Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnsicherung bei Wechsel der Beschäftigung

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Rationalisierungsmaßnahme führt nicht zu einem Wechsel der Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs 1 Tarifvertrag über den Rationalisierungsschutz für Arbeiter des Bundes und der Länder vom 9. Januar 1987, wenn der Arbeiter nach § 9 Abs 2 MTL 2 verpflichtet ist, die neue Tätigkeit anzunehmen.

 

Normenkette

TVG § 1; MTL § 9 Abs. 2; MTL 2 § 9 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 17.06.1991; Aktenzeichen 2 Sa 528/90)

ArbG Lübeck (Entscheidung vom 09.10.1990; Aktenzeichen 3 b Ca 1692/90)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger wegen Änderung seiner Arbeitsbedingungen ein Anspruch auf Lohnsicherung zusteht.

Der Kläger ist seit dem 1. November 1971 bei dem beklagten Land als Kraftfahrer tätig. Zunächst war er bei der Polizeiinspektion L eingesetzt, seit 1. April 1976 ist er an die Polizeidirektion S versetzt. Nach § 2 des Arbeitsvertrags vom 9. Oktober 1971 bestimmt das Arbeitsverhältnis sich nach dem Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder (MTL II) vom 27. Februar 1964 und den diesen ergänzenden, ändernden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträgen.

Der Kläger war mit Ausnahme der Einarbeitungszeit bis zum 8. April 1990 im Wechselschichtdienst tätig. Wegen einer Beanstandung durch den Landesrechnungshof wurden durch schriftliche Weisung des Leiters der Polizeidirektion S vom 2. April 1990 die Dienstzeiten des Klägers und der anderen vier im Schichtdienst eingesetzten Kraftfahrer der Beschäftigungsdienststelle mit Wirkung vom 9. April 1990 dahingehend geändert, daß der Einsatz nur noch im Tagesdienst stattfindet. Damit ist für den Kläger die Schichtzulage von durchschnittlich 270,-- DM brutto monatlich entfallen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Weisung vom 2. April 1990 stelle eine unter § 1 Abs. 1 des Tarifvertrags über den Rationalisierungsschutz für Arbeiter des Bundes und der Länder vom 9. Januar 1987 (TV RatArb) fallende wesentliche Änderung der Arbeitsorganisation und einen Wechsel in seiner Beschäftigung dar. Er hat von dem beklagten Land Lohnsicherung nach diesem Tarifvertrag verlangt und hilfsweise um Feststellung der Unwirksamkeit der Weisung gebeten.

Der Kläger hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an ihn mit Wir-

kung vom 9. April 1990 an einen Lohnsicherungsbe-

trag gem. § 6 des Tarifvertrages über den Ratio-

nalisierungsschutz für Arbeiter des Bundes und

der Länder zu zahlen,

hilfsweise festzustellen, daß die Herausnahme des

Klägers aus dem Wechselschichtdienst ab 9. April

1990 unwirksam ist.

Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, die Weisung vom 2. April 1990 sei von seinem Direktionsrecht gedeckt, da im Arbeitsvertrag keine Schichtarbeit vereinbart sei. Ein Wechsel der Beschäftigung i. S. des § 1 TV RatArb liege nicht vor, weil der Kläger nach wie vor als Kraftfahrer beschäftigt werde.

Das Arbeitsgericht hat dem Hilfsantrag stattgegeben und die Klage im übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht die Klage auch insoweit abgewiesen, als das Arbeitsgericht ihr stattgegeben hatte. Die Anschlußberufung des Klägers, mit der dieser seinen Hauptantrag hilfsweise weiterverfolgt hat, hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge in der ursprünglichen Reihenfolge weiter, während das beklagte Land um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Die Klage ist zulässig. Zwar hat der Kläger in der Revisionsinstanz die Reihenfolge der Anträge erneut geändert, indem er zur erstinstanzlichen Antragstellung zurückgekehrt ist. Darin liegt jedoch keine unzulässige Klageänderung. Es ist prozessual zulässig, in der Revisionsinstanz den früheren Hauptantrag als Hilfsantrag und umgekehrt den früheren Hilfsantrag als Hauptantrag zu stellen, sofern die Anträge qualitativ und quantitativ nicht verändert werden (BAG Urteil vom 4. Mai 1977 - 4 AZR 755/75 - AP Nr. 17 zu § 611 BGB Bergbau). So liegt der Fall hier, denn neue klagebegründende Tatsachen hat der Kläger nicht vorgetragen.

II. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Lohnsicherung nach § 6 TV RatArb, so daß der nunmehr wieder als Hauptantrag gestellte Klageantrag zu 1), den das Landesarbeitsgericht offenbar, und zwar zu Recht, als zulässigen Feststellungsantrag angesehen hat, unbegründet ist. Das gleiche gilt für den hilfsweise gestellten weiteren Feststellungsantrag.

1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß die Weisung des beklagten Landes für den Kläger nicht zu einem Wechsel der Beschäftigung i. S. des § 1 Abs. 1 TV RatArb geführt hat. Ein Wechsel der Beschäftigung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer nur zu wesentlich veränderten Bedingungen an seinem bisherigen oder einem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben. Das beklagte Land konnte den Kläger statt wie bisher im Wechselschichtdienst künftig im Tagesdienst einsetzen, ohne daß es einer Änderung der vereinbarten Arbeitsbedingungen bedurfte, der Kläger war bereits nach § 9 Abs. 2 MTL II verpflichtet, die Tätigkeit im Tagesdienst anzunehmen.

a) Die einseitige Änderung einzelner Vertragsbedingungen ist nur zulässig, soweit einem Vertragspartner das Recht hierzu durch Vertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag eingeräumt ist (BAG Urteile vom 14. November 1990 - 5 AZR 510/89 - und - 5 AZR 464/89 -, jeweils unveröffentlicht). Im öffentlichen Dienst, in dem die Arbeitnehmer in eine bestimmte Vergütungsgruppe eingestuft sind, kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer grundsätzlich jede zumutbare Beschäftigung im Rahmen der Vergütungsgruppe zuweisen (Senatsurteil vom 9. Februar 1989 - 6 AZR 174/87 - BAGE 61, 77, 83 = AP Nr. 4 zu § 2 BeschFG 1985, zu B II 3 der Gründe, m.w.N.). Der hier anzuwendende Tarifvertrag trifft hinsichtlich des Direktionsrechts des beklagten Landes eine besondere Regelung. Nach § 9 Abs. 2 MTL II hat der Arbeiter jede ihm übertragene, seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechende Arbeit anzunehmen, sofern sie ihm billigerweise zugemutet werden kann und sein allgemeiner Lohnstand nicht verschlechtert wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind solche tarifvertraglichen Erweiterungen des Direktionsrechts möglich (vgl. z. B. BAGE 48, 351 = AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn).

b) Dem Kläger ist billigerweise zuzumuten, als Kraftfahrer künftig ausschließlich im Tagesdienst zu arbeiten, statt, wie bisher, im Wechselschichtdienst.

Zwar fallen dadurch für den Kläger einzelne Tätigkeiten weg, dafür sind jedoch andere hinzugetreten. Dies führt nicht zu einer Änderung des Gesamtbildes der Beschäftigung als Kraftfahrer, zumal für einen Kraftfahrer untypische Beschäftigungen, wie der Wachdienst und die Entgegennahme und Aushändigung sichergestellter Fahrzeuge und Gegenstände entfallen und dafür berufstypische Fahrertätigkeiten hinzugekommen sind.

Auch die Verlegung der Arbeitszeit des Klägers ist nicht unbillig. Das Bundesarbeitsgericht hat in dem Urteil vom 23. Juni 1992 - 1 AZR 57/92 - (AP Nr. 1 zu § 611 BGB Arbeitszeit) sogar den ungünstigeren Wechsel von einem Einschichtbetrieb (Arbeitszeit 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr) zu einem Mehrschichtbetrieb mit wechselnder Arbeitszeit (6.00 Uhr bis 15.00 Uhr, 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr und 13.00 Uhr bis 22.00 Uhr) für angemessen erachtet. Demgegenüber wechselt der Kläger aus dem erfahrungsgemäß stärker belastenden Wechselschichtdienst in den normalen Tagesdienst. Der Einwand des Klägers, er habe seinen Lebensrhythmus auf den Schichtdienst eingestellt, so daß Anpassungsschwierigkeiten in gesundheitlicher wie in familiärer und kultureller Hinsicht auftreten würden, ist demgegenüber nicht substantiiert. Der Kläger hat keine Tatsachen behauptet, aus denen sich ergibt, warum ihm der zeitliche Wechsel nicht zugemutet werden kann, so daß der Senat hätte erkennen können, weshalb die Anordnung des beklagten Landes unbillig gewesen sein soll.

c) Durch den Wegfall der Schichtzulagen hat sich der allgemeine Lohnstand des Klägers nicht verschlechtert. Unter dem allgemeinen Lohnstand ist die Lohngruppe zu verstehen, die mit dem Arbeiter vereinbart worden war oder nach der er aufgrund der von ihm ausgeübten Tätigkeit zu vergüten ist. Nicht darunter fällt eine Zulage für eine besondere Leistung, z. B. Lehrgesellenzulagen, Vorarbeiter- oder Vorhandwerkerzulage, welche die Eingruppierung nicht berührt (BAG Urteil vom 27. November 1985 - 4 AZR 433/84 - AP Nr. 8 zu § 9 MTB II). Auch die nach § 29 a MTL II zu zahlende Wechselschichtzulage ist somit, da sie nicht zur Lohngruppe des Klägers gehört, nicht für dessen allgemeinen Lohnstand bestimmend. Übt der Kläger die ihm billigerweise innerhalb der Lohngruppe übertragene Tätigkeit nicht in Wechselschicht aus, steht ihm die Wechselschichtzulage nicht zu. An seinem allgemeinen Lohnstand ändert dies nichts.

d) Das Weisungsrecht des beklagten Landes nach § 9 Abs. 2 MTL II war nicht durch den Arbeitsvertrag zugunsten des Klägers (§ 4 Abs. 3 TVG) eingeschränkt. Die Tätigkeit im Wechselschichtdienst war nicht Bestandteil des Arbeitsvertrags mit dem Kläger geworden.

Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zutreffend angenommen, daß eine Konkretisierung auf die Beschäftigung im Wechselschichtdienst nicht durch reinen Zeitablauf eintreten konnte (BAG Urteile vom 7. September 1972 - 5 AZR 12/72 - AP Nr. 2 zu § 767 ZPO; vom 19. Juni 1985 - 5 AZR 57/84 - AP Nr. 11 zu § 4 BAT). Vielmehr hätten weitere Umstände hinzutreten müssen, aus denen sich ergab, daß der Arbeitnehmer auch in Zukunft seine Arbeitsleistung nur zu einer bestimmten Zeit erbringen sollte (BAG Urteile vom 7. September 1972 - 5 AZR 12/72 - AP Nr. 2 zu § 767 ZPO; vom 19. Juni 1985 - 5 AZR 57/84 - AP Nr. 11 zu § 4 BAT). Solche Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere enthält der Arbeitsvertrag dazu keine Vereinbarung.

Das der Einstellung vorausgegangene Schreiben der Landespolizei Schleswig-Holstein vom 19. Oktober 1971 konkretisierte die Beschäftigungspflicht nicht. Das Schreiben enthält eine Einstellungszusage mit einer groben Skizzierung der Bedingungen des noch abzuschließenden Arbeitsvertrags. Dieser nimmt die Zusage in dem Einstellungsschreiben auf, soweit der Kläger in die Lohngruppe VI MTL II eingruppiert wird. Darüber hinaus verweist der Arbeitsvertrag auf die Bestimmungen des MTL II und bestimmt in § 5, daß Nebenabreden nicht getroffen sind. Die Beschäftigung des Klägers ausschließlich in Wechselschicht ist damit nicht Vertragsinhalt geworden. Hat ein Arbeitnehmer aus persönlichen Gründen an einer bestimmten, von der betriebsüblichen Arbeitszeit abweichenden Lage der Arbeitszeit Interesse, muß er dies mit dem Arbeitgeber gesondert vereinbaren (vgl. BAG Urteil vom 23. Juni 1992 - 1 AZR 57/92 - AP, aa0). Der auf Übernahme in den Schichtdienst gerichtete Hinweis im Schreiben vom 19. Oktober 1971 stellt somit nur die Ankündigung des beklagten Landes dar, es werde von den tariflich vereinbarten Einsatzmöglichkeiten bis auf weiteres die des Schichtdienstes wählen.

2. Ein den Lohnsicherungsanspruch nach dem TV RatArb auslösender Wechsel der Beschäftigung liegt nicht vor, wenn der Arbeiter aufgrund des § 9 Abs. 2 MTL II verpflichtet ist, eine Arbeit anzunehmen. Dies folgt aus § 6 Abs. 1 TV RatArb.

Nach dieser Bestimmung ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeiter den Lohn zu wahren, wenn sich in den Fällen des § 3 Abs. 2 und 3 TV RatArb eine Lohnminderung ergibt. Die Voraussetzungen der hier allein in Betracht zu ziehenden Bestimmung des § 3 Abs. 2 TV RatArb sind jedoch nicht erfüllt. Nach § 3 Abs. 2 Unterabs. 1 TV RatArb ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer einen mindestens gleichwertigen Arbeitsplatz zu sichern. Gleichwertig i. S. des Unterabs. 1 ist ein Arbeitsplatz, wenn sich durch die neue Tätigkeit die bisherige Einreihung nicht ändert und der Arbeiter in der neuen Tätigkeit vollbeschäftigt bzw. in bisherigem Umfang nicht vollbeschäftigt ist. Die Anwendung des § 3 Abs. 2 TV RatArb kommt deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei der Tätigkeit des Klägers im Tagesdienst nicht um eine neue Tätigkeit i. S. dieser Bestimmung handelt. Wie sich aus § 3 Abs. 6 und § 5 Abs. 2 TV RatArb ergibt, muß es sich bei dem angebotenen Arbeitsplatz, soll er eine Lohnsicherungspflicht des Arbeitgebers auslösen, um einen Arbeitsplatz handeln, den der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht schon allein aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung übertragen kann. Daran fehlt es hier. Im Hinblick auf sein durch § 9 Abs. 2 MTL II erweitertes Direktionsrecht konnte das beklagte Land dem Kläger die Tätigkeit im Tagesdienst unabhängig davon übertragen, ob es sich bei der Umorganisation um eine Rationalisierungsmaßnahme i. S. des § 1 Abs. 1 TV RatArb handelte. Diese Frage konnte der Senat somit offen lassen.

3. Der Hilfsantrag des Klägers ist aus den Erwägungen unter Ziffer 1 unbegründet.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Peifer Kremhelmer Dr. Armbrüster

Fürbeth Mergenthaler

 

Fundstellen

Haufe-Index 440717

DB 1993, 2600-2601 (LT1)

NZA 1993, 1139

NZA 1993, 1139-1140 (LT1)

ZTR 1993, 421-422 (LT1)

AP § 9 MTB II (LT1), Nr 2

PersV 1994, 558 (L)

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