Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtmäßigkeit eines Sammelauskunftsersuchens zur Aufdeckung unbekannter privater Veräußerungsgeschäfte ernstlich zweifelhaft

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Rechtmäßigkeit eines an ein Kreditinstitut gerichteten Sammelauskunftsersuchens, welches der Aufdeckung und Ermittlung noch unbekannter Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften dienen soll, ist im Hinblick auf die bestehenden verfassungsrechtlichen Zweifel ernstlich zweifelhaft.

 

Normenkette

AO 1977 § 208 Abs. 1, 1 Sätze 1, 1 Nr. 3, § 30a; GG Art. 3; EStG § 23

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 21.10.2003; Aktenzeichen VII B 85/03)

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über die Rechtmäßigkeit eines Sammelauskunftsersuchens, welches der Aufdeckung und Ermittlung noch unbekannter Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (§ 23 EStG, sog. Spekulationsgewinne) dienen soll.

Die Antragstellerin ist eine Kreissparkasse. Mit Schreiben vom 17. Juni 2002 richtete der Antragsgegner – im Rahmen eines Pilotverfahrens – ein Auskunftsersuchen im Besteuerungsverfahren gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO iVm § 93 AO an die Antragstellerin. Hier heißt es u.a.

„… wie aus allgemein zugänglichen Quellen bekannt ist, haben in den Jahren ab 1997 eine Vielzahl von Bankkunden verstärkt Aktien und Fondanteile von Kapitalgesellschaften insbesondere am sogenannten „Neuen Markt” erworben und zeitnah wieder veräußert. Nach hier aus einem Einzelfall vorliegenden Erkenntnissen, der auch Gegenstand des BFH Beschlusses vom 21.03.2002 (Az. VII B 152/01) war, haben in 1998 über 50% der betreffenden Anleger ihre Aktien innerhalb eines Monats wieder veräußert. Unter Zugrundelegung aller Verkäufe sind 1998 mindestens 80% und 1999 mindestens 67% der Verkäufe innerhalb der Spekulationsfrist des § 23 EStG erfolgt. Die dort bisher gemachten Erfahrungen haben gezeigt, dass diese Kunden, die innerhalb der Spekulationsfrist von sechs Monaten bis 31.12.1998 bzw. von einem Jahr (ab Veranlagungszeitraum 1999) erzielten Veräußerungsgewinne nicht versteuert haben. Entgegen der allgemein bekannten Kursentwicklung und dem einsetzenden Kaufboom für derartige Papiere am sogenannten „Neuen Markt” war im Einzugsbereich Ihres Institutes keine signifikante Veränderung im Erklärungsverhalten der Steuerpflichtigen festzustellen, obwohl durch die extreme Kursentwicklung am Aktienmarkt zahlreiche zusätzliche steuerpflichtige Tatbestände im Sinne des § 23 EStG verwirklicht sein mussten. So erklärten im Bereich der zuständigen Finanzämter N. und S. 1996 insgesamt 43 Steuerpflichtige, 1997 insgesamt 52 Steuerpflichtige, 1998 insgesamt 88 Steuerpflichtige, 1999 insgesamt 237 Steuerpflichtige und 2000 insgesamt 248 Steuerpflichtige die gleichzeitig auch Kunden ihres Hauses sind, Einkünfte aus Spekulationsgeschäften. Bei diesen Zahlen ist zu berücksichtigen, dass bis einschließlich dem Jahr 1999 hiermit sämtliche Spekulationstatbestände, also von Grundstücksgeschäften bis zu Einkünften aus sonstigen privaten Veräußerungsgeschäften abgedeckt waren. Angesichts der Einwohnerzahl von rd. 470.000 Personen im Einzugsbereich Ihres Institutes kann die Zahl erklärter Einkünfte aus Spekulationsgeschäften daher nur als verschwindend gering bezeichnet werden. In den Besteuerungsverfahren dieser weiteren bisher noch unbekannten Kunden sind Auskünfte Ihres Bankinstitutes daher erforderlich. Zur Aufdeckung und Ermittlung dieser unbekannten Steuerfälle bitte ich um Erteilung von Auskünften aus sämtlichen Wertpapierabrechnungen und Orderaufträgen über Veräußerungsgeschäfte für in- und ausländische Aktien und Fondanteile von Kunden für die Zeit vom 01.05.1998 bis zum 31.12.2000, soweit diese den sogenannten „Neuen Markt” (hierbei Neuemissionen nach dem 30.10.1997) betreffen und zwar hierbei sämtliche Veräußerungsgeschäfte die unter Einbeziehung der hierzu gehörigen Käufe der Wertpapiere zu einem Spekulationsgewinn von mindestens 1.000 DM aus einem einzelnen Veräußerungsgeschäft geführt haben und von einer natürlichen Person getätigt worden sind. Wertpapiergeschäfte, die außerhalb der Spekulationsfrist liegen und die zu keinem Spekulationsgewinn geführt haben bleiben unberücksichtigt. Sofern ein Kunde durch mindestens ein getätigtes Veräußerungsgeschäft die vorgenannten Kriterien erfüllt bitte ich um Mitteilung des Kunden mit folgenden Angaben …

… Aus den von Ihnen veröffentlichten Zahlen ergibt sich, dass die für Kunden ausgeführten Wertpapieraufträge in Ihrem Hause auf mehr als 80.000 im Jahre 1999 gestiegen sind, was eine Steigerung um 68% bedeutet (1998: 47.680). Die Anzahl von 18.300 Depotkonten im Jahre 1999 bedeutet eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um fast 30% (1998: 14.200) und der Wertpapierumsatz im Kundengeschäft in Ihrem Hause von über 400 Mio. DM in 1999 stellt eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 28% dar. Die Anzahl der Depotkunden wuchs im Jahr 2000 um weitere 50% auf 30.000 Stück. Diese Zahlen untermauern das Missverhältnis zwischen den erklärten Spekulationsgewinnen im ört...

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