Entscheidungsstichwort (Thema)

Übergangsfrist für Witwerrente

 

Normenkette

EWGVtr Art. 119; GG Art. 3 Abs. 2-3; BGB § 242

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 03.12.1987; Aktenzeichen 4 b Sa 43/87)

ArbG Heilbronn (Urteil vom 30.07.1987; Aktenzeichen 2 Ca 86/87 C)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 3. Dezember 1987 – 4b Sa 43/87 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn (Kammer Crailsheim) vom 30. Juli 1987 – 2 Ca 86/87 C geändert:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für die Zeit ab 1. Juli 1987 jeweils am Monatsende eine monstliche Rente von 112,50 DM zu zahlen.
  2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 1.856,25 DM rückständige Witwerrente für die Zeit vom 14. Februar 1986 bis 30. Juni 1987 zu zahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten eine Witwerrente.

Die Ehefrau des Klägers war bis zu ihrem Tode am 18. November 1985 bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte gewährt ihren Mitarbeitern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung aufgrund einer von ihr erlassenen Versorgungsordnung von November 1975. Mit Schreiben vom 12. Dezember 1975 erhielt die Ehefrau des Klägers eine Versorgungszusage über eine Altersrente, die später auf 150,– DM monatlich erhöht wurde. Die Versorgungsordnung sieht für männliche Mitarbeiter eine Alters-, Witwen- und Waisenrente vor, für weibliche Mitarbeiter nur eine Albers- und Waisenrente. Die Witwenrente beträgt 75 % derjenigen Rente, die der Mitarbeiter im Zeitpunkt seines Todes bereits bezog oder hätte beziehen können. Gemäß Nr. 8 der Versorgungsordnung entsteht der Anspruch auf die Rente mit dem Versorgungsfall, jedoch nicht vor dem Zeitpunkt, zu dem Zahlungen von Lohn und Gehalt enden.

Nach dem Tod seiner Ehefrau erhielt der Kläger von der Beklagten Lohnfortzahlung bis zum 13. Februar 1986. Er forderte die Beklagte mit Schreiben vom 29. April 1986 auf, ihm eine Witwerrente in Höhe von 75 % der seiner Ehefrau zugesagten Altersrente, monatlich also 112,50 DM zu zahlen. Die Beklagte lehnte dies ab. Mit der Klage hat der Kläger die Rente für die Zeit ab 14. Februar 1986 verlangt, und zwar bis zum 30. Juni 1987 als Rückstände und für die Zeit ab 1. Juli 1987 als laufende Leistung. Das Begehren des Klägers ist der Höhe nach rechnerisch richtig und hinsichtlich der für einen Anspruch auf Witwenrente nach der Versorgungsordnung erforderlichen weiteren Voraussetzungen unbestritten.

Der Kläger hat geltend gemacht, ungeachtet des Ausschlusses in der Versorgungsordnung stehe ihm die gleiche Hinterbliebenenversorgung zu wie einer Witwe, also 75 % des Ruhegelds, das seine verstorbene Ehefrau hätte erreichen können. Die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen sei unzulässig. Die andere Beurteilung der Rechtslage in der gesetzlichen Rentenversicherung sei auf die betriebliche Altersversorgung nicht übertragbar. Auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetzes vom 11. Juli 1985 (HEZG – BGBl I S. 1450), also den 1. Januar 1986, könne hier außerdem schon deshalb nicht abgestellt werden, weil der Versorgungsfall erst mit dem Ende der Lohnfortzahlung, also am 14. Februar 1986, eingetreten sei.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn

  1. ab 1. Juli 1987 für die Zukunft 113,50 DM monatlich, zahlbar jeweils zum Monatsende,
  2. rückständige Witwerrentenbezüge für den Zeitraum vom 14. Februar 1986 bis 30. Juni 1987 in Höhe von 1.856,25 DM

zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, das Gebot der Gleichbehandlung von Witwen und Witwern gelte in der betrieblichen Altersversorgung ebenso wie in der gesetzlichen Rentenversicherung erst ab 1. Januar 1986. Da die Ehefrau des Klägers schon vorher verstorben sei, stehe dem Ehemann kein Rentenanspruch zu. Es müsse ihr eine Anpassungsfrist über den 1. Januar 1986 hinaus zugebilligt werden, da sie überwiegend weibliche Arbeitskräfte beschäftige und die Witwerrente sie stark belaste. Im übrigen sei der Anspruch gemäß § 19 des Manteltarifvertrags für die Schuhindustrie des Bundesgebiets in der ab 1. Januar 1985 geltenden Fassung verfallen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die verlangte Witwerrente zu zahlen.

I. Der Kläger kann die gleiche Hinterbliebenenrente verlangen wie Witwen männlicher Arbeitnehmer der Beklagten. Der Ausschluß der Witwerrente in der Versorgungsordnung der Beklagten in der Fassung vom 24. Oktober 1979 verstößt gegen den Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Die Ungleichbehandlung kann nur dadurch beseitigt werden, daß die diskriminierende Versorgungsordnung um einen Anspruch auf Zahlung einer Hinterbliebenenrente für Witwer ergänzt und dem Kläger ein Zahlungsanspruch zuerkannt wird, wie er einer Witwe zustünde.

1. Es verstößt gegen Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG, gegen das Lohngleichheitsgebot des Art. 119 EWG-Vertrag und gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn in einem Unternehmen männlichen Arbeitnehmern eine Hinterbliebenenversorgung zugesagt wird, den weiblichen Arbeitnehmern aber nicht. Da nach Art. 3 Abs. 2 GG Männer und Frauen gleichberechtigt sind und Art. 3 Abs. 3 GG es verbietet, jemanden u. a. wegen seines Geschlechts zu benachteiligen, ist es von verfassungswegen verboten Männern günstigere Versorgungszusagen zu geben als Frauen. Von einer ausnahmsweise biologisch oder funktional zwingend gebotenen unterschiedlichen Behandlung der Geschlechter kann keine Rede sein. Ebenso ist es nach europäischem Recht verboten, Männern und Frauen für die gleiche Arbeit einen unterschiedlichen Lohn zu zahlen.

Diese allgemein anerkannten Grundsätze gelten auch für betriebliche Versorgungsordnungen. Frauen müssen die gleichen beruflichen Chancen haben wie Männer. Zudem sind Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht bloß fürsorgerisch bestimmte Wohltaten des Arbeitgebers, sondern Arbeitsentgelt für die vom Arbeitnehmer als Vorleistung und in Erwartung der zugesagten Versorgung erbrachte Betriebstreue. Darum verletzt es das Gebot der Lohngleichheit für Männer und Frauen, wenn Frauen ungünstigere Versorgungszusagen erhalten als Männer, ihnen etwa im Gegensatz zu den Männern eine Hinterbliebenenversorgung vorenthalten wird (vgl. zum ganzen BVerfGE 6, 55; 17, 1; 39, 69; EuGH Urteil vom 13. Mai 1986 – Rs 170/84 – AP Nr. 10 zu Art, 119 EWG-Vertrag; BAGE 53, 161 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag, jeweils m.w.N.).

2. Der Verstoß gegen die Pflicht zur Gleichbehandlung hat zur Folge, daß die diskriminierende Regelung unwirksam ist (§ 134 BGB). Die Nichtigkeit der Versorgungsordnung in einzelnen Punkten führt aber nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Versorgungsordnung (§ 139 BGB), sie bewirkt nur, daß an die Stelle der unwirksamen Vereinbarung die gesetzliche Regelung tritt (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. BAGE 53, 161 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu III 1 der Gründe, m.w.N.).

II. Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts überzeugt nicht.

Das Berufungsgericht hat angenommen, im Falle der Teilnichtigkeit einer betrieblichen Versorgungsordnung obliege es dem Arbeitgeber, durch eine Neuregelung die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen zu beseitigen. Mit dem Prinzip der Privatautonomie sei es unvereinbar, dem Witwer einen Anspruch zuzubilligen, weil dadurch die rechtsgeschäftliche Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers zu sehr eingeschränkt werde. Das gelte auch für die gebotene ergänzende Vertragsauslegung einer teilweise lückenhaften Versorgungsordnung.

1. Es kann offen bleiben, ob der Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter im Privatrecht unmittelbar gilt. Auch eine ergänzende Vertragsauslegung könnte nur dazu führen, daß die Diskriminierung beseitigt wird, was aber nicht möglich ist, ohne der benachteiligten Gruppe der Arbeitnehmer die gleichen Rechte einzuräumen wie den Bevorzugten. Dies läßt sich nur erreichen, indem man den weiblichen Arbeitnehmern die gleichen Entgeltansprüche, also auch die gleichen Versorgungsrechte, zubilligt wie den männlichen Arbeitnehmern.

2. Die Beklagte macht geltend, eine ergänzende Vertragsauslegung scheitere daran, daß die Ehefrau des Klägers bereits verstorben sei. Eine ergänzende Vertragsauslegung setzt jedoch nicht voraus, daß beide Vertragsteile noch leben und Willenserklärungen abgeben können: Während die Auslegung eines Vertrags ermittelt, welches der Vertragsinhalt ist, stellt die ergänzende Vertragsauslegung fest, was die Vertragspartner vereinbart hätten, wäre ihnen die Vertragslücke bewußt geworden. Es geht hierbei nicht um die Herbeiführung einer Einigung, sondern um die hypothetische Ergänzung einer unvollständigen vertraglichen Regelung nach den Maßstäben von Recht, und Billigkeit.

III. Die Beklagte stellt ihre Pflicht zur Gleichbehandlung für die Zukunft nicht in Abrede. Für die Zeit vor dem 1. Januar 1986 sei sie dazu aber nicht verpflichtet. Es sei allgemeine Rechtsanschauung gewesen, daß eine Witwerrente nicht geschuldet werde. Hierauf habe sie vertrauen dürfen. In seinem Urteil vom 12. März 1975 (BVerfGE 39, 169) habe das Bundesverfassungsgericht eine unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen in der gesetzlichen Hinterbliebenenversorgung für zulässig erachtet. Es habe nur den Gesetzgeber aufgefordert, durch eine Neuregelung dem sich wandelnden Erwerbsverhalten der Frauen Rechnung zu tragen und eine in der Zukunft zu erwartende Ungleichbehandlung zu vermeiden. Erst nachdem der Gesetzgeber durch das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetz vom 11. Juli 1985 (HEZG – BGBl I S. 1450) mit Wirkung vom 1. Januar 1986 diesem Verfassungsauftrag nachgekommen sei, habe sie ihr betriebliches Versorgungssystem überprüfen und an die neue Rechtslage anpassen können. Da die Ehefrau des Klägers schon am 18. November 1985 verstorben sei, könne der Kläger keine Hinterbliebenenversorgung verlangen.

Das Berufungsgericht ist dieser Argumentation gefolgt; Für die betriebliche Altersversorgung könne nichts anderes gelten als für das Recht der gesetzlichen Sozialversicherung. Der Wandel der Ansichten über die Rolle der Frau in Beruf und Familie müsse in der verfassungsrechtlichen Beurteilung dazu führen, daß die gleiche zeitliche Wendemarke zu setzen sei. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber in seinem Urteil vom 12. März 1975 den 1. Januar 1985 als Änderungszeitpunkt vorgegeben. Dabei handele es sich aber nicht um eine starre Stichtagsregelung. Wenn es dem Gesetzgeber nicht gelungen sei, die Frist einzuhalten, könne man das auch nicht für die betriebliche Altersversorgung fordern. Bis zum 1. Januar 1986 sei der Ausschluß der Witwerrente noch mit dem Gleichheitsgebot vereinbar.

Die Auffassung des Berufungsgerichts entspricht der überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte und der Literatur (vgl. die Zusammenstellung bei Hill/Klein, BB 1989, 387 ff.). Seine Begründung überzeugt jedoch nicht. Nach Auffassung des Senats kann eine Übergangsfrist für die Einführung einer Witwerrente in betrieblichen Versorgungssystemen nicht anerkannt werden. Keinesfalls könnte eine solche Frist bis zum 1. Januar 1986 reichen.

1. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in dem Urteil vom 12. März 1975 (aaO) lassen sich nicht auf betriebliche Versorgungssysteme übertragen.

a) Das Bundesverfassungsgericht hatte zu beurteilen, ob eine unterschiedliche Behandlung von Witwen und Witwern bei der Hinterbliebenenversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung noch dem Gebot der Gleichbehandlung von Männern und Frauen genügte. Das Gericht hat es – für die Vergangenheit – gebilligt, daß der Gesetzgeber vom Unterhaltsersatzcharakter der gesetzlichen Hinterbliebenenrente ausgegangen ist und den Rentenanspruch des Mannes davon abhängig gemacht hat, daß die verstorbene Ehefrau den Unterhalt der Familie überwiegend bestritt. Die Prüfung des Bundesverfassungsgerichts betrifft mithin die verfassungsrechtlich gebotene Regelung der Unterschiede „im Bedarf nach Unterhalt bei Witwe und Witwer” (aaO, zu E II 2 b und c der Gründe).

b) Um eine unterschiedliche Behandlung bei der Deckung eines Unterhalts- oder Versorgungsbedarfs geht es jedoch in der betrieblichen Altersversorgung vorrangig nicht. Anders als in der gesetzlichen Rentenversicherung wird hier nicht in einem komplexen System differenzierter Beitragspflichten ein Bedarf der vorangegangenen Generation gedeckt. Leistungen der betrieblichen Altersversorgung sind in erster Linie eigener Lohn des berechtigten Arbeitnehmers, den er als Gegenleistung für die im Arbeitsverhältnis erbrachte Betriebstreue erhält. Der Arbeitnehmer erwirbt für sich selbst und, falls zugesagt, zugunsten seiner Hinterbliebenen Versorgungsansprüche, die im Versorgungsfall zu erfüllen sind (ständige Rechtssprechung des BAG, spätestens seit Urteil vom 10. März 1972, BAGE 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt; gebilligt durch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1983, BVerfGE 65, 196, 210 = AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, zu C II 1 b der Gründe).

Damit stellt sich in der betrieblichen Altersversorgung die Frage, ob den Frauen übergangsweise ein Teil des Lohns vorenthalten werden darf, der den Männern unter im übrigen gleichen Voraussetzungen gewährt wird. Hierzu hat sich das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil vom 12. März 1975 nicht geäußert. Die Frage der Lohngleichheit von Mann und Frau war nicht Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung. Aus der Zulässigkeit einer Anpassungsfrist in der gesetzlichen Rentenversicherung kann daher nicht abgeleitet werden, eine gleiche Frist müsse auch in der betrieblichen Altersversorgung gelten.

c) Der Beklagten ist einzuräumen, daß Leistungen der betrieblichen Altersversorgung auch Versorgungscharakter haben. Sie sollen eine Zusatzversorgung der begünstigten Arbeitnehmer nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und eine zusätzliche Sicherung der Hinterbliebenen im Todesfall gewährleisten. Das Landesarbeitsgericht Hamm (Urteil vom 25. Januar 1983 – 6 Sa 1410/82 – NJW 1983, 1510) hat hieraus gefolgert, wie in der gesetzlichen Rentenversicherung wirkten sich Änderungen im Versorgungsbedarf auch in betrieblichen Versorgungssystemen aus; der Arbeitgeber dürfe Leistungen von einem typischen Versorgungsbedarf abhängig machen und daher – bis zum Ablauf einer Übergangsfrist – auch den Mann als den typischen Ernährer der Familie gegenüber der Frau bevorzugen. Das Abstellen auf den typischen Versorgungsbedarf sei der betrieblichen Altersversorgung durchaus geläufig. Der Zusammenhang von Leistung und Bedarf werde nicht nur in der Hinterbliebenenversorgung, sondern auch in Systemen mit Anrechnungsklauseln und Höchstbegrenzungen sowie in Gesamtversorgungssystemen besonders deutlich.

Auch diese Begründung rechtfertigt keine Übergangsfrist. Sie trägt nicht die ungleiche Behandlung der Geschlechter beim Arbeitsentgelt. Richtig ist, daß der Arbeitgeber seine Leistungen von einem typischen Versorgungsbedarf abhängig machen und die Höhe seiner Zuwendungen hiernach ausrichten darf. Damit kann, gemessen an dem, was der Arbeitnehmer in Gestalt von Betriebstreue als Vorleistung erbringt, eine Ungleichbehandlung im Einzelfall verbunden sein. Solche Ungleichbehandlungen sind „systemimmanent”, für sie lassen sich regelmäßig sachliche Gründe anführen (Art. 3 Abs. 1 GG, § 242 BGB). Es ist einem Arbeitgeber nicht verwehrt, die Versorgung seiner Arbeitnehmer auf einem einheitlichen Niveau anzustreben. Im Vergleich von Männern und Frauen gilt jedoch ein strengerer Maßstab (Art. 3 Abs. 2 GG, Art. 119 EWG-Vertrag). Eine unterschiedliche Behandlung müßte biologisch oder funktional zwingend geboten sein (vgl. auch dazu Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1975).

Das bedeutet für die betriebliche Altersversorgung: Der Arbeitgeber darf Männern und Frauen eine Gesamtversorgung zusagen, er darf beiden eine Hinterbliebenenversorgung zusagen und er darf grundsätzlich die Hinterbliebenenversorgung auch davon abhängig machen, daß der oder die Begünstigte im Einzelfall die Hinterbliebenen ganz oder überwiegend versorgt hat. Der Arbeitgeber darf also bei Männern und Frauen gleichermaßen auf den Versorgungsbedarf abstellen. Aber er darf der Frau nicht den Lohn kürzen, weil sie – typischerweise – für den höheren Lohn keinen Bedarf habe (ebenso Urteil des Senats vom 10. Januar 1989 – 3 AZR 308/87 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 2 c der Gründe).

2. Die Beklagte kann eine Übergangsfrist nicht aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes herleiten.

a) Als Begründung für die Notwendigkeit einer Übergangsfrist wird geltend gemacht, der Ausschluß der Witwerrente sei früher allgemein als zulässig angesehen worden. Auf diese übereinstimmende Rechtsauffassung habe man vertrauen dürfen. Auch diese Begründung trägt nicht. Sie läßt sich, entgegen der Auffassung der Beklagten, nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Witwerrente in der gesetzlichen Rentenversicherung herleiten. Da sich, wie ausgeführt, die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts nicht undifferenziert auf die betriebliche Altersversorgung übertragen lassen, kann die Beklagte nicht mit Erfolg einwenden, wenn schon dem Gesetzgeber rund 10 Jahre für die Anpassung zur Verfügung gestanden hätten, dann könne von ihr keine kürzere Frist verlangt werden. In der betrieblichen Altersversorgung geht es nicht um die künftig notwendig werdende Anpassung eines Regelungssytems an eine Sozialentwicklung mit einem voraussehbar sich ändernden Versorgungsbedarf, sondern um die Herstellung eines rechtmäßigen, durch Verfassung und europäisches Recht gebotenen Zustands. Für die Beseitigung eines Unrechts räumt die Rechtsordnung keine Fristen ein, vor allem keine Fristen von mehr als einem Jahrzehnt. Ein rechtswidriger Zustand ist unverzüglich mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu beseitigen.

b) Die Notwendigkeit einer Anpassungsfrist unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes könnte anders zu beurteilen sein, wenn die Beklagte auf eine gefestigte Rechtsprechung verweisen könnte, die einen Ausschluß der Witwerrente für zulässig erachtet hätte. Eine solche Rechtsprechung hat es jedoch nicht gegeben. Die einzige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, aus der Gegenteiliges herausgelesen werden könnte, ist das Urteil des Ersten Senats vom 28. November 1958 (– 1 AZR 307/58 – AP Nr. 39 zu Art. 3 GG). Darin heißt es, die Hinterbliebenenversorgung stelle keinen Gegenwert für geleistete Arbeit dar; deswegen verstoße es nicht gegen die Verfassung, wenn eine Witwerrente nur gezahlt werde, falls der Witwer zu Lebzeiten einen Unterhaltsanspruch gegen seine Ehefrau gehabt habe. Diese Entscheidung ist spätestens seit 1972 überholt. Seit dem sog. Unverfallbarkeitsurteil des Senats vom 10. März 1972 (BAGE 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt), in dem der Senat sogar auf noch ältere Rechtsprechung Bezug nimmt, gehen die gesamte Rechtsprechung und die Literatur einhellig davon aus, daß Leistungen der betrieblichen Altersversorgung Entgelt für die vom Arbeitnehmer geleistete Betriebstreue sind. Zu der Annahme, speziell für die Witwerrente gelte etwas anderes, besteht seither keinerlei Anlaß.

c) Schließlich wird geltend gemacht, die fristlose Einführung der Witwerrente verletze den Grundsatz des Vertrauensschutzes zu Lasten der Arbeitnehmer: Die Witwerrente führe zu Umstrukturierungen der betrieblichen Versorgungswerke und bewirke Einschränkungen der übrigen Leistungen. Auch dieser Einwand überzeugt nicht. Die hier geforderte „Kostenneutralität” ist als solche kein rechtlich anzuerkennender Grund, betriebliche Versorgungswerke zu verschlechtern. Es wäre im Gegenteil rechtswidrig, einem Teil der Arbeitnehmer die zugesagten Leistungen zu kürzen, weil bisher einem anderen Teil der Arbeitnehmer rechtswidrig Leistungen vorenthalten wurden. Selbst eine im Einzelfall zulässige Umstrukturierung, etwa im Hinblick auf unvorhergesehene wirtschaftliche Belastungen, könnte Verstöße gegen die Pflicht zur Gleichbehandlung in der Vergangenheit nicht rechtfertigen.

3. Die Beklagte wendet ein, die Versagung einer Übergangsfrist führe bei ihr zu einer starken wirtschaftlichen Belastung, da sie überwiegend Frauen beschäftige. Es sei auch unklar gewesen, in welcher Weise man betriebliche Versorgungszusagen anzupassen habe. Deshalb habe sie abwarten müssen, wie der Gesetzgeber dem Regelungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts nachkomme. Erst nach Erlaß des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetzes vom 1. Juli 1985 (HEZG, BGBl I S. 1450) habe sie darangehen können, die betrieblichen Versorgungswerke anzupassen. Diese Argumentation kann aus mehreren Gründen nicht überzeugen.

a) Schon in der bisherigen Diskussion über die Einführung der Witwerrente sind Berechnungen darüber angestellt worden, in welchem Ausmaß diese Leistung die Unternehmen zusätzlich belastet. Das Ergebnis hängt im Einzelfall von den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten, insbesondere dem Frauenanteil an der Arbeitnehmerschaft, ab. Insgesamt führt die zusätzliche Witwerrente, wie sämtliche Analysen ergeben haben, nur zu einer verhältnismäßig geringen Zusatzbelastung (vgl. nur Heubeck/Isenberg, DB 1986, 799, 804: 0,4 bis 3 %). Auch die Beklagte hat nur allgemein behauptet, die Einführung der zusätzlichen Leistung belaste sie sehr; nähere Angaben hat sie dazu nicht gemacht, sie hat insbesondere nicht behauptet, die Witwerrente bringe sie in unvorhergesehene wirtschaftliche Schwierigkeiten.

Zudem kann dem Unternehmen auch für die Vergangenheit keine unübersehbare Last entstehen. Selbst wenn Unternehmen die Witwerrente erst zum 1. Januar 1986 eingeführt haben, kann dies – gegen den Willen des Unternehmens – nicht zu langfristig rückwirkenden Belastungen führen, da der Anspruch, was die laufenden Zahlungen betrifft, gemäß § 196 Abs. 1 Nr. 8 und 9 BGB in zwei Jahren verjährt.

b) Richtig ist, daß in Versorgungssystemen, die auf eine Gesamtversorgung abstellen, Regelungsfragen auftreten können, soweit in der betrieblichen Altersversorgung eine Witwerrente geschuldet wird, in der gesetzlichen Rentenversicherung aber erst seit dem Inkrafttreten des Hinterbliebenen- und Erziehungszeitengesetzes am 1. Januar 1986 (vgl. hierzu LAG Hamm, NJW 1983, 1510 f. einerseits und BAGE 53, 162 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag andererseits; ferner Boecken, DB 1989, 924, 926). Doch rechtfertigt auch dieses Argument keine Ungleichbehandlung beim Lohn. Es wäre allenfalls daran zu denken, die Versorgungszusage nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage anzupassen (so auch Boecken, aaO, S. 926). Im Streitfall kann ein solches Problem schon deshalb nicht auftreten, weil die Versorgungsordnung der Beklagten Leistungen vorsieht, die von denen aus der gesetzlichen Rentenversicherung unabhängig sind.

IV. Der Beklagten könnte selbst die Anerkennung einer Anpassungsfrist nicht zum Erfolg verhelfen. Die Beklagte durfte die Beseitigung der Ungleichbehandlung jedenfalls nicht so lange wie geschehen hinausschieben. Auch wenn man mit der Beklagten von dem Todestag der Ehefrau des Klägers (18. November 1985) als dem maßgeblichen Stichtag ausgeht, kann nicht anerkannt werden, daß bis dahin eine Ungleichbehandlung zu dulden wäre. Die Beklagte konnte in diesem Zeitpunkt nicht mehr darauf vertrauen, es sei ihr gestattet, die Hinterbliebenenrente für Witwer noch weiter vor sich herzuschieben. Von dem Erlaß des erwarteten Rentenreformgesetzes konnte sie keine für sie rechtlich relevanten Hinweise erwarten, da die Höhe gesetzlicher Rentenbezüge nach ihrem Versorgungswerk keinen Einfluß auf die Höhe der Betriebsrente haben konnte. Im Gegenteil; Das Witwerrentenurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1975 lag zu diesem Zeitpunkt schon mehr als 10 Jahre zurück. Die Beklagte hätte, wenn sie aus diesem Urteil Einflüsse auf ihr Versorgungswerk erwartete, längst erkannt haben müssen, daß ihre Versorgungszusage nicht wegen einer vorübergehend noch als verfassungskonform hinzunehmenden unterschiedlichen Behandlung in der Rentenversicherung unverändert beibehalten werden durfte. Die Unterschiede und alle weiteren hierfür maßgeblichen Rechtsgrundsätze hätte sie dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts unschwer entnehmen können.

V. Der Hinweis der Beklagten auf die Verfallfrist gemäß § 19 des Manteltarifvertrags für die Schuhindustrie des Bundesgebiets geht fehl. Es kann offen bleiben, ob die Ehefrau des Klägers tarifgebunden war oder der Manteltarifvertrag allgemeinverbindlich ist. Schon die Voraussetzungen der Vorschrift treffen nicht zu: Nach der tariflichen Ausschlußklausel müssen Ansprüche innerhalb von 13 Wochen nach ihrem „Entstehen” schriftlich geltend gemacht werden. Entstanden ist der Anspruch auf Witwerrente gemäß Nr. 8 der Versorgungsordnung „nicht vor dem Zeitpunkt, in dem Zahlungen von Lohn und Gehalt gemäß Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelvertrag enden”, hier also nicht vor dem 14. Februar 1986. Schriftlich geltend gemacht ist der Anspruch mit Schreiben vom 29. April 1986. Das war rechtzeitig.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Schaub, Griebeling, Fieberg, Schoden

 

Fundstellen

Dokument-Index HI951849

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