248/16 B - juris). Danach liegt eine die frühere Rentenablehnung ersetzende Neuregelung iS von § 96 SGG vor, wenn während des Klageverfahrens der Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung für einen Teil des streitigen Zeitraums bewilligt (Weitergewährung der Zeitrente) und im Übrigen (Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer) weiter abgelehnt wird (BSG aaO RdNr 9). Wie die Klägerin zu Recht vorträgt, war für die Anwendung des § 96 Abs 1 SGG entscheidend auf den Inhalt der Rentenbescheide abzustellen. Nichts anderes gilt für den Rechtsstreit der Klägerin. Die Auslegung von Verwaltungsakten nach Anträgen auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht war ebenfalls bereits Inhalt der Senatsrechtsprechung zur Anwendung und Auslegung von § 96 SGG(vgl BSG Urteil vom 28.6.2018 - B 5 RE 2/17 R - SozR 4-2600 § 6 Nr 17 RdNr 18 ff).

Soweit die Klägerin unter Hinweis auf weitere Rechtsprechung des BSG zu § 96 SGG (BSG Beschluss vom 28.10.2009 - B 6 KA 56/08 B - juris) schließlich geltend macht, unterschiedliche Rechtsgrundlagen der Bescheide stünden einer Anwendung von § 96 SGG nicht entgegen, ergibt sich daraus ebenfalls kein neuer Aspekt, der einer weiteren Klärung bedürfte. Die Entscheidungen über eine Befreiung als Rechtsanwalt und über eine Befreiung als Syndikusrechtsanwalt ergeben sich zwar aus unterschiedlichen Rechtsgrundlagen. Maßgeblich für die Ablehnung einer Identität der Regelungsgegenstände beider Bescheide ist indes die unterschiedliche Statusbezogenheit der Verfügungssätze (zum Status als Patentanwältin und zum Status als Syndikuspatentanwältin vgl BSG Urteil vom 28.6.2018 - B 5 RE 2/17 R - SozR 4-2600 § 6 Nr 17 RdNr 20).

2. Soweit die Klägerin darüber hinaus Verfahrensmängel geltend macht, ist die Beschwerde bereits unzulässig.

In der Beschwerdebegründung wird die geltend gemachte Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) nicht hinreichend bezeichnet. Hierzu hätte die Klägerin näher ausführen müssen, welchen entscheidungserheblichen Vortrag das Gericht bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat oder an welchem Vorbringen sie als Rechtsuchenden gehindert worden ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruhen kann (vgl aus jüngster Zeit BSG Beschluss vom 27.1.2020 - B 5 RE 3/19 B - juris RdNr 14). Allein ihr Vorbringen, das LSG habe sich mit ihrem erheblichen Vortrag "nicht ernsthaft" auseinandergesetzt, ist dafür nicht ausreichend. Woraus die Klägerin entnimmt, das LSG habe ihre Darlegungen "schlicht nicht zur Kenntnis genommen und nicht in Erwägung gezogen", ergibt sich aus ihrem Vortrag nicht. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet im Übrigen nicht, dass der Rechtsansicht eines Beteiligten gefolgt wird (vgl BSG Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris RdNr 16).

Soweit die Klägerin schließlich rügt, das LSG sei "rechtsfehlerhaft" von einer unzulässigen Klageerweiterung der Klägerin ausgegangen und habe die Sachdienlichkeit der Klageänderung fälschlich verneint, kann eine vermeintliche Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde sein (vgl Senatsbeschluss vom 3.7.2019 - B 5 RS 10/18 B - juris RdNr 11).

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14366249

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