Entscheidungsstichwort (Thema)

Dienstordnungs-Angestellter, Freistellung zum Zweck der Weiterbildung

 

Orientierungssatz

Hinweise des Senats: "Bestätigung der im Senatsurteil vom 21. September 1993 - 9 AZR 258/91 - vertretenen Auffassung, daß die Dienstordnung eines bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträgers die landesgesetzliche Freistellungsregelung des ArbWeitBiG NW verdrängt.

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 24.05.1991; Aktenzeichen 4 Sa 180/91)

ArbG Dortmund (Entscheidung vom 12.10.1990; Aktenzeichen 8 Ca 1698/90)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger noch Freistellungsansprüche für 10 Arbeitstage zustehen, nachdem die Beklagte sich in den Jahren 1989 und 1990 geweigert hatte, den Kläger für den Besuch von Weiterbildungsveranstaltungen nach dem nordrhein-westfälischen Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz (AWbG) von der Arbeit freizustellen.

Die Beklagte ist Trägerin der allgemeinen Unfallversicherung. Neben anderen in der Anlage 1 zu § 646 Abs. 1 RVO aufgeführten Bau-Berufsgenossenschaften ist sie für die Unternehmen der Bauwirtschaft sachlich zuständig. Ihr örtlicher Zuständigkeitsbereich umfaßt den überwiegenden Teil des Landes Nordrhein-Westfalen und die Regierungsbezirke Koblenz und Trier des Landes Rheinland-Pfalz. Der in der Bezirksdirektion Dortmund beschäftigte Kläger ist aufgrund des mit der Beklagten am 28. März 1972 geschlossenen Dienstvertrages mit Wirkung zum 1. April 1972 in das dienstordnungsmäßige Angestelltenverhältnis auf Lebenszeit übernommen worden. Im Dienstvertrag wird auf die Bestimmungen der jeweils gültigen Dienstordnung verwiesen. Die zuletzt am 23. Juni 1976 von der Vertreterversammlung der Beklagten beschlossene Dienstordnung ist vom Bundesversicherungsamt am 19. Juli 1976 genehmigt worden. In ihr ist unter anderem geregelt:

§ 3

Anwendung des Beamtenrechts

(1) Soweit nicht durch besondere gesetzliche

Vorschriften oder in dieser Dienstordnung

etwas anderes bestimmt ist, gelten für die

Rechtsverhältnisse der Angestellten die je-

weiligen Vorschriften für Bundesbeamte,

insbesondere über

1. die Pflichten der Beamten,

2. die Rechte der Beamten,

3. die Versorgung der Beamten,

entsprechend.

...

Mit Antrag vom 20. September 1989 beantragte der Kläger "Sonderurlaub gemäß AWbG" für die Zeit vom 23. Oktober bis 27. Oktober 1989, da er beabsichtige, die Bildungsveranstaltung des Ludwig-Quidde-Forums zum Thema "Einführung in die Rhetorik - Intensivseminar" zu besuchen. Die Beklagte lehnte mit der Begründung ab, das AWbG könne auf Dienstordnungsangestellte nicht angewandt werden und die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Gewährung bezahlten Sonderurlaubs nach der Verordnung über Sonderurlaub für Bundesbeamte und Richter im Bundesdienst (SUrlV) seien nicht erfüllt. Daraufhin teilte der Kläger am 19. Oktober 1989 mit, daß er "den Bildungsurlaub für das Kalenderjahr 1989 in das Kalenderjahr 1990 übertrage und im Kalenderjahr 1990 zusammengefaßt in Anspruch nehme". Am 6. Juli 1990 verlangte der Kläger daraufhin für die Zeit vom 2. bis 14. September 1990 Arbeitsbefreiung für die Veranstaltung "Computer und neue Medien - praktisch" oder zumindest für eine einwöchige Veranstaltung mit dem Thema "Umweltschutz kennt keine Grenzen - Umweltpolitik im europäischen Binnenmarkt". Am 8. August 1990 lehnte die Beklagte für beide Veranstaltungen sowohl Dienstbefreiung nach der Sonderurlaubsverordnung als auch Freistellung nach dem AWbG ab. Unabhängig von der verweigerten Freistellung konnte der Kläger an beiden Veranstaltungen schon deshalb nicht teilnehmen, weil die vorhandenen Teilnehmerplätze schon belegt waren. Schließlich beantragte der Kläger am 9. August 1990 die Freistellung von der Arbeit für die Teilnahme an der Bildungsveranstaltung "Neue Technologien - Chancen und Risiken aus gewerkschaftlicher Sicht". Dieses Wochenseminar sollte in der Zeit vom 10. bis 14. September 1990 in der internationalen Bildungsstätte Willebadessen durchgeführt werden. Auf dem vom Kläger vorgelegten Mitteilungsformular für den Arbeitgeber war als Veranstalter das DGB Bildungswerk NRW e.V. und ein Hinweis auf eine Genehmigung der Veranstaltung durch den Kultusminister nach § 9 d AWbG vom 26. Juni 1990 enthalten. Die Gewerkschaft ÖTV Bezirksverwaltung Nordrhein-Westfalen II hat den Kläger zu dem Besuch der Veranstaltung eingeladen und ihm auch mitgeteilt, daß für ihn ein Seminarplatz reserviert sei. Die Beklagte lehnte am 20. August 1990 auch diesen Antrag des Klägers ab.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe die Freistellung von der Arbeit zu Unrecht verweigert. Die in den beantragten Bildungsveranstaltungen vermittelten Kenntnisse hätte er an seinem Arbeitsplatz in der Rechnungsprüfung nutzen können.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß er für die Jahre 1989/1990

noch einen zusammengefaßten Urlaub nach dem Ar-

beitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfa-

len hat.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kläger ist vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen zuletzt gestellten Sachantrag. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision des Klägers ist zurückzuweisen. Der auf das Fortbestehen von Arbeitnehmerweiterbildungsansprüchen aus den Jahren 1989 und 1990 gerichtete Feststellungsantrag des Klägers ist zwar zulässig (§ 256 Abs. 1 ZPO), aber unbegründet. Die Beklagte ist nämlich unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, den Kläger für die Kalenderjahre 1989 und 1990 für zwei Wochen von der Arbeit zum Zweck der Arbeitnehmerweiterbildung freizustellen.

II. Im Berufungsurteil, das nach § 543 Abs. 1 ZPO den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts folgt, ist im Ergebnis zu Recht eine Anspruchsberechtigung des Klägers verneint worden.

1. Zwar ist der Kläger als in Dortmund beschäftigter Angestellter nach dem Wortlaut des § 2 Satz 1 AWbG anspruchsberechtigt, diese landesrechtliche Norm wird jedoch nach Auffassung des erkennenden Senats durch eine bundesrechtliche Dienstordnung verdrängt, soweit - wie hier - den Dienstordnungs-Angestellten materiell die gleiche Rechtsstellung wie Bundesbeamten eingeräumt wird (Senatsurteil vom 21. September 1993 - 9 AZR 258/91 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

a) Die Dienstordnung der Beklagten ist Bestandteil des Bundesrechts.

Die Dienstordnung der Beklagten zählt zum Bundesrecht, weil nach Art. 87 Abs. 2 GG die sozialen Versicherungsträger, deren räumlicher Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt, als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts geführt werden. Die Beklagte gehört als Trägerin der allgemeinen Unfallversicherung nach § 646 Abs. 1 RVO in Verbindung mit der Anlage 1 Nr. 23 zu § 646 Abs. 1 RVO zu den bundesunmittelbaren Versicherungsträgern, deren Zuständigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl., Stand September 1989, Band 3, S. 506 b; Baumer/Fischer/Salzmann, Die gesetzliche Unfallversicherung, Stand Oktober 1993, RVO § 646 Anm. 4 b; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Stand September 1992, Band 3, § 646 Rz 6).

b) Die Dienstordnung der Beklagten verstößt als sekundäre Rechtsquelle nicht gegen höherrangiges Gesetzesrecht des Bundes.

Nach § 690 RVO in Verbindung mit § 33 Abs. 1 SGB IV hat die Vertreterversammlung der Beklagten die allgemeinen Anstellungsbedingungen und die Rechtsverhältnisse der Angestellten der Berufsgenossenschaft durch eine Dienstordnung angemessen zu regeln. Die nach § 700 Abs. 2 RVO erforderliche Genehmigung des Bundesversicherungsamtes ist erteilt. Die in der Dienstordnung getroffene Verweisung auf die Vorschriften über die Rechte und Pflichten der Bundesbeamten überschreitet nicht den für die Selbstverwaltung der Versicherungsträger in § 29 Abs. 3 SGB IV gesetzten Rahmen und entspricht den maßgebenden Grundsätzen der §§ 692 bis 699 RVO.

c) Da das AWbG weitergehende Freistellungsansprüche enthält, als den Dienstordnungsangestellten durch die Verweisung in der Dienstordnung auf die Verordnung über Sonderurlaub für Bundesbeamte und Richter im Bundesdienst eingeräumt wird, verdrängt die bundesrechtliche Dienstordnung nach Art. 31 GG das Landesgesetz (vgl. Senatsurteil vom 21. September 1993 - 9 AZR 258/91 - aaO).

Eine Anspruchsberechtigung nach § 2 Satz 1 AWbG wäre mit der Dienstordnung unvereinbar. Mit der Bezugnahme auf die Sonderurlaubsverordnung sollte nämlich eine abschließende Regelung aller Freistellungsmöglichkeiten (ergänzend zur Erholungsurlaubsverordnung) getroffen werden. In dieses, den Dienstordnungsangestellten durch die Übernahme materiellen Beamtenrechts schon im Verhältnis zu anderen Angestellten besser stellende Regelungswerk hat der Landesgesetzgeber durch eine unzulässige weitere Besserstellung eingegriffen (vgl. BAGE 31, 381, 394 = AP Nr. 49 zu § 611 BGB Dienstordnungs-Angestellte).

Einer abschließenden Beurteilung des Senats zu dieser Frage bedarf es jedoch nicht, weil die Klage aus weiteren Gründen keinen Erfolg haben kann. Daher war auch die Aussetzung des Verfahrens und die Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG nicht geboten.

2. Mögliche Ansprüche aus den Jahren 1989 und 1990 auf Freistellung nach dem AWbG sind jedenfalls - wenn mit dem Kläger von der Anwendbarkeit des AWbG ausgegangen wird - spätestens mit dem 31. Dezember 1990 untergegangen. Der gesetzlich bedingte Anspruch auf Freistellung eines Arbeitnehmers von der Arbeit zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung (§ 1 Abs. 1 AWbG) ist nämlich auf das laufende Kalenderjahr befristet (vgl. Senatsurteil vom 11. Mai 1993 - 9 AZR 231/89 - EzA § 7 AWbG NW Nr. 9, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; Senatsurteil vom 15. Juni 1993 - 9 AZR 411/89 - DB 1993, 2236). Im Streitfall hat der Kläger am 19. Oktober 1989, also vor Ablauf des Bildungsurlaubsjahres 1989, erklärt, die Ansprüche der Jahre 1989 und 1990 zusammenfassen zu wollen. Somit sind zwar die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen, die an eine Zusammenfassungserklärung nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AWbG zu stellen sind (vgl. BAG Urteil vom 11. Mai 1993 - 9 AZR 126/89 - EzA § 3 AWbG NW Nr. 1) erfüllt, der zusammengefaßte Anspruch ist jedoch mit Ablauf des zweiten Jahres, am 31. Dezember 1990, verfallen.

3. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger zur Entschädigung für die untergegangenen Weiterbildungsansprüche ersatzweise 10 Tage Freistellung von der Arbeit zu gewähren. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteile vom 15. Juni 1993 - 9 AZR 65/90 - BB 1993, 2158, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen, vom 24. August 1993 - 9 AZR 240/90 - und vom 21. September 1993 - 9 AZR 258/91 -, jeweils zur Veröffentlichung vorgesehen) setzt ein Schadenersatzanspruch voraus, daß der Arbeitgeber mit der Gewährung der Freistellung nach dem AWbG in Verzug geraten war und infolge des Verzuges der Anspruch untergegangen ist (§§ 284 Abs. 1, 286 Abs. 1, § 287 Satz 2 BGB).

a) Durch die Ablehnung der Freistellung von der Arbeit zum Besuch der Veranstaltung "Computer neue Medien - praktisch" in der Zeit vom 2. bis 14. September 1990 und für die Veranstaltung "Umweltschutz kennt keine Grenzen - Umweltpolitik im europäischen Binnenmarkt" vom 4. bis 9. November 1990 kann dem Kläger kein Schaden entstanden sein, da nach dem eigenen Vorbringen des Klägers in Ermangelung freier Teilnahmeplätze eine Arbeitsbefreiung zum Besuch dieser Bildungsveranstaltungen nicht möglich war.

b) Durch die endgültige Ablehnung der Freistellung nach dem AWbG am 20. August 1990 ist die Beklagte nicht in Schuldnerverzug geraten.

Ein zusammengefaßter Arbeitnehmerweiterbildungsanspruch darf nur zur Teilnahme an einer mehr als fünftägigen Bildungsveranstaltung oder mehreren zusammenhängenden Veranstaltungen von insgesamt mehr als fünftägiger Dauer genutzt werden (BAG Urteil vom 11. Mai 1993 - 9 AZR 126/89 - aaO). Der Kläger hat nur eine fünftägige Arbeitsbefreiung für die Zeit vom 10. bis 14. September 1990 beantragt. Er hat nicht dargelegt, die fünf weiteren Tage für andere thematisch zusammenhängende Bildungsveranstaltungen nutzen zu wollen. Deshalb könnte er mit seinem Freistellungsantrag die Beklagte allenfalls wegen eines Arbeitnehmerweiterbildungsanspruchs aus dem laufenden Kalenderjahr in Verzug gesetzt haben.

Die Beklagte ist durch die verweigerte Freistellung für das Wochenseminar vom 10. bis 14. September 1990 nicht in Verzug geraten; denn der Kläger hat nicht hinreichend dargelegt, daß die gesetzlichen Voraussetzungen eines Freistellungsanspruches für den Besuch dieser Veranstaltung gegeben waren.

Nach § 9 Satz 1 AWbG setzt der gesetzliche Anspruch auf Freistellung von der Arbeit voraus, daß die Bildungsveranstaltung der beruflichen und politischen Weiterbildung dient (§ 1 Abs. 2 AWbG) und von einem anerkannten Träger angeboten sowie durchgeführt wird. Der Arbeitnehmer als Anspruchsteller trägt die Darlegungslast für diese anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale (BAGE 65, 352 = EzA § 7 AWbG NW Nr. 5).

Im vorliegenden Verfahren ist nicht erkennbar, daß das Seminar von einer anerkannten Einrichtung der Weiterbildung durchgeführt worden ist. Das Seminar wurde jedenfalls nicht allein von dem Verein DGB Bildungswerk NRW durchgeführt, wie dies auf der Mitteilung für den Arbeitgeber angegeben ist. Zumindest war die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, Bezirksverwaltung Nordrhein-Westfalen II - Referat Technologiepolitik -, an der Durchführung beteiligt, weil ausweislich des von dem Kläger vorgelegten Einladungsschreibens diese Stelle bestimmenden Einfluß darauf hatte, wer an dem Seminar teilnimmt. Sind an einer Bildungsveranstaltung zwei Einrichtungen beteiligt, so kommt es für die Frage, welche Einrichtung die Veranstaltung durchführt, auf die tatsächlichen Umstände an. Der Kläger hat aber keine Tatsachen dazu vorgetragen, wie die Arbeitsteilung zwischen der Gewerkschaft und dem DGB Bildungswerk NRW e.V. war. Es läßt sich somit nicht klären, ob das Bildungswerk als anerkannte Einrichtung der Weiterbildung in anderer Trägerschaft im Sinne von § 9 Satz 1 a AWbG oder als Adressat der nach § 9 Satz 1 d AWbG erteilten Genehmigung das Seminar durchführen sollte.

III. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Dr. Leinemann Dörner Düwell

Sperl Arntzen

 

Fundstellen

Haufe-Index 441802

BB 1993, 2161

GdS-Zeitung 1994, Nr 8, 15 (KT)

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