Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifauslegung. Ausgleichszulage. Nettobeamtenbesoldung. Umrechnung auf eine vergleichbare Angestelltenvergütung. Abtastverfahren. Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge. Steuerfreibeträge. Zulage

 

Orientierungssatz

  • Für die Berechnung der Ausgleichszulage nach § 4 des Zulagentarifvertrages für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Flugsicherung GmbH gilt folgendes:

    • Die Arbeitgeberin darf von den Bruttobeamtenbezügen keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge abziehen, und zwar weder zur Feststellung der Nettobesoldung noch zur Ermittlung einer verfügbaren Nettobesoldung.
    • Nur die Kinderfreibeträge, nicht aber die sonstigen auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibeträge dürfen berücksichtigt werden.
  • Bei einem Firmentarifvertrag ist ein subjektiver Wille des normsetzenden Arbeitgebers, der ihn belastet und die Arbeitnehmer begünstigt, auch dann zu berücksichtigen, wenn dieser Wille nur unzureichend zum Ausdruck gebracht wurde.
 

Normenkette

TVG § 1 Auslegung; Zulagentarifvertrag für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Flugsicherung GmbH § 4; SGB V § 6 Abs. 1 Nr. 2; SGB XI § 23 Abs. 3; GG Art. 3 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Bremen (Urteil vom 20.03.2001; Aktenzeichen 1 Sa 40/00)

ArbG Bremen (Urteil vom 25.08.1999; Aktenzeichen 10 h Ca 10392/98)

 

Tenor

  • Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 20. März 2001 – 1 Sa 256/99 + 1 Sa 40/00 – insoweit aufgehoben, als die Klage bezüglich der Nichtberücksichtigung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung bei der Ermittlung der verfügbaren Nettobesoldung abgewiesen worden ist. Die Anschlußrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.
  • Im Umfang der Aufhebung wird auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen vom 25. August 1999 – 10h Ca 10392/98 – abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefaßt:

    Es wird festgestellt, daß dem Kläger nach § 4 des Zulagentarifvertrags für die Deutsche Flugsicherung GmbH vom 22. August 1993 eine Ausgleichszulage zusteht, bei deren Berechnung Steuerfreibeträge mit Ausnahme der Kinderfreibeträge zur Ermittlung der Nettobesoldung und zur Umrechnung auf eine entsprechende Angestelltenvergütung nicht herangezogen werden dürfen und die nach den steuerrechtlichen Abzügen verbleibende Nettobesoldung nicht um Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge gekürzt werden darf.

  • Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Berechnung einer Ausgleichszulage.

Der Kläger war bei der Bundesanstalt für Flugsicherung als Beamter beschäftigt. Die im Jahre 1992 gegründete Beklagte ist eine GmbH, deren alleiniger Anteilseigner der Bund ist. Sie übernahm im Zuge einer Privatisierung ab 1993 die Flugsicherungsdienste in der Bundesrepublik Deutschland. Der Bund war bereit, die Beamten und Arbeitnehmer der Bundesanstalt für Flugsicherung ohne Einbußen weiterzubeschäftigen. Sowohl er als auch die Beklagte waren aber bestrebt, die große Mehrheit der in der Flugsicherung tätigen Bediensteten zu einem freiwilligen Übertritt in das privatwirtschaftliche Unternehmen zu bewegen. Einen entsprechenden Anreiz sollte unter anderem die tarifvertragliche Ausgleichszulage schaffen. Sie ist in § 4 des für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten geschlossenen Zulagentarifvertrages (ZTV) vom 20. August 1993 wie folgt geregelt:

  • Übernommene Beschäftigte … haben Anspruch auf Bruttobezüge in Höhe von mindestens 105 % der vor der Übernahme im Bundesdienst zuletzt gezahlten Bruttobezüge (Angestellte, Arbeiter) bzw. der auf den gleichen Zeitraum bezogenen fiktiven Bruttobezüge (Beamte), jeweils ohne variable Bezüge und befristete oder einmalige Zahlungen.
  • Die fiktiven Bruttobezüge werden durch Umrechnung der Netto-Besoldung auf entsprechende Angestelltenvergütung festgestellt. Bei verheirateten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird dabei die Steuerklasse 3, bei Ledigen die Steuerklasse 1 zugrunde gelegt. Es werden nur die auf der Lohnsteuerkarte des Betreffenden eingetragenen Kinder berücksichtigt.
  • Erreichen die DFS-Bruttobezüge nicht den um 5 % erhöhten Bruttobetrag der bisherigen Bezüge, wird der Differenzbetrag als Ausgleichszulage gezahlt.
  • Der Differenzbetrag wird erstmalig auf Wunsch der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter errechnet. Als Basis dient die bisherige Besoldungs-/Vergütungs- bzw. Lohngruppe unter Zugrundelegung der im Zeitpunkt der Errechnung maßgeblichen Dienstalters-, Lebensalters- bzw. Lohnstufe sowie des zu diesem Zeitpunkt zustehenden Ortszuschlages. Nach jeweils 12 Monaten wird der Differenzbetrag auf der dann maßgeblichen Basis neu ermittelt.
  • Bei Stufensteigerungen und Höhergruppierungen in der DFS werden die Steigerungsbeträge jeweils zur Hälfte auf die Ausgleichszulage angerechnet.

Der Kläger schied aus seinem Beamtenverhältnis aus und wechselte zur Beklagten über. In § 3 des Arbeitsvertrages vom 18./19. April 1995 ist eine Ausgleichszulage von monatlich 714,80 DM aufgeführt.

Zunächst errechnete die Beklagte die Ausgleichszulage nach der Formel:

Bruttogehalt, das dem Kläger als Beamter zustünde,

- Lohnsteuer - Solidaritätszuschlag + steuerfreie Zulage = Nettobesoldung

+ vom Kläger zu leistende Beiträge zur Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung + Lohnsteuer + Solidaritätszuschlag = fiktive Bruttoangestelltenvergütung

× 105 % = Besitzstandsvergütung

- Bruttogehalt gemäß Eingruppierung des Klägers ohne variable Entgeltbestandteile = Ausgleichszulage.

Die so ermittelte Ausgleichszulage wurde als ruhegehaltsfähig betrachtet. Sie wurde mit Schreiben vom 25. Juni 1996, 21. April 1997 und 10. Dezember 1997 angepaßt. Mit Wirkung ab 1. Mai 1998 ging die Beklagte von folgender Berechnungsformel aus:

Bruttogehalt, das dem Kläger als Beamter zustünde,

- Lohnsteuer unter Berücksichtigung der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibeträge -  Solidaritätszuschlag + steuerfreie Zulage = Nettobesoldung

- Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, die der Kläger als Beamter bei der Mannheimer Versicherung hätte bezahlen müssen,

= verfügbare Nettobesoldung × 105 %

+ vom Kläger zu leistende Beiträge zur Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung + Lohnsteuer unter Berücksichtigung der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibeträge + Solidaritätszuschlag = Besitzstandsvergütung

– Bruttogehalt gemäß Eingruppierung des Klägers ohne variable Entgeltbestandteile = Ausgleichszulage.

Diese Berechnungsmethode führte zu einer niedrigeren Besitzstandsvergütung. Sie lag unter dem von der Beklagten gezahlten Arbeitsentgelt. Mit Schreiben vom 4. Mai 1998 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß die bisher gewährte Ausgleichszulage entfalle. Der Kläger erhalte jedoch zeitlich befristet eine freiwillige, persönliche, nicht ruhegehaltsfähige Zulage, um eine Verringerung seiner bisherigen Bruttovergütung zu vermeiden. Diese Zulage werde “bei künftigen Vergütungsänderungen (Tarif-erhöhungen, Höhergruppierungen, Stufensteigerungen etc.) auf den jeweiligen Steigerungsbetrag angerechnet”. Der Gesamtbetriebsrat hat der Berücksichtigung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bei der Ermittlung der verfügbaren Nettobeamtenbesoldung zugestimmt. Zum 1. Mai 1999 senkte die Beklagte auf Grund des Anrechnungsvorbehalts die persönliche Zulage von 705,43 DM auf 451,43 DM.

Die Beklagte stellte bei der Ermittlung der verfügbaren Nettobeamtenbesoldung auf die für Beamte geltenden regulären Kranken- und Pflegeversicherungstarife der Mannheimer Versicherung ab. Beim Umrechnen der verfügbaren Nettobeamtenbesoldung auf eine entsprechende Angestelltenvergütung ging sie von dem mit der Mannheimer Versicherung geschlossenen Gruppenversicherungsvertrag aus. Er sieht niedrigere Beiträge vor. Mit dem Abschluß des Gruppenversicherungsvertrages kam die Beklagte ihren Pflichten aus dem Tarifvertrag über die Kranken- und Pflegeversicherung für die bei der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (KTV) vom 20. August 1993 in der Fassung des 3. Änderungs-TV vom 20. November 1995 nach.

Bis einschließlich 30. April 1995 war der Kläger anderweitig versichert. Die Signal Iduna Versicherung bestätigte ihm mit Schreiben vom 26. April 2000, daß bis zum 1. Mai 1995 eine Krankheitskostenvollversicherung bestanden habe. Zuletzt hätten sich die Beiträge des Klägers für die Krankenversicherung auf 188,00 DM, für das Sterbegeld auf 0,50 DM, für das Krankenhaustagegeld auf 16,10 DM und für die Pflegeversicherung auf 23,19 DM belaufen. Seit dem 1. Mai 1995 ist der Kläger im Rahmen des von der Beklagten geschlossenen Gruppenversicherungsvertrages bei der Mannheimer Versicherung kranken- und pflegeversichert. Vom 1. Mai 1995 bis zum 31. Juli 1999 betrugen der monatliche Gesamtbeitrag zur Krankenversicherung 414,04 DM und die monatliche Eigenbeteiligung des Klägers 163,43 DM. Vom 1. August 1999 bis zum 30. September 1999 erhöhte sich der Gesamtbetrag auf 447,51 DM und der Eigenanteil des Klägers auf 176,63 DM. Seit dem 1. Oktober 1999 beliefen sich der monatliche Gesamtbeitrag auf 486,64 DM und der monatliche Eigenanteil des Klägers auf 215,76 DM. Der monatliche Gesamtbeitrag zur Pflegeversicherung betrug vom 1. Mai 1995 bis zum 30. Juni 1996 53,25 DM, vom 1. Juli 1996 bis zum 31. Dezember 1998 73,66 DM und seit dem 1. Januar 1999 59,04 DM. Die Hälfte des Gesamtbeitrages hatte der Kläger als Eigenanteil zu tragen.

Der Kläger hält die geänderte Berechnung in zwei Punkten für unrichtig. Bei der Ermittlung der Nettobeamtenbesoldung dürften von der Bruttobeamtenbesoldung nur die Lohnsteuer und der Solidaritätszuschlag, aber keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge abgezogen werden. Für die anzusetzende Lohnsteuer spielten die persönlichen Steuerfreibeträge mit Ausnahme der Kinderfreibeträge keine Rolle. Die Verpflichtung der Beklagten, die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge wie früher bei der Ermittlung der Nettobeamtenbesoldung unberücksichtigt zu lassen, ergebe sich bereits aus § 4 ZTV. Keinesfalls könnten bei der Ermittlung der Nettobeamtenbesoldung die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nach den Tarifen der Mannheimer Versicherung angesetzt werden. Bei einem Fortbestehen seines Beamtenverhältnisses und früheren Versicherungsverhältnisses hätte er deutlich niedrigere Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge entrichten müssen.

Der Kläger hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, zuletzt beantragt

festzustellen, daß die Beklagte bei der Berechnung der Ausgleichszulage nach § 4 des Zulagentarifvertrages für die Deutsche Flugsicherung GmbH vom 20. August 1993 bei der Berechnung des maßgeblichen Basisnettobetrages eines fiktiven Beamteneinkommens keine Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung berücksichtigen darf und Steuerfreibeträge – mit Ausnahme von Kinderfreibeträgen – nach dieser Vorschrift nicht zu berücksichtigen sind.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat ihre nunmehrige Berechnungsmethode für rechtens gehalten. Der Abzug von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen bei der Ermittlung der verfügbaren Nettobeamtenbesoldung entspreche dem Zweck der Ausgleichszulage und sorge für die gebotene Gleichbehandlung der früheren Beamten mit den früheren Angestellten der Bundesanstalt für Flugsicherung. Bei der fiktiven Nettobeamtenbesoldung sei auf den regulären für Beamte geltenden Tarif der Mannheimer Versicherung abzustellen. Bei der für die Berechnung der Ausgleichszulage maßgeblichen Lohnsteuer seien nicht nur Kinderfreibeträge, sondern auch die in die Lohnsteuerkarte des Klägers eingetragenen persönlichen Steuerfreibeträge von 1.609,00 DM zu berücksichtigen. § 4 Abs. 2 ZTV stehe nicht entgegen. Diese Vorschrift befasse sich nur mit der Frage, wie die Kinderfreibeträge zu ermitteln seien, enthalte aber keine Aussage zu den übrigen Steuerfreibeträgen. Nach dem Regelungszweck und der Tarifsystematik komme es für die Nettobeamtenbesoldung auf den tatsächlichen steuermindernden Effekt an.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, soweit der Kläger die Nichtberücksichtigung von Steuerfreibeträgen mit Ausnahme von Kinderfreibeträgen verlangt hat. Soweit der Kläger die Nichtberücksichtigung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bei der Berechnung der verfügbaren Nettobeamtenbesoldung gefordert hat, ist die Klage abgewiesen worden. Das Landesarbeitsgericht hat sowohl die Berufung des Klägers als auch die Anschlußberufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Kläger möchte mit seiner Revision erreichen, daß seiner Klage im vollen Umfang entsprochen wird. Die Beklagte erstrebt mit ihrer Anschlußrevision die vollständige Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet, die noch anhängige Anschlußrevision der Beklagten jedoch unbegründet. Die Beklagte darf von der Nettobeamtenbesoldung keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge abziehen. Bei der Berechnung der Ausgleichszulage spielen die in der Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibeträge mit Ausnahme der Kinderfreibeträge keine Rolle.

  • Die Feststellungsklage ist zulässig.

    • Der Kläger hat die Feststellung eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO beantragt. Da sich die Feststellungsklage nicht auf das Rechtsverhältnis im Ganzen beziehen muß, sondern sich auf einzelne daraus entstehende Rechte, Pflichten oder Folgen beschränken kann (vgl. ua. BAG 9. November 1999 – 3 AZR 361/98 – AP BetrAVG § 7 Nr. 96 = EzA BetrAVG § 7 Nr. 62, zu A 3 der Gründe; 24. April 2001 – 3 AZR 210/00 – EzA BetrAVG § 1 Nr. 75, zu I 2a der Gründe mwN), ist der Inhalt des Anspruchs auf Ausgleichszulage und damit seine Berechnung einem Feststellungsantrag zugänglich. Davon ist auch der Vierte Senat im Urteil vom 29. November 2001 (– 4 AZR 757/00 – AP ZPO 1977 § 256 Nr. 69 = EzA ZPO § 256 Nr. 64, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu I 2b der Gründe) ausgegangen.
    • Für den vorliegenden Feststellungsantrag besteht – im Gegensatz zu dem im Verfahren – 4 AZR 757/00 – gestellten – das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. In dem vom Vierten Senat entschiedenen Fall war die Feststellung eines Anspruchs auf Ausgleichszulage in einer bestimmten Höhe beantragt worden. Eine Leistungsklage kam nicht in Betracht, weil die tatsächlich gezahlte Zulage nicht geringer war als die verlangte. Die Parteien stritten über die rechtliche Qualifizierung der geleisteten Zahlungen und die Berechnung der tariflichen Ausgleichszulage. Das begehrte Feststellungsurteil wäre nicht geeignet gewesen, Rechtsfrieden zu schaffen, weil über die zwischen den Parteien streitigen Berechnungsfragen nicht rechtskräftig entschieden worden wäre. Zur Klärung der Meinungsverschiedenheit hätte es eines Antrags bedurft, der die Methode zur Berechnung der Ausgleichszulage präzise beschrieben hätte (29. November 2001 – 4 AZR 757/00 – aaO, zu I 2b der Gründe). Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger einen derartigen Antrag gestellt.

      Ein Interesse an alsbaldiger Beilegung des Berechnungsstreits besteht schon deshalb, weil die Beklagte die Differenz zwischen der bisher gezahlten und der erstmals zum 1. Mai 1998 neu berechneten Ausgleichszulage lediglich durch eine freiwillige, zeitlich befristete, persönliche Zulage überbrückt, die auf künftige Gehaltssteigerungen angerechnet wird. Bereits zum 1. Mai 1999 hat die Beklagte die persönliche Zulage von 705,43 DM auf 451,43 DM gesenkt.

  • Die Klage ist auch begründet.

    • Nach § 4 ZTV darf die Beklagte von den Bruttobeamtenbezügen keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge abziehen, und zwar weder bei der Berechnung der Nettobesoldung noch zur Ermittlung einer verfügbaren Nettobesoldung.

      • Unter der Nettovergütung eines Arbeitnehmers wird üblicherweise der Teil der Vergütung verstanden, der nach dem gesetzlich vorgeschriebenen Einbehalt der Steuern und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung verbleibt (vgl. ua. BAG 18. Januar 1974 – 3 AZR 183/73 – AP BGB § 670 Nr. 19 = EzA BGB § 611 Nettolohn, Lohnsteuer Nr. 2, zu I 2 der Gründe). Der Ausdruck “Nettobesoldung” lehnt sich an diese Terminologie an. Da der ZTV keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür enthält, daß der Begriff Nettobesoldung nicht im üblichen Sinn zu verstehen ist, können von der Bruttobesoldung nur die Lohnsteuer, eine etwa anfallende Kirchensteuer und der Solidaritätszuschlag abgezogen werden. Eine gesetzliche Verpflichtung des Dienstherrn, von den Beamtenbezügen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge abzuziehen, bestand nicht. Beamte sind nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB V krankenversicherungsfrei, wenn sie nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge und auf Beihilfe oder Heilfürsorge haben. Diese Voraussetzungen waren unstreitig erfüllt. Personen, die nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Pflegebedürftigkeit Anspruch auf Beihilfe haben, ohne freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung zu sein, sind nach § 23 Abs. 3 SGB XI zwar zum Abschluß einer anteiligen beihilfekonformen Versicherung bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet. Da aber der Dienstherr die Versicherungsprämien nicht von den Dienstbezügen einbehalten muß, fehlt auch insoweit ein gesetzlicher Abzug.
      • Wie der Vierte Senat im Urteil vom 29. November 2001 (– 4 AZR 757/00 – aaO, zu I 2c der Gründe) ausgeführt hat, ist bei der “Umrechnung der Nettobesoldung auf eine entsprechende Angestelltenvergütung” zu prüfen, ob die Nettobesoldung um die im Beamtenverhältnis anfallenden Aufwendungen für die den Beihilfeanspruch ergänzende Kranken- und Pflegeversicherung zu kürzen ist. Die Beklagte nennt den verbleibenden Betrag die “verfügbare Nettobesoldung”. Ein derartiger Rechenschritt ist jedoch in § 4 ZTV nicht genannt.

        Für die Ermittlung einer “verfügbaren Nettobesoldung” wären Berechnungsregeln nötig. Da sie fehlen, liegt es nahe, – wie ursprünglich von der Beklagten praktiziert – die Nettobesoldung bei der Umrechnung auf eine entsprechende Angestelltenvergütung als Nettoarbeitsentgelt zugrunde zu legen und die durch Abtasten ermittelten Beträge der Lohnsteuer, der eventuell anfallenden Kirchensteuer, des Solidaritätszuschlags und der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung zu addieren (zum Abtastverfahren vgl. Abschnitt R 122 der Lohnsteuerrichtlinien 1995 bis 2002, § 14 Abs. 2 SGB IV, BSG 29. Juni 2000 – B 4 RA 57/98 R – BSGE 86, 262, 283; BFH 23. Juni 1992 – VI R 102/90 – BFHE 168, 544 ff.; BGH 25. Februar 1981 – IVb ZR 543/80 – NJW 1981, 1556, 1558). Wenn die Nettobesoldung auf diesem Weg in eine Bruttoangestelltenvergütung umgerechnet wird, so begünstigt dies zwar die Beamten. Eine völlige Gleichstellung von Angestellten und Beamten ist aber ohnehin nicht zu erreichen. Der Beklagten war daran gelegen, den Großteil der Beschäftigten zu einem Übertritt zu bewegen. Diesem Ziel entsprach es, den Beamten durch eine großzügige Umrechnung einen verstärkten Anreiz für die Aufgabe ihrer bisherigen Rechtsstellung zu bieten. Dem Wortlaut und der Systematik des Tarifvertrages ist allerdings nicht eindeutig zu entnehmen, ob ein derartiger Anreizzweck das Bestreben überwog, die Beamten und Angestellten möglichst gleich zu stellen.

      • Wenn Wortlaut, Systematik und der sich daraus ergebende Regelungszweck keine zweifelsfreie Auslegung ermöglichen, sind auch weitere Kriterien, unter anderem die praktische Tarifübung und die Praktikabilität der Auslegungsergebnisse zu berücksichtigen (ständige Rechtsprechung des BAG seit 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – BAGE 46, 308, 313 f.; vgl. ua. 16. Mai 1995 – 3 AZR 395/94 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Papierindustrie Nr. 10 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 29, zu I 1 der Gründe; 29. August 2001 – 4 AZR 337/00 – AP TVG § 1 Auslegung Nr. 174 = EzA BGB § 622 Tarifvertrag Nr. 2, zu 1b der Gründe). Die Beklagte muß sich an ihrer früheren Anwendungspraxis festhalten lassen. Weder Praktikabilitätserwägungen noch eine gesetzeskonforme Auslegung führen zu einem anderen Ergebnis.

        • Die Beklagte hatte nach Inkrafttreten des ZTV am 1. August 1993 von der Bruttobeamtenbesoldung lediglich die Lohnsteuer und den Solidaritätszuschlag abgezogen und die so ermittelte Nettobesoldung auf eine Bruttoangestelltenvergütung hochgerechnet. An eine um Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge gekürzte “verfügbare Nettobesoldung” hatte sie nicht angeknüpft. Erst im Jahre 1998 änderte die Beklagte ihre Berechnung und stellt seither auf die “verfügbare Nettobesoldung” ab. Die langjährige Anwendungspraxis zeigt jedoch, welchen Regelungsinhalt der § 4 ZTV nach den Vorstellungen der Beklagten haben sollte.

          Da die Beklagte selbst diesen Firmentarifvertrag abschloß, läßt die frühere Anwendungspraxis aussagekräftige Rückschlüsse auf den subjektiven Willen der Tarifvertragsparteien zu. Der subjektive Wille der Tarifvertragsparteien ist jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn er – wie im vorliegenden Fall – einen, sei es auch nur schwachen Niederschlag gefunden hat. Der Vollzugspraxis und dem subjektiven Willen des Arbeitgebers kann bei Firmentarifverträgen ebenso wie bei Betriebsvereinbarungen sogar weitergehende Bedeutung zukommen. Die objektive Auslegung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen dient vor allem dem Schutz der Normunterworfenen. Der an der Normsetzung beteiligte Arbeitgeber bedarf indessen keines solchen Schutzes. Dies spricht dafür, daß ein subjektiver Wille des normsetzenden Arbeitgebers, der ihn belastet und die Arbeitnehmer begünstigt, auch dann zu berücksichtigen ist, wenn dieser Wille nur unzureichend zum Ausdruck gebracht wurde (BAG 22. Januar 2002 – 3 AZR 554/00 – AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 77 Ruhestand Nr. 2, zu II 3a der Gründe).

        • Erst die geänderte Berechnungsformel würde die in § 4 ZTV nicht behandelte Frage aufwerfen, wie die für die “verfügbare Nettobesoldung” maßgeblichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu ermitteln sind. In Betracht kämen verschiedene Anknüpfungspunkte. Jeder von ihnen weist Unzulänglichkeiten auf.

          Der Besitzstandswahrung und dem Gleichstellungszweck wohl am ehesten entspräche es, auf die fiktiven Versicherungsprämien abzustellen, die zu zahlen wären, wenn das während des Beamtenverhältnisses bestehende Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnis fortgeführt worden wäre. Dieses Verfahren ist allerdings verwaltungsaufwendig und kann mit Nachweisschwierigkeiten verbunden sein, wenn beispielsweise – wie im vorliegenden Fall – der Versicherer mehrfach fusionierte.

          Denkbar wäre es auch, die Versicherungsprämien zugrunde zu legen, die nach dem von der Beklagten mit der Mannheimer Versicherung geschlossenen Gruppenversicherungsvertrag zu entrichten sind. Diese Versicherungsprämien betreffen jedoch das nunmehrige Angestelltenverhältnis und wären im Beamtenverhältnis nie angefallen.

          Die Beklagte ging von den Regeltarifen der Mannheimer Versicherung für Beamte aus. Sie lagen über den Gruppenversicherungstarifen. Es kann nicht ohne weiteres angenommen werden, daß nicht nur die Gruppenversicherungstarife, sondern auch die Regeltarife der Mannheimer Versicherung für Beamte außergewöhnlich günstig sind. Mit der angestrebten Besitzstandswahrung und dem Gleichstellungszweck des § 4 Abs. 2 ZTV wäre es schwer zu vereinbaren, von der Nettobesoldung höhere Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge abzuziehen, als sie bei Fortbestand des Beamtenverhältnisses voraussichtlich angefallen wären.

          Wenn von der Nettobeamtenbesoldung Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge abzuziehen wären, müßte deshalb geprüft werden, ob die tarifliche Regelung überhaupt hinreichend bestimmt ist (vgl. die Bedenken Vierter Senat 29. November 2001 – 4 AZR 757/00 – aaO, zu I 2c der Gründe). Eine Auslegung, die zu einer Gefährdung der Justitiabiliät der Tarifvorschrift führen würde, ist nicht brauchbarer und sinnvoller als eine Auslegung, bei der dieses Problem nicht auftritt.

        • Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) läßt sich angesichts der prinzipiellen Unterschiede zwischen der Beamtenbesoldung und der Vergütung für Angestellte im öffentlichen Dienst kein bestimmter Berechnungsmodus herleiten (BAG 29. November 2001 – 4 AZR 757/00 – aaO, zu I 2c der Gründe). Außerdem gab es für eine die Beamten begünstigende Umrechnung ihrer Besoldung in eine Angestelltenvergütung einleuchtende Gründe. Es war nicht sachwidrig, den Beamten einen zusätzlichen Anreiz zu bieten, die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zu beantragen und in ein Angestelltenverhältnis zur Beklagten zu treten.
    • Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß bei der Berechnung der Ausgleichszulage nur die Kinderfreibeträge, nicht aber die sonstigen auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibeträge berücksichtigt werden dürfen.

      • Nach dem Tarifwortlaut kommt es auf die Steuerklasse und die auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Kinderfreibeträge an. Sonstige steuerrechtlich relevante Umstände sind nicht angesprochen. Mit der Steuerklasse und den Kinderfreibeträgen sind alle in die Lohnsteuertabellen eingearbeiteten Merkmale angesprochen. Die Beschränkung auf diese Regel- und Grundtatbestände ist durchaus üblich und ermöglicht einen relativ problemlosen Vollzug.
      • Hätten nicht nur die Kinderfreibeträge berücksichtigt, sondern auch sonstige Steuerfreibeträge einbezogen werden sollen, so hätte dies unmißverständlich zum Ausdruck gebracht werden müssen, zumal eine derartige Ausweitung einen zusätzlichen Regelungsbedarf ausgelöst hätte und zu Regelungslücken führen würde.

        • Nur für die Kinderfreibeträge schreibt § 4 Abs. 2 ZTV vor, daß es ausschließlich auf die in der Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibeträge ankommt. Auch bei den übrigen Freibeträgen auf den Inhalt der Lohnsteuerkarte abzustellen, wäre jedenfalls problematisch. Die übrigen Freibeträge erscheinen oft nicht in der Lohnsteuerkarte, sondern werden häufig erst beim Lohnsteuerjahresausgleich oder bei der Einkommensteuererklärung geltend gemacht. Auch dann kommen die Freibeträge den Steuerpflichtigen zugute mit der Folge, daß sich seine verfügbaren Mittel erhöhen. Der fehlende Eintrag in die Lohnsteuerkarte führt lediglich zu Zinsverlusten. Bei den übrigen Steuerfreibeträgen wäre die Differenzierung nach Eintrag oder Nichteintrag in die Lohnsteuerkarte zumindest ein sehr angreifbares Differenzierungsmerkmal. Ohne klare Tarifvorschrift kann eine gemessen am Rechtsgedanken des Art. 3 Abs. 1 GG äußerst fragwürdige Regelung nicht unterstellt werden.
        • Wenn es nicht auf den Inhalt der Lohnsteuerkarte, sondern auf die, wann auch immer, geltend gemachten Steuerfreibeträge ankäme, müßten die Steuerbescheide vorgelegt werden. Eine entsprechende Verpflichtung sieht der ZTV gerade nicht vor.

          Nicht nur die tarifliche und steuerrechtliche Systematik, sondern auch die Praktikabilität sprechen demnach für den Gegenschluß des Landesarbeitsgerichts. Diese Auslegung vermeidet zusätzlichen Verwaltungsaufwand und führt zu brauchbaren Ergebnissen.

  • Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2, § 98 Satz 2 ZPO.
 

Unterschriften

Kremhelmer, Bepler, Breinlinger, Horst Schmitthenner, Volker Ludwig

 

Fundstellen

AP, 0

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