Rn 6

Überwiegend wird § 95 Abs. 1 Anwendung finden auf die Aufrechnung eines Insolvenzgläubigers mit einer Forderung, die erst nach Eröffnung des Verfahrens fällig wird. Diese parallel zu § 392 BGB geregelte Fallkonstellation schützt das Vertrauen des Insolvenzgläubigers auf die zukünftige Entstehung der Aufrechnungslage, wenn der Schuldner dies nicht mehr verhindern kann, d.h. die Gegenforderung des Insolvenzgläubigers früher fällig wird als die massezugehörige Hauptforderung. Ansonsten könnte das Entstehen der Aufrechnungslage bei vorheriger Fälligkeit der Hauptforderung durch eine umgehende Beitreibung durch den Schuldner bzw. Insolvenzverwalter verhindert werden. Für die Ermittlung der jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte ist entweder auf die allgemeinen Vorschriften oder die jeweils zwischen den Parteien getroffenen vertraglichen Vereinbarungen abzustellen, nicht dagegen auf die Fälligkeitsfiktion in § 41 Abs. 1, die nach § 95 Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich nicht angewendet werden darf. Aus dem Wortlaut des § 95 Abs. 1 Satz 1 könnte geschlossen werden, dass bei fehlender Fälligkeit beider sich aufrechenbar gegenüberstehenden Forderungen eine Aufrechnung im Insolvenzverfahren erst zulässig sein soll, wenn beiderseits die Fälligkeit eingetreten ist. Der Gesetzgeber wollte aber mit der Regelung des § 95 Abs. 1 die gesetzlichen Aufrechnungsvoraussetzungen nicht verschärfen, so dass entgegen dem Gesetzeswortlaut für die Frage der Wirksamkeit einer Aufrechnung mit einer vor oder nach Verfahrenseröffnung fällig gewordenen Insolvenzforderung nicht auch auf die Fälligkeit der Hauptforderung, sondern entsprechend den allgemeinen Voraussetzungen nach § 387 BGB nur auf deren Erfüllbarkeit abzustellen ist. War also die Insolvenzforderung schon vor Verfahrenseröffnung fällig bzw. durchsetzbar, so richtet sich auch bei noch nicht eingetretener Fälligkeit (aber bereits bestehender Erfüllbarkeit) der massezugehörigen Hauptforderung die Aufrechnung nach § 94 und nicht nach § 95 Abs. 1.[28] Von § 95 Abs. 1 erfasst wird aber der Fall, dass die aufzurechnende Insolvenzforderung erst nach Verfahrenseröffnung, aber nicht später als die massezugehörige Hauptforderung fällig wird. Bei dieser Konstellation ist eine Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger zulässig, wenn die massezugehörige Hauptforderung wenigstens erfüllbar ist (und beide Forderungen auf gleichartige Leistungen gerichtet sind).

 

Rn 7

Wird dagegen die Hauptforderung der Insolvenzmasse vor der Gegenforderung des Insolvenzgläubigers fällig, ist der Insolvenzgläubiger wegen § 95 Abs. 1 Satz 3 an einer Aufrechnung gehindert. Bei dieser Konstellation kann der Insolvenzverwalter die Hauptforderung der Masse gegenüber dem Insolvenzgläubiger beitreiben, dieser muss ohne Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsmöglichkeit zur Masse leisten und seine Insolvenzforderung durch Anmeldung im Insolvenzverfahren bis zur Feststellung nach den §§ 174 ff. verfolgen. Der Aufrechnungsausschluss nach § 95 Abs. 1 Satz 3 gilt (selbstverständlich) auch dann, wenn es einem Insolvenzgläubiger ausnahmsweise, etwa durch § 354a Satz 2 HGB oder § 406 BGB, gestattet ist, mit einer ihm gegen einen Zedenten (und nachmaligen Insolvenzschuldner) zustehenden Forderung gegenüber dem Zessionar aufzurechnen.[29] Schließlich ist die Wertung des § 95 Abs. 1 Satz 3 auch dann zu beachten, wenn es um die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines unwirksamen Vertrages geht: Einem Bereicherungsanspruch der "Masse" kann der Bereicherungsschuldner nicht solche Ausgaben anspruchsmindernd entgegensetzen, die bei Wirksamkeit des Vertrages weder ein insolvenzfestes Zurückbehaltungsrecht noch eine insolvenzbeständige Aufrechnungsposition begründet hätten.[30]

Eine Forderung, der eine Einrede entgegensteht, ist für § 95 wie eine "nicht fällige" Forderung zu behandeln.[31] Das heißt, der Insolvenzgläubiger kann nach § 95 Abs. 1 Satz 1 nur aufrechnen, wenn seine Forderung (auch) einredefrei ist, und eine Aufrechnung scheitert nicht an § 95 Abs. 1 Satz 3, wenn der Forderung des Insolvenzschuldners bei Entstehung der Aufrechnungslage für den Insolvenzgläubiger eine Einrede entgegenstand. Dagegen fehlt es an Unbedingtheit und Fälligkeit nicht schon dann, wenn dem Gläubiger neben einem fälligen Geldanspruch in selektiver Konkurrenz noch andere Rechte zustehen,[32] etwa nach erfolgloser Fristsetzung neben einem Schadensersatzanspruch aus § 281 BGB noch der Erfüllungsanspruch und ein Rücktrittsrecht (§ 323 BGB).

[28] So auch Häsemeyer, Rn. 19.18; ders., in: Kölner Schrift, S. 645 (651 Rn. 15 f.); Kübler/Prütting-Lüke, § 95 Rn. 9; vgl. ferner LG Bielefeld ZInsO 2001, 520 f. (mit allerdings irreführendem Leitsatz); mindestens missverständlich Bork, Rn. 268; BGH NJW-RR 2005, 487 = ZIP 2005, 181 (182) [BGH 11.11.2004 - IX ZR 237/03] und KG ZInsO 2004, 744 (745).
[29] BGH NJW-RR 2004, 50 [BGH 15.10.2003 - VIII ZR 358/02] (51 f.) = ZIP 2003, 2166 [BGH 15.10.2003 - VIII ZR 358/02]. Die Entscheidung verwirrt freilich dadurch, dass sie einerseits ...

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