Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderungsbescheid während des Revisionsverfahrens gegen den ursprünglichen Bescheid

 

Leitsatz (NV)

Ergeht während des Revisionsverfahrens ein Änderungsbescheid und wird dieser nicht gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, sondern selbständig angefochten, so wird die Revision (gegen den ursprünglichen Bescheid) nicht unzulässig. Das Revisionsverfahren ist vielmehr für die Dauer des Anfechtungsverfahrens über den ändernden Bescheid in entsprechender Anwendung des § 74 FGO auszusetzen oder, sofern die Beteiligten dies übereinstimmend beantragen, zum Ruhen zu bringen.

An dieser Rechtslage hat sich durch die Neufassung des § 68 FGO nichts geändert.

 

Normenkette

FGO i.d.F. des FGOÄndG vom 21.12. 1992 § 68; FGO §§ 74, 155; ZPO § 251

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhob nach erfolglosem Vorverfahren Klage gegen den Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid für 1987 (Streitjahr). Sie machte u.a. geltend, daß der Grundfreibetrag und der für ihr Kind gewährte Kinderfreibetrag aus verfassungsrechtlichen Gründen zu niedrig seien. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab.

Mit der vom FG zugelassenen Revision begehrt die Klägerin in erster Linie die Berücksichtigung eines höheren Kinderfreibetrages.

Während des Revisionsverfahrens änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den angefochtenen Bescheid. Der Änderungsbescheid vom 1. April 1993 erging hinsichtlich verschiedener Besteuerungsmerkmale nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufig.

Die Klägerin erhob gegen den Änderungsbescheid Einspruch und später - nach erfolglosem Vorverfahren - Klage. Diese ist noch beim FG unter dem Aktenzeichen ... anhängig.

 

Entscheidungsgründe

Das Revisionsverfahren ist bis zum bestandskräftigen Abschluß des Verfahrens betreffend den Änderungsbescheid vom 1. April 1993 auszusetzen.

1. Bei diesem Bescheid handelt es sich um einen Änderungsbescheid i.S. des § 68 der Finanzgerichtsordnung - FGO - (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. August 1991 III R 41/88, BFHE 166, 1, BStBl II 1992, 219).

Wird ein derartiger Bescheid - wie im Streitfall - nicht zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gemacht, sondern selbständig angefochten, so ist das Revisionsverfahren (über den ursprünglichen Bescheid) für die Dauer des Anfechtungsverfahrens über den ändernden Bescheid in entsprechender Anwendung des § 74 FGO auszusetzen (so schon Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231) oder, sofern die Beteiligten dies übereinstimmend beantragen, zum Ruhen zu bringen.

2. An dieser Rechtslage hat sich durch die Neufassung des § 68 FGO (Anfügung der Sätze 2 und 3 durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 21. Dezember 1992, BGBl I 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) nichts geändert. Die Befristung der Antragstellung hat nicht zur Folge, daß der ursprüngliche, geänderte Bescheid etwa endgültig gegenstandslos und das gegen ihn angestrengte Revisionsverfahren entsprechend den Grundsätzen des BFH-Beschlusses vom 24. November 1982 II R 172/80 (BFHE 137, 6, BStBl II 1983, 237) unzulässig würde, wenn der neue, ändernde Bescheid - statt nach § 68 Satz 1 FGO n.F. in das Revisionsverfahren eingeführt zu werden - mit dem Einspruch angefochten wird.

Gegenteilige Auffassungen im Schrifttum (s. insbesondere von Groll in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 68 Anm. 3a, m.w.N., und Rößler, Deutsche Steuer-Zeitung 1993, 685) berücksichtigen nicht ausreichend, daß der Regelungsgehalt des ursprünglichen Bescheides wieder in Kraft treten kann, wenn der ihn ändernde Bescheid im Anfechtungsverfahren, und zwar insbesondere aus formellen Gründen, aufgehoben wird.

Die Neuregelung betrifft demnach nur das Verfahren über den Änderungsbescheid, besagt jedoch nichts für die Behandlung des Verfahrens über den ursprünglichen Bescheid. Dieses behält nach wie vor Bedeutung für den Fall, daß der Änderungsbescheid, z.B. wegen Fehlens der Änderungsvoraussetzungen, aufgehoben wird oder sich aus anderen Gründen gar als unwirksam erweist. Da der ursprüngliche Verwaltungsakt in diesem Fall wieder seine Wirkungen entfaltet, behält das Verfahren über ihn so lange Bedeutung, bis über den Änderungsbescheid rechtskräftig entschieden ist. Wie nach der bisherigen Rechtslage, ist deshalb das Verfahren über den ursprünglichen Bescheid bis zu diesem Zeitpunkt auszusetzen oder es ist, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen (s. hierzu noch ausführlicher den Senatsbeschluß vom 11. Februar 1994 III B 127/93, BFHE 173, 14, BStBl II 1994, 658; bereits mitgeteilt in Deutsches Steuerrecht 1994, 502).

3. Da die Beteiligten im Streitfall das Ruhen des Revisionsverfahrens nicht beantragt haben, war dieses nach den obigen Ausführungen entsprechend § 74 FGO auszusetzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419898

BFH/NV 1994, 814

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