Entscheidungsstichwort (Thema)
Missbräuchliches Abfindungsbrennen unter Vorschieben von Stoffbesitzern
Leitsatz (NV)
- Mit dem Vorbringen, das FG habe bei der im Rahmen des § 102 FGO gebotenen Überprüfung die Ausübung des Verwaltungsermessens durch die Finanzbehörde rechtsfehlerhaft gewürdigt, wird eine Verfahrensrüge nicht schlüssig erhoben.
- Hält ein fachkundiger Prozessbevollmächtigter sein Vorbringen zu einem bestimmten Punkt für entscheidungserheblich, so darf er die erforderliche Substantiierung seines Vortrags und die Stellung gebotener Beweisanträge hierzu nicht unterlassen oder zurückhalten und statt dessen das Gericht lediglich um einen rechtlichen Hinweis hierzu bitten.
- Bedenken gegen die Vertrauenswürdigkeit eines Brennereibesitzers können nicht mit dem Hinweis darauf ausgeräumt werden, dass dessen rechtswidriges Verhalten durch einzelne Steueraufsichtsbeamte geduldet werde.
- In Anbetracht des nahenden Auslaufens des Branntweinmonopols und der damit verbundenen Vergünstigungen für gewerbliche Brennereien ist dringender als je erforderlich, Missbräuche beim Abfindungsbrennen zu verfolgen, um sicherzustellen, dass nur diejenigen Abfindungsbrenner und Stoffbesitzer, die sich als steuerehrlich und damit vertrauenswürdig erweisen, in den Genuss der monopol- und steuerrechtlichen Vergünstigungen kommen.
Normenkette
BrennO § 117a S. 1; FGO § 44 Abs. 2, § 76 Abs. 1-2, §§ 102, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 126 Abs. 4
Tatbestand
Mit Verfügung vom 23. Juli 1999 entzog die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Oberfinanzdirektion ―OFD―) dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) in Person und ebenfalls seiner Brennerei gemäß § 117a Satz 1 der Brennereiordnung (BO) die Vergünstigung, unter Abfindung zu brennen, und zwar mit sofortiger Wirkung bis zum rechtskräftigen Abschluss eines gegen den Kläger eingeleiteten Strafverfahrens. Nach den Feststellungen der Zollfahndung hat der Kläger in den Jahren 1988 bis 1998 in sieben Fällen ―jedenfalls vier davon sind unstreitig― Stoffbesitzer vorgeschoben und auf deren Namen in seiner Brennerei eigenes Obst in nicht genehmigten Verfahren zu Branntwein verarbeitet. Durch dieses Handeln habe der Kläger das Abfindungsbrennen missbraucht, ihm nicht zustehendes Übernahmegeld erschlichen und Steuerhinterziehung begangen. Daher bestünden Bedenken gegen seine Vertrauenswürdigkeit, und auch das Steueraufkommen in seiner Brennerei sei gefährdet. Daneben wurde dem Kläger auch vorgeworfen, in den genannten Jahren weit mehr Branntwein veräußert zu haben, als er in ordnungsgemäßen Brennverfahren in seiner Brennerei hätte herstellen können.
Der Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. In der Einspruchsentscheidung der OFD vom 27. Oktober 1999 wurde die Entziehung der Vergünstigung allein auf das vorgeschobene Stoffbesitzerbrennen gestützt. Da aus diesem Grund mit einer Verurteilung des Klägers wegen Steuerhinterziehung zu rechnen sei, sei für die Brennerei gemäß § 116a Abs. 1 Nr. 9 BO und für den Kläger gemäß § 117 BO rückwirkend Abfindungsverlust eingetreten. Inwieweit daneben wegen des Verkaufs von Branntwein unbekannter Herkunft eine strafrechtliche Verurteilung wegen Steuerhinterziehung eintreten werde, sei für die Beurteilung des Abfindungsentzugs nicht ausschlaggebend.
Auch die Klage des Klägers hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt die Voraussetzungen des § 117a Satz 1 BO für die (befristete) Entziehung der Vergünstigung, unter Abfindung zu brennen, für erfüllt. Das sich über Jahre hinwegziehende monopolwidrige Verhalten des Klägers sei ein Umstand, der durchaus dazu angetan sei, Bedenken gegen seine Vertrauenswürdigkeit zu wecken. Auch weise die Ermessensentscheidung der OFD bei der gebotenen Überprüfung im Rahmen des § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) keine Ermessensfehler auf. Wenn der Kläger behaupte, die von ihm geübte Praxis des vorgeschobenen Stoffbesitzerbrennens sei von den zuständigen Kontrollbeamten stillschweigend geduldet worden, sei dies nach den Ausführungen der OFD im Verfahren und nach der Kenntnis des Senats schlichtweg als Schutzbehauptung zu werten. Der Kläger sei zudem jeglichen Nachweis für diese Behauptung schuldig geblieben.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision, die auf Verfahrensfehler des FG gestützt wird.
Die OFD ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Soweit der Kläger die Beschwerde darauf stützt, das FG habe "allgemeine und in ständiger Rechtsprechung der Obergerichte gesicherte Grundsätze der Ermessensüberprüfung" nicht beachtet, ist die Beschwerde unzulässig. Mit dem Vorbringen, das sinngemäß darauf abzielt, das FG habe bei der im Rahmen des § 102 FGO gebotenen Überprüfung der Ausübung des Verwaltungsermessens die Ausübung dieses Ermessens durch die OFD rechtsfehlerhaft gewürdigt ―denn im Gegensatz zur Auffassung des FG habe die OFD im Streitfall ihr Ermessen nicht zutreffend ausgeübt―, wird eine Verfahrensrüge i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht schlüssig erhoben (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH―, vom 21. Februar 1996 VII B 243/95, BFH/NV 1996, 661). Darin liegt vielmehr die Behauptung eines Verstoßes gegen das materielle Recht, der zur Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes nicht geeignet ist. Da der Kläger von der Anführung entsprechender Entscheidungen der Obergerichte ausdrücklich absieht, ist das Vorbringen auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO in der im Streitfall gemäß Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000, BGBl I 2000, 1757 noch anwendbaren alten Fassung ―a.F.― der FGO) schlüssig.
Im Übrigen hätte dieses Vorbringen auch in der Sache keinen Erfolg, weil Gegenstand einer Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt ist, die er durch die Einspruchsentscheidung gefunden hat (§ 44 Abs. 2 FGO). In ihrer Einspruchsentscheidung hatte die OFD die Entziehung der Vergünstigung, unter Abfindung zu brennen, allein noch auf das vorgeschobene Stoffbesitzerbrennen gestützt. Daher geht das Ansinnen des Klägers, in die Ermessensüberprüfung auch Umstände einzubeziehen, die nur Gegenstand des ursprünglichen Verwaltungsakts waren (hier die dem Kläger vorgehaltene Veräußerung illegal hergestellten Branntweins in erheblichen Mengen), fehl.
2. Auch die vom Kläger sinngemäß erhobene Sachaufklärungsrüge (§ 76 Abs. 1 FGO) ist nicht schlüssig erhoben. Beweisanträge, die das FG etwa übergangen haben könnte, hat der Kläger nicht gestellt. Er hat auch nicht schlüssig dargelegt, warum er nicht von sich aus beim FG einen entsprechenden Antrag auf Erhebung von Beweisen oder Vornahme bestimmter weiterer Ermittlungen gestellt hat, obschon er im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war, und weshalb sich dem FG die beanstandete unterlassene Aufklärungsmaßnahme auch ohne einen solchen Antrag hätte aufdrängen müssen (vgl. dazu etwa BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1995 VIII B 28/95, BFH/NV 1996, 425). Ferner fehlt es an der erforderlichen Darlegung, weshalb die vom FG unterlassene Aufklärung überhaupt hätte kausal für das angefochtene Urteil sein können (zur mangelnden Entscheidungserheblichkeit s. nachfolgend 3.).
3. Soweit mit der Beschwerde schließlich eine Verletzung der Hinweispflicht durch das FG nach § 76 Abs. 2 FGO geltend gemacht wird, ist die Beschwerde jedenfalls unbegründet. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO a.F.) liegt nicht vor.
Bei den richterlichen Hinweispflichten nach § 76 Abs. 2 FGO geht es weniger um die Aufklärung von Amts wegen durch das Gericht als darum, Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten zu geben, deren Eigenverantwortlichkeit dadurch aber nicht eingeschränkt oder gar beseitigt wird. Liegt die rechtliche Bedeutung bestimmter Tatsachen und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, diese Tatsachen bei Gericht vorzubringen und zu substantiieren, zur Erreichung des Prozessziels auf der Hand, so stellt ein unterlassener Hinweis jedenfalls dann keine gegen § 76 Abs. 2 FGO verstoßende Pflichtverletzung dar, wenn der Kläger steuerlich beraten und im Prozess entsprechend vertreten wird (vgl. Senatsbeschluss vom 17. April 1997 VII B 200/96, BFH/NV 1997, 693, m.w.N.).
Der Kläger war im Verfahren vor dem FG und auch in der mündlichen Verhandlung durch seinen Prozessbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, vertreten. Dieser war, gemessen an seinem schriftsätzlichen Vorbringen, davon überzeugt, dass die von ihm beanstandete angebliche Praxis der Verwaltung, missbräuchliches Abfindungsbrennen unter Vorschieben von Stoffbesitzern stillschweigend zu tolerieren, ein rechtlicher Gesichtspunkt ist, der für die Entscheidung des FG entscheidungserheblich sein könnte. Wenn er es gleichwohl unterlassen hat, substantiiert hierzu vorzutragen und entsprechende Beweisanträge zu stellen, so kann dies nicht dem Gericht angelastet werden. Hält ein fachkundiger Prozessbevollmächtigter seinen Vortrag für entscheidungserheblich, so darf er die erforderliche Substantiierung seines Vortrags und gebotene Beweisanträge hierzu nicht unterlassen oder zurückhalten (mit Recht hat das FG insoweit ausgeführt, dass der Kläger jeglichen Nachweis für seine Darstellung schuldig geblieben sei) und statt dessen das Gericht lediglich um einen rechtlichen Hinweis hierzu bitten. Unter den Umständen des Streitfalls kann der Senat im Unterlassen eines entsprechenden Hinweises durch das Gericht keine Pflichtverletzung und damit auch keinen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO a.F. erkennen. Damit entfällt gleichzeitig auch der Vorwurf der Verletzung des Rechts auf Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) des Klägers durch das FG. Eine Überraschungsentscheidung liegt unter den genannten Umständen nicht vor.
Im Übrigen erscheint fraglich, ob das FG den entsprechenden Vortrag des Klägers überhaupt für entscheidungserheblich angesehen hat. Allein daraus, dass das FG diesen Vortrag "nach den Ausführungen der Beklagten zu diesem Thema sowie nach Kenntnis des Senats schlichtweg als Schutzbehauptung" gewertet hat, kann auf eine Entscheidungserheblichkeit nicht geschlossen werden. Mögliche Fehler des Gerichts bei nicht entscheidungserheblichen Fragen können nicht zur Zulassung der Revision führen. Für einen insoweit geltend gemachten Verfahrensfehler fehlt es an der Kausalität (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Juli 1995 VII B 1/95, BFH/NV 1996, 155).
Selbst wenn das FG aber den Vortrag etwa für die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit des Klägers als entscheidungserheblich angesehen und damit im Zusammenhang einen Verfahrensfehler begangen hätte, so könnte dies in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO (vgl. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 126 Rz. 7, m.w.N.) nicht zur Zulassung der Revision führen. Der Senat hält das Vorbringen des Klägers nämlich für unerheblich. Bereits die OFD hat in ihrer Beschwerdeerwiderung zutreffend ausgeführt, dass Bedenken gegen die Vertrauenswürdigkeit eines Brennereibesitzers nicht dadurch ausgeräumt werden, dass dessen rechtswidriges Verhalten durch einzelne Steueraufsichtsbeamte geduldet werde. Sollte, wie der Kläger behauptet, eine rechtswidrige Verwaltungspraxis beim Abfindungsbrennen bestehen, so heilte dies seine Verfehlungen unter keinen Umständen. Vielmehr wäre die OFD dann aufgerufen, etwa bestehende Kontrolldefizite abzustellen und bei festgestellten Vergehen die bestehenden Vergünstigungen, unter Abfindung zu brennen, zu widerrufen. Gerade in einer Zeit, in der für gewerbliche Brennereien das Auslaufen des Branntweinmonopols und damit aller Vergünstigungen in Sicht ist, ist es dringender als je erforderlich, Missbräuche beim Abfindungsbrennen zu verfolgen, damit nur noch diejenigen Abfindungsbrenner und Stoffbesitzer, die sich als steuerehrlich und damit vertrauenswürdig erweisen, so wie es das Gesetz will, in den Genuss der monopol- und steuerrechtlichen Vergünstigungen kommen.
Fundstellen
Haufe-Index 585771 |
BFH/NV 2001, 1012 |