Leitsatz (amtlich)

1. Die Regelung des § 70 Abs. 2 AZO a. F. ist rechtswirksam; sie ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar und entspricht der Ermächtigung des § 24 Abs. 1 ZG.

2. Die Zollfreiheit des § 70 Abs. 2 AZO a. F. hängt nicht davon ab, daß die Treibstoffe zum Verbrauch im Einfuhrfahrzeug mitgeführt werden.

3. Zur Gewährung der Zollfreiheit des § 70 Abs. 2 AZO a. F. bedarf es der Feststellung von Umständen, die auf einen anderen Fahrtzweck als den, Treibstoff zu erwerben, schließen lassen. Ein anderer Fahrtzweck in diesem Sinn liegt nicht schon dann vor, wenn mit der Fahrt auch noch andere Zwecke als der, Treibstoff zu erwerben, verfolgt worden sind, diese anderen Zwecke an Bedeutung jedoch zurücktreten. Es ist im Zweifelsfalle Sache des Steuerpflichtigen darzulegen, daß mit der Fahrt andere Zwecke als der, Treibstoff zu erwerben, verfolgt wurden.

 

Normenkette

ZG § 24 Abs. 1; AZO § 70 Abs. 2 a. F

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt eine Spedition. In den Jahren 1962 bis 1965 hat er mit seinem Pkw laufend Fahrten nach den Niederlanden unternommen, um dort Dieselkraftstoff zu tanken und ohne Entrichtung von Eingangsabgaben in die Bundesrepublik Deutschland einzuführen. Der Treibstoff wurde entweder für den Pkw oder nach vorherigem Umpumpen mit einer eigens hierfür eingerichteten Pumpanlage in bereitgestellte Fässer für den Betrieb der Speditionslastkraftwagen verwendet. Unter dem Datum 1. Dezember 1966 erhielt der Kläger wegen dieser Treibstoffeinfuhren einen Steuerbescheid.

Dagegen erhob der Kläger Sprungklage, mit der er gellend machte, daß der Kraftstoff ausschließlich bei geschäftlich bedingten Fahrten getankt, die Abgabenfreiheit des § 70 Abs. 2 a. F. der Allgemeinen Zollordnung (AZO) also zu Unrecht verneint worden sei.

Mit Steueränderungsbescheid vom 29. Juni 1967 beschränkte die Behörde die Steuerforderung auf die Angaben für jene Treibstoffmengen, die der Kläger mit dem Pkw eingeführt und aus dessen Tank zum Betrieb seiner Lkw in Fässer umgepumpt hatte, und ermäßigte die Eingangsabgabenforderung. Diesen Steueränderungsbescheid machte der Kläger gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts.

Die Abgabenfreiheit des § 70 AZO hänge davon ab, daß die Fahrt nach den Umständen nicht zum Erwerb von Treibstoff unternommen worden sei. Diese Frage habe das FG nicht untersucht; es hätte aufklären müssen, aus welchen Gründen die Fahrten jeweils unternommen worden seien. Aus der Tatsache, daß das FG dies unterlassen habe, könne man entnehmen, daß es davon ausgegangen sei, daß alle Fahrten ausschließlich aus geschäftlichen Gründen erfolgt seien, was auch der Fall gewesen sei. Durch das nachträgliche Umpumpen könne die Zollfreiheit nicht aufgehoben werden, da das Dieselöl bei der Einfuhr zum freien Verkehr abgefertigt worden sei.

Zu Unrecht sei das FG davon ausgegangen, die Abgabenfreiheit des § 70 Abs. 2 AZO a. F. sei davon abhängig, daß der eingeführte Kraftstoff ausschließlich zum Betrieb des Fahrzeugs verwendet werde, in dem er eingeführt worden sei. Das stehe nicht in der zitierten Vorschrift. Nach § 70 Abs. 2 AZO a. F. komme es allein auf den Erwerbstatbestand, nicht auf den späteren Verbrauch an.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückweisung an das FG.

Der vom Kläger eingeführte Treibstoff wurde mit der Einfuhr Zollgut (§ 5 Abs. 1 Satz 1 ZG). Er war daher zu gestellen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 ZG). Da es sich nach den Feststellungen des FG um Treibstoff im Hauptbehälter des Pkw des Klägers handelte, der Treibstoff also nicht etwa verborgen war, ist der Kläger entgegen der Auffassung des FG seiner Pflicht zur Gestellung nachgekommen (vgl. § 6 Abs. 1 und 4 ZG, § 12 Abs. 3 AZO). Das gestellte Zollgut ist, wie sich aus den Feststellungen des FG mittelbar ergibt, von der abfertigenden Zollstelle formlos und ohne Zollerhebung freigegeben worden. Mit der Freigabe entstand dafür nach § 58 Abs. 1 Satz 1 ZG eine Zollschuld – sowie nach § 7 des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG) und § 15 UStG 1951 in entsprechender Anwendung der Zollvorschriften eine Mineralöl- und Ausgleichsteuerschuld –, falls der Treibstoff nicht zollfrei war. Schuldner war, dem das Zollgut freigegeben worden ist (§ 58 Abs. 2 ZG). Entscheidend ist demnach die Frage, ob für die fraglichen Treibstoffmengen die Regelung des § 70 Abs. 2 AZO a. F. über die Zollfreiheit von Betriebsstoffen in Landkraftfahrzeugen in Anspruch genommen werden konnte.

Der Kläger trägt vor, die Vorschrift des § 70 Abs. 2 AZO a. F. sei nichtig, weil sie zu unbestimmt sei und sich auch nicht im Rahmen der Ermächtigung halte. Träfe diese Auffassung des Klägers zu, so bestünde keine gültige Zollbefreiungsvorschrift für den fraglichen Treibstoff. Der angefochtene Steuerbescheid wäre daher Rechtens und die Revision unbegründet. Der erkennende Senat hat jedoch keine Zweifel an der Gültigkeit der genannten Vorschrift.

Der Kläger hat sein Vorbringen in der Revisionsbegründung, die Regelung des § 70 Abs. 2 AZO a. F. halte sich nicht im Rahmen der Ermächtigung des § 24 Abs. 1 Nr. 6 ZG, nicht näher begründet. Es ist jedoch anzunehmen, daß er damit seinen Vortrag vor dem FG wiederholen wollte, daß sich die tatbestandliche Einengung der Zollfreiheit durch die Regelung des § 70 Abs. 2 Satz 2 AZO a. F. nicht im Rahmen der Ermächtigungsnorm halte und es zudem keinen zwischenstaatlichen Brauch gebe, der die Zollfreiheit für eingeführte Treibstoffe für den Fall ausschließe, daß die Fahrt den Umständen nach zum Erwerb von Treibstoff unternommen worden sei. Der Kläger übersieht dabei, daß § 24 Abs. 1 ZG den Bundesminister der Finanzen (BdF) lediglich ermächtigt, Zollfreiheiten in bestimmten Fällen anzuordnen, ihn aber nicht dazu verpflichtet. Da der BdF also ohne Rechtsverstoß auf die Ausnutzung der Ermächtigung völlig verzichten und von der Gewährung einer Zollfreiheit ganz hätte absehen können, muß ihm auch das Recht zustehen, bei Ausnutzung der Ermächtigung die angeordnete Zollfreiheit von bestimmten einschränkenden Voraussetzungen abhängig zu machen, falls dies sachgerecht ist. Es darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß der BdF zur Anordnung der Zollfreiheit nur ermächtigt war, soweit dadurch nicht unangemessene Zollvorteile entstehen (vgl. § 24 Abs. 1 ZG). Da eine völlig unbeschränkte Zollfreiheit für eingeführte Treibstoffe auch in Fällen, in denen reine Tankfahrten unternommen worden sind, offensichtlich zu unangemessenen Zollvorteilen führen würde, war der BdF nicht nur berechtigt, sondern auch entsprechend der Ermächtigungvorschrift verpflichtet, die Zollfreiheit soweit einzuschränken, daß solche Zollvorteile nicht entstehen. Im übrigen aber geht der Kläger von falschen Voraussetzungen aus, da er zu Unrecht annimmt, die Regelung des § 70 AZO beruhe auf der Ermächtigung des § 24 Abs. 1 Nr. 6 ZG. Daß dies nicht zutrifft, ergibt sich schon daraus, daß nach der letztgenannten Vorschrift der BdF Zollfreiheit nur unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit anordnen kann, was – im Gegensatz z. B. zu der Regelung des § 68 AZO – nicht geschehen ist. Wie der internationale Brauch hinsichtlich der Zollfreiheit für in Pkw eingeführte Treibstoffe aussieht, ist also für die Gültigkeit des § 70 Abs. 2 AZO a. F. ohne Belang.

Unbegründet ist auch das Vorbringen des Klägers, die Regelung des § 70 Abs. 2 AZO a. F. sei deswegen nichtig, weil sie zu unbestimmt sei. Um den Anforderungen zu entsprechen, die aus rechtsstaatlichen Gründen eine Rechtsnorm zu stellen sind, muß diese klar erkennen lassen, was Rechtens sein soll (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 30. Mai 1956 1 BvF 3/53, BVerfGE 5, 25, 31). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Der Verordnungsgeber verwendet zwar den unbestimmten Rechtsbegriff „nach den Umständen”, dessen Anwendung auf einen konkreten Sachverhalt gewisse Schwierigkeiten bereitet. Die Grundsätze des Rechtsstaates verwehren es dem Verordnungsgeber jedoch nicht schlechthin, unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden. Gerade im Bereich des Steuerrechts kommt der Gesetzgeber vielfach nicht ohne sie aus. Der rechtsstaatliche Grundsatz der gleichen steuerlichen Belastung und damit der Steuergerechtigkeit kann eher verwirklicht werden, wenn Steuerverwaltung und FG den Besonderheiten des Einzelfalles durch Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes gerecht werden können, als wenn sie gezwungen werden, jeden Fall in eine starre enumerativ-kasuistisch gestaltete Norm zu pressen (Beschluß des BVerfG vom 10. Oktober 1961 2 BvL 1/59, BVerfGE 13, 153, 161 f.).

Zu Recht ist das FG also von der Gültigkeit des § 70 Abs. 2 AZO a. F. ausgegangen. Dagegen vermag der erkennende Senat nicht der Auffassung des FG zu folgen, wonach diese Bestimmung dahin auszulegen sei, daß der Zusammenhang zwischen dem grenzüberschreitenden Fahrzeug samt Tankinhalt und der Verwendung des Treibstoffs in eben diesem Fahrzeug gewahrt bleiben müsse, andernfalls die Zollfreiheit für den Treibstoff entfalle. § 70 Abs. 2 AZO a. F. knüpft im Gegensatz zu § 47 Abs. 1 AZO a. F. die Zollfreiheit für die eingeführten Kraftstoffe gerade nicht an die Voraussetzung, daß die eingeführten Waren nur „zum eigenen Verbrauch” mitgeführt werden. Daß eine solche Regelung vielleicht zweckentsprechend gewesen wäre, erlaubt noch nicht, sie entgegen dem Wortlaut des § 70 Abs. 2 AZO a. F. für gegeben zu erachten. Für diese Auffassung spricht auch, daß der Verordnungsgeber in der einen ähnlichen Sachverhalt regelnden Bestimmung des § 71 AZO (Zollfreiheit für Betriebsstoffe von Schienenfahrzeugen) im Gegensatz zur Regelung des § 70 Abs. 2 AZO a. F. die Zollfreiheit daran knüpft, daß die Betriebsstoffe „für die unmittelbare Verwendung auf diesen Fahrzeugen bestimmt sind”.

Die Zollfreiheit des § 70 Abs. 2 Satz 1 AZO a. F. hängt also lediglich davon ab, daß „die Fahrt nach den Umständen nicht zum Erwerb von Treibstoff unternommen worden ist” (Satz 2 a. a. O.). Zur Gewährung der Zollfreiheit bedarf es demnach der Feststellung von Umständen, die auf einen anderen Fahrzweck als den, Treibstoff zu erwerben, schließen lassen. Da es sich um einen Vorgang handelt, der sich in der Sphäre des Steuerpflichtigen abspielt, ist es seine Sache darzulegen, daß solche Umstände gegeben waren. Entsprechend dem Sinn des § 70 Abs. 2 Satz 2 AZO a. F., Mißbräuche zu verhindern, genügt es dabei nicht darzulegen, daß mit der Fahrt auch noch andere Zwecke als der, Treibstoff zu erwerben, verfolgt worden sind, falls diese Zwecke an Bedeutung zurücktreten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514839

BFHE 1976, 235

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