Rz. 45

Bei Vorauszahlungen handelt es sich um eine Steuerschuld, bei der noch nicht feststeht, ob und in welcher Höhe es zu einer endgültigen Belastung des Stpfl. kommt. Es handelt sich bei den Vorauszahlungen also um Zahlungen auf eine voraussichtlich entstehende oder, bei der nachträglichen Erhöhung der Vorauszahlungen, um Zahlungen auf eine voraussichtlich entstandene Steuerschuld.[1] Für die endgültige Höhe der für den jeweiligen Besteuerungszeitraum entstehenden Steuer sind nicht die Vorauszahlungen maßgebend, sondern nur die Jahressteuerschuld.

 

Rz. 46

Sowohl steuerschuldrechtlich als auch verfahrensrechtlich ist die Vorauszahlungsschuld jedoch eine selbstständige Schuld. Steuerschuldrechtlich entsteht sie zeitlich vor der Entstehung der Jahressteuerschuld, verfahrensrechtlich wird sie vor der Festsetzung der Jahressteuerschuld in einem eigenständigen Verfahren geltend gemacht. Andererseits zeigt sich ihre Vorläufigkeit darin, dass sie ab Festsetzung der Jahressteuerschuld ihren selbstständigen Charakter verliert. In dem Zeitraum zwischen Entstehung der Jahressteuerschuld und ihrer Festsetzung stehen Jahressteuerschuld und Vorauszahlungsschuld aber noch selbstständig nebeneinander, wie die Möglichkeit der nachträglichen Erhöhung der Vorauszahlung nach Ablauf des Veranlagungszeitraums zeigt.[2]

 

Rz. 47

Die Zahlung der Vorauszahlungsschuld ist nicht Zahlung der Jahressteuerschuld, sondern (nur) Zahlung der Vorauszahlungsschuld[3]; Vorauszahlungsschuld und Jahressteuerschuld sind unabhängig voneinander.[4] Diese Vorauszahlungen werden auf die Jahressteuerschuld angerechnet.[5] Mit dem Zeitpunkt dieser Anrechnung verliert die Vorauszahlungsschuld ihre eigenständige Bedeutung und geht durch die Anrechnung in der Jahressteuerschuld auf.[6] Der Zeitpunkt dieser Anrechnung ist weder in der AO noch in den Einzelsteuergesetzen bestimmt. Man wird diesen Zeitpunkt jedoch mit dem Wirksamwerden des Jahressteuerbescheids[7] annehmen dürfen. Wie die Überschrift des § 36 EStG nahe legt, handelt es sich bei dieser Anrechnung um einen Vorgang aus dem Bereich der Tilgung der Jahressteuerschuld. Vor ihrer Festsetzung kann diese Jahressteuerschuld jedoch nicht getilgt werden, obwohl sie entstanden ist (vgl. auch die bereits erwähnte Möglichkeit, noch Vorauszahlungen nach Entstehung der Jahressteuerschuld festzusetzen)[8]. Die Festsetzung der Jahressteuerschuld mit der daran anknüpfenden Fälligkeit ist der formelle Rechtsgrund ("causa") für die Tilgung der Jahressteuerschuld. Vor diesem Zeitpunkt können alle Zahlungsvorgänge nur Tilgung der Vorauszahlungsschuld, nicht Tilgung der Jahressteuerschuld sein. Vorauszahlungen sind daher nicht als Minderungen der Jahressteuerschuld aufzufassen, die zu der Festsetzung einer reduzierten Jahresschuld führen würden, sondern mit der Festsetzung der Jahressteuer als Tilgung.[9] Im Jahressteuerbescheid festgesetzt wird daher die um die Vorauszahlungen nicht geminderte Jahressteuerschuld. Die Anrechnung der Vorauszahlungen ist dem Steuererhebungsverfahren zuzuordnen und erfolgt außerhalb des Steuerbescheids im "Abrechnungsteil".[10]

 

Rz. 48

Auf die Jahressteuer angerechnet werden nur die tatsächlich entrichteten Vorauszahlungen, nicht die rückständigen Vorauszahlungsbeträge.[11] Nicht geleistete Zahlungen können nicht zur Tilgung der Jahressteuerschuld führen. Die nach dieser Anrechnung noch bestehende Steuerforderung, die Abschlusszahlung, beruht nur noch auf der Grundlage des Jahressteuerbescheids, auch soweit die Vorauszahlungen rückständig sind. Soweit die Abschlusszahlung den rückständigen Vorauszahlungen entspricht, tritt mit Erlass des Jahressteuerbescheids (nicht: mit Entstehen der Jahressteuerschuld) sofortige Fälligkeit ein[12], trotzdem handelt es sich nicht mehr um Vorauszahlungen, sondern um einen bezüglich der Fälligkeit besonders behandelten Teil der in dem Jahressteuerbescheid festgesetzten Abschlusszahlung.[13]

 

Rz. 49

Allerdings wird nur der Vorauszahlungsbescheid durch den Jahressteuerbescheid ersetzt; diese Wirkungen liegen also nur auf verfahrensrechtlichem Gebiet. Materiell sind Vorauszahlungsschuld und Jahresschuld nur verschiedene Formen der gleichen Steuerschuld. Daraus folgt, dass ein Haftungsschuldner für Vorauszahlungen auch dann noch in Anspruch genommen werden kann, wenn bereits ein Jahressteuerbescheid ergangen ist.[14]

 

Rz. 50

Waren zu hohe Vorauszahlungen festgesetzt und gezahlt worden, ist der Jahressteuerbescheid bzw. sein Abrechnungsteil Grundlage der Erstattung. Der Vorauszahlungsbescheid kann nicht (teilweise) aufgehoben werden. Der Vorauszahlungsbescheid ist mit Ergehen des Jahressteuerbescheids gegenstandslos geworden.

 

Rz. 51

Ist über die Vorauszahlung eine Steueranmeldung abzugeben, kann bei Nichtabgabe ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Kommt es vorher zu einer Jahressteuerfestsetzung, entfällt die Zulässigkeit des Verspätungszuschlags nicht.[15] Für die Bemessung des Verspätungszuschlags sind die (anteiligen) Steuerfestsetzungen in der Jahressteuer...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Kanzlei-Edition. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge