Rz. 61

Die zur allgemeinen Mitwirkungspflicht[1] dargestellten Rechtsfolgen (vgl. Rz. 26ff.) gelten entsprechend. § 90 Abs. 2 AO beseitigt nicht den Untersuchungsgrundsatz[2] und die damit verbundenen primären Ermittlungspflichten der Finanzbehörde[3] und führt auch keine subjektive Beweislast ein. Die Finanzbehörde muss vielmehr alle sonstigen Erkenntnismittel ausschöpfen. Sofern sie sich mit verhältnismäßigen Mitteln andere Beweismittel verschaffen kann, sind diese zu verwenden.

 

Rz. 62

Ist der Sachverhalt anderweitig jedoch – und dies wird bei Auslandssachverhalten regelmäßig der Fall sein – nicht aufklärbar, so ist die Verletzung der erweiterten Mitwirkungspflicht frei zu würdigen.[4] Die Finanzbehörde kann zum Nachteil des Beteiligten von einem Sachverhalt ausgehen, für den unter Berücksichtigung der Beweisnähe des Stpfl. und seiner Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht. Insbesondere dann, wenn die Mitwirkungspflicht sich auf Tatsachen und Beweismittel aus dem alleinigen Verantwortungsbereich des Stpfl. bezieht, können aus seiner Pflichtverletzung für ihn nachteilige Schlussfolgerungen gezogen werden.[5] Für Tatsachen, für die die Finanzbehörde die Beweislast trägt, reduziert sich das Beweismaß. U. U. tritt eine Umkehr der objektiven Beweislast (Feststellungslast) ein.[6]

Entsprechendes gilt im finanzgerichtlichen Verfahren, in welchem den Beteiligten im Falle von im Ausland verfügbaren Beweismitteln die Beibringungspflicht trifft, will er eine Berücksichtigung des Beweismittels in der mündlichen Verhandlung erreichen. Hier ist die Sachaufklärungspflicht des FG nicht von den Mitwirkungspflichten der Beteiligten nach § 76 Abs. 1 FGO losgelöst.[7] Das FG trifft selbst im Falle der Erheblichkeit nicht die Pflicht zur Vorladung eines im Ausland ansässigen Zeugen. Vielmehr obliegt es dem Beteiligten, der sich auf die Aussage eines ausländischen Zeugen zu einem ausländischen Sachverhalt beruft, diesen zur mündlichen Verhandlung zu stellen.[8] Kommt der Beteiligte dieser erhöhten Mitwirkungspflicht nicht nach, darf das FG den ihm vorliegenden Sachverhalt nach freier Überzeugung würdigen.[9] Beschafft der Beteiligte die Beweismittel zu ausländischen Sachverhalten verschuldet oder unverschuldet nicht, steht es dem FG im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu, den ihm vorliegenden Sachverhalt zum Nachteil des Beteiligten ohne die ausländischen Beweismittel zu berücksichtigen, wenn hierfür unter Berücksichtigung der Beweisnähe des Beteiligten und seiner Verantwortung für die Aufklärung des ausländischen Sachverhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht.[10]

 

Rz. 63

BFH v. 17.10.2001, I R 103/00, BStBl II 2004, 171 unterscheidet in diesem Zusammenhang danach, ob die Mitwirkungspflichtverletzung eine Tatbestandsvoraussetzung (Folge: Reduzierung des Beweismaßes für das aufzuklärende Tatbestandsmerkmal) oder aber die Rechtsfolge eines Besteuerungstatbestands (Folge: Schätzung der Besteuerungsgrundlage) betrifft.[11]

 

Rz. 64

Die Rechtsfolgen einer Verletzung der in § 90 Abs. 2 S. 3 AO normierten Mitwirkungspflichten (Versicherung an Eides Statt bzw. Bevollmächtigung der Finanzbehörde zur Geltendmachung von Auskunftsansprüchen) gehen hierüber noch weit hinaus. Kommt der Beteiligte seinen besonderen Pflichten nicht nach, so wird nach § 162 Abs. 2 S. 3 AO widerlegbar vermutet, dass in den ausländischen Staaten steuerpflichtige Einkünfte vorhanden oder höher als die erklärten Einkünfte sind. Den Finanzbehörden wird eine Befugnis zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen an die Hand gegeben.[12]

 

Rz. 65

Darüber hinaus lässt § 193 Abs. 2 Nr. 3 AO für den Fall, dass der Stpfl. seine Mitwirkung verweigert, die Anordnung einer Außenprüfung zu.[13] Eine Prüfung an Amtsstelle wird insbesondere dann nicht zweckmäßig sein, wenn umfangreiche und vielgestaltige Besteuerungsgrundlagen vorliegen bzw. eine größere Anzahl von Lebensvorgängen mit einem höheren Zeitaufwand zu prüfen oder eine Vielzahl von Belegen zu verifizieren und insoweit mit zahlreichen Rückfragen zu rechnen ist.[14]

 

Rz. 66

Schließlich kann die Finanzbehörde dem seine gesteigerten Mitwirkungspflichten verletzenden Stpfl. nach § 147a S. 6 AO durch Verwaltungsakt aufgeben, Aufzeichnungen und Unterlagen über die den Überschusseinkünften zugrunde liegenden Einnahmen und Werbungskosten aufzubewahren.[15] Hierdurch soll die Möglichkeit zur Durchführung einer Außenprüfung flankiert werden. Der in § 147a S. 1 AO vorgesehene Mindestbetrag von 500.000 EUR muss nicht überschritten sein. Die Aufbewahrungspflicht endet grundsätzlich erst mit Widerruf des Verwaltungsakts. Verletzt der Stpfl. die Aufbewahrungspflicht, so kann die Finanzbehörde ein Verzögerungsgeld festsetzen.[16]

[3] BFH v. 6.11.1987, III R 241/83, BStBl II 1988, 438; BFH v. 18.11.2008, VIII R 24/07, BStBl II 2009, 518; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 20; Helsper, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 90 AO Rz. 12; Söhn, in HHSp, AO/FGO,...

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