Rz. 455

Die Steuerpflicht von Ausschüttungen bei Streubesitzbeteiligungen von weniger als 10 % nach § 8b Abs. 4 KStG wurde durch Gesetz v. 21.3.2013[1] eingeführt, um die Europarechtswidrigkeit[2] der bisherigen Rechtslage zu beseitigen.[3] Vor Einführung des § 8b Abs. 4 KStG war zwar sowohl auf Ausschüttungen an inländische Anteilseigner als auch an ausländische Anteilseigner eine Kapitalertragsteuer gem. § 43 Abs. 1 S. 3 EStG i. H. v. 25 % einzubehalten. Ein inländischer Anteilseigner kann diese aber im Veranlagungsverfahren angerechnet bzw. erstattet bekommen. Im Ergebnis bleibt die Ausschüttung damit steuerfrei. Für einen ausländischen Anteilseigner gilt die grundsätzliche Steuerfreiheit gem. § 8b Abs. 1 KStG zwar auch im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. a EStG. Allerdings hat für ihn gem. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG die einbehaltene Kapitalertragsteuer abgeltende Wirkung, sofern keine Reduktion gem. § 43b EStG (Mutter-Tochter-Richtlinie) oder einem DBA in Betracht kommt. Da die Mutter-Tochter-Richtlinie und die meisten DBA eine Mindestbeteiligung von 10 % oder mehr für eine Freistellung vorsehen, kommt es bei sog. Streubesitzdividenden zu einer finalen Steuerbelastung des ausländischen Anteilseigners. Eine darüber hinausgehende Erstattung war nur gem. § 44a Abs. 9 S. 1 EStG auf 15 % möglich. Um diese Ungleichbehandlung zu beseitigen, wird die Steuerfreistellung von derartigen Ausschüttungen nicht mehr nur bei grenzüberschreitenden, sondern auch bei rein nationalen Sachverhalten versagt und eine Differenzierung beseitigt, die nach Auffassung des EuGH gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen hat. Der Gesetzgeber hatte im Prinzip 2 Möglichkeiten, die Gleichbehandlung herzustellen: die Reduzierung der KapESt auf ins Ausland fließende Dividenden bei Streubesitzbeteiligungen auf 0 oder die Besteuerung von solchen inl. Ausschüttungen. Er hat sich für Letzteres entschieden. Die Angleichung betrifft nicht nur EU-/EWR-Sachverhalte, sondern alle internationalen Sachverhalte. Dies ist darin begründet, dass die Kapitalverkehrsfreiheit nicht nur für Mitgliedstaaten der EU und des EWR gilt, sondern weltweit.

 

Rz. 456

Auch wenn die Neuregelung die konkrete Beanstandung durch den EuGH[4] ausräumt, indem sie die Besteuerung auf Inlandssachverhalte ausdehnt, wird die Europarechtswidrigkeit nicht vollständig behoben. Für ausl. Dividendenempfänger ist die KapESt regelmäßig eine Definitivsteuer, die vom Bruttobetrag der Dividende erhoben wird. Ein inl. Dividendenempfänger unterliegt mit der Ausschüttung zwar ebenfalls der Besteuerung, kann im Veranlagungsverfahren aber die mit dieser Ausschüttung im Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben absetzen. Ein ausl. Anteilseigner kann nur dann veranlagt werden, wenn er die Beteiligung in einem inl. Betriebsvermögen, z. B. in einer inl. Betriebsstätte, hält. Ist dies nicht der Fall, wird er trotz der Neuregelung schlechter behandelt. Insofern wird weiterhin gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen.[5] Es wäre zu überlegen, den Anwendungsbereich der für die Abzugsteuer nach § 50a Abs. 1 Nr. 1, 2 EStG geltenden Regelungen des § 50 Abs. 2 S. 2 Nr. 5, S. 7, 8 EStG (Veranlagung) und des § 50a Abs. 3 EStG (Abzug der Betriebsausgaben von der Bemessungsgrundlage beim Steuerabzug)[6] auf die KapESt auszudehnen.

 

Rz. 456a

Nicht abschließend geklärt ist zudem, ob die Neuregelung nach deutschem Recht verfassungsgemäß ist.[7] Durch die fehlenden Steuerfreistellungen bei Ausschüttungen aus Streubesitzbeteiligungen kann es zu sog. Kaskadeneffekten kommen. Dadurch würde ggf. beim mittelbaren Anteilseigner keine bzw. nur eine sehr geringe Dividendenzahlung erfolgen, da die effektive Steuerlast sehr hoch wäre.[8]

 

Die Unterscheidung in steuerpflichtige Ausschüttungen aus Streubesitzbeteiligungen und steuerfreie Ausschüttungen aus anderen Beteiligungen verstößt nach Ansicht des FG Hamburg[9] gegen das Gebot, dass bei gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit eine gleiche Steuerlast anfallen muss (sog. horizontale Steuergerechtigkeit, Art. 3 GG). Ein Zufluss gleich hoher Beteiligungserträge wird abhängig von der Beteiligungshöhe unterschiedlich besteuert.

Fraglich ist, ob diese Besteuerung dem Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, das aus Art. 3 GG hergeleitet wird, entspricht. Diskutiert wird auch, ob die Regelung des § 8b Abs. 4 KStG als Ausnahme von der grundsätzlichen Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 1 KStG gegen das Gebot der Folgerichtigkeit verstößt und damit auch gegen Art. 3 GG.[10]

Nach Auffassung des FG Hamburg liegt zwar ein Eingriff in Art. 3 GG vor. Dieser kann aber gerechtfertigt werden.[11] Kein Rechtfertigungsgrund können insoweit aber fiskalische Erwägungen sein. Dies ist (auch) im Steuerrecht regelmäßig kein Grund, um einen Eingriff in die Grundfreiheiten zu rechtfertigen. Nicht gefolgt werden kann auch der Argumentation des Gesetzgebers, der in "nicht unternehmerische Beteiligungen" i. S. d. § 8b Abs. 4 KStG und unternehmerische Beteiligunge...

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