Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorladung als Ausübung intendierten Verwaltungsermessens; Verhältnismäßigkeit der Vorladung; Verhältnis der Vorladung zum Gewerbeuntersagungsverfahren und zur Insolvenzordnung; Klageart gegen Vorladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Rechtsschutz gegen die Vorladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist mit der Anfechtungsklage zu verfolgen.

2. Auch wenn die Aufforderung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung - zulässigerweise - in einer einzigen Verfügung ergeht, sind sachlich zwei Ermessensentscheidungen getroffen worden, die deshalb unabhängig voneinander einzeln angefochten werden können.

3. Bei der Vorladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung handelt es sich um eine sog. intendierte Ermessensausübung, die nur ausnahmsweise einer Begründung bedarf, wenn im konkreten Einzelfall Gründe für eine Abstandnahme von der Versicherung naheliegen.

4. Der Umstand, dass dem Finanzamt nach Aktenlage die ungünstigen Vermögensverhältnisse des Vollstreckungsschuldners bekannt sind, macht für sich allein die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung nicht unverhältnismäßig.

5. Da die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung und das Gewerbeuntersagungsverfahren unterschiedliche Ziele verfolgen, kann das Finanzamt beide Verfahren selbständig nebeneinander betreiben.

6. Dass ein Selbständiger durch eine eidesstattliche Versicherung zum Sozialhilfefall werden kann, steht ihrer Abnahme nicht entgegen.

7. Gleiches gilt, solange der Vollstreckungsschuldner kein Verfahren auf Restschuldbefreiung nach der neuen Insolvenzordnung eingeleitet hat.

 

Normenkette

AO § 284 Abs. 1, 3; FGO § 102; AO § 251 Abs. 2 S. 1; InsO § 1 S. 2, 286 ff.; FGO § 40 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger ist verheiratet und hat eine am 1. Januar 1993 geborene Tochter. Er ist Eigentümer eines in Z., Fstraße gelegenen, grundbuchlich hoch belasteten Wohngrundstückes, dessen Verkehrswert sich nach einer amtsgerichtlichen Wertfeststellung auf 110.000 DM beläuft. Deshalb wurde das von einer Gläubigerbank betriebene Zwangsversteigerungsverfahren am 15. November 1999 erneut einstweilen eingestellt (BA I a.E.) und ein eigener finanzamtlicher Zwangsversteigerungsantrag vom 7. Dezember 2000 vom Beklagten wieder zurückgenommen (Bl. 187 f. BA II).

Nach einer 1998 vom Beklagten für die Jahre 1993 bis 1995 durchgeführten Betriebsprüfung erzielt der Kläger seine Einkünfte ganz überwiegend aus Provisionen der X. GmbH & Co., S. für seine Tätigkeit als Telefonbuchanzeigenwerber (Tz. 30 Bp-Bericht, Bl. 30, 10 Bp). Daneben unterhält er einen Musik- und Buchverlag sowie einen Handel mit entsprechenden Produkten. Seine Ehefrau, mit der er seit der Heirat im Jahr 1982 in Gütertrennung lebt (Bl. 97, 106, 109 BA II), ist Studentin der Kunstgeschichte (Bl. 6 ESt 88, 2 ESt 97, 31 Bp). Sie erzielt seit 1993 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eines 1986 ererbten Hauses (Bl. 13, 35 Bp), das gegenwärtig renoviert wird. Dabei werden die Mieteinnahmen zur Abzahlung des Renovierungsbankdarlehens verwendet.

Am 15. Dezember 1998 hat der Beklagte auf Antrag des Klägers einen Aufteilungsbescheid zur Einkommensteuer 1993 bis 1995 erlassen (18 ff. ESt 95). Die letzte Einkommensteuererklärung des Klägers und seiner Ehefrau für das Jahr 1997 ging am 25. Juni 1999 beim Beklagten ein (Bl. 2 ff. ESt 97). Eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung hat der Kläger letztmals für 1995 abgegeben (USt).

Seit 1989 ist der Kläger Vollstreckungsschuldner wegen rückständiger Steuerbeträge, die sich zwischenzeitlich einschließlich Nebenabgaben auf über 78.000 DM belaufen (Bl. 10). Es handelt sich neben erheblichen Säumniszuschlägen vornehmlich um rückständige Umsatzsteuer (Bl. 10 ff. in 1 V 175/99). Forderungs- und Sachpfändungen (u.a. PC) des Beklagten aus 1996 und 1999 wurden durch Beschlüsse des Senats vom 29. Juli 1999 1 V 175/99 und 3. September 1999 1 V 279/99 (Bl. 159 ff. BA II) auf 500 DM monatlich beschränkt bzw. in der Vollziehung ausgesetzt.

Durch Bescheid der Gemeinde Y. vom 27. September 2000 wurde dem Kläger auf Antrag des Beklagten vom 4. August 1999 die Ausübung seiner bisherigen gewerblichen Betätigung „ab sofort und auf Dauer” untersagt (Bl. 165 ff., 59 f. BA II). Auf den Widerspruch des Klägers setzte der Kreisrechtsausschuss beim Landrat des Kreises N. als Widerspruchsbehörde in der Sitzung vom 20. März 2001 das Gewerbeuntersagungsverfahren bis zum 30. September 2001 aus, um dem Kläger Gelegenheit zur Abgabe der ausstehenden Steuererklärungen und für einen Sanierungsvorschlag betreffend seine Steuerschulden beim Beklagten zu geben (Bl. 201 f. BA II).

Bereits zuvor hat der Beklagte durch Verfügung vom 3. September 1999 den Kläger gemäß § 284 AbgabenordnungAO – aufgefordert, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und die Richtigkeit der darin gemachten Angaben am 13. Oktober 1999 an Amtsstelle des Beklagten eidesstattlich zu versichern (Bl. 34 f. Rb III). Dagegen hat der Kläger m...

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