rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsinanspruchnahme des ehemaligen Geschäftsführers für wegen unzutreffender Nichtanwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes bei objektiv zu hohen Umsatzsteuerverbindlichkeiten der GmbH ohne Begründung zur Ermessensausübung bezüglich der Inanspruchnahme für die objektiv zu hohe Umsatzsteuerschuld ermessensfehlerhaft. Haftung des GmbH-Geschäftsführers bei unzureichender Überwachung des beauftragten Bevollmächtigten und trotz schwerer Erkrankung eines nahen Angehörigen. nur noch 50 %ige Haftung für von der GmbH verwirkte Säumniszuschläge ab Eintritt der Insolvenzreife der GmbH

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Um eine fehlerfreie Ermessensentscheidung treffen zu können, ist es seitens der Finanzbehörde erforderlich, den Sachverhalt umfassend und einwandfrei zu ermitteln. Mangelt es an Sachverhaltsermittlungen, die den Beitrag eines Haftungsschuldners zur eingetretenen Steuerverkürzung betreffen und die deshalb bei der Ermessenswürdigung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht fehlen, so ist der Haftungsbescheid ermessensfehlerhaft.

2. Wird der frühere Geschäftsführer für Umsatzsteuerverbindlichkeiten einer nunmehr insolventen GmbH in Anspruch genommen, die unstreitig wegen unrichtiger Anwendung des Regelsteuersatzes anstelle des ermäßigten Umsatzsteuersatzes objektiv zu hoch sind, und hat die GmbH bereits vor der Bekanntgabe des Haftungsbescheids sowie der dazugehörigen Einspruchsentscheidung durch berichtigte Rechnungen gegenüber ihren – nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Kunden – nunmehr den zu niedrigeren Umsatzsteuerschulden führenden ermäßigten Steuersatz angewendet, so ist der Haftungsbescheid ermessensfehlerhaft und aufzuheben, wenn er sich nicht mit der Frage auseinandersetzt, ob es ermessensgerecht ist, den ehemaligen Geschäftsführer nach § 69 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO persönlich wegen rückständiger Umsatzsteuer in Haftung zu nehmen, obwohl unstreitig ist, dass die GmbH für jene Besteuerungszeiträume objektiv zu hohe Umsatzsteuerbeträge erklärt hat.

3. Auch wenn eine GmbH eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit der Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten beauftragt, hat der GmbH-Geschäftsführer zumindest seine Überwachungspflichten nicht erfüllt, wenn häufig Umsatzsteuererklärungen bzw. -voranmeldungen nicht, verspätet und unrichtig abgegeben worden sind und die geschuldeten Steuerbeträge nicht zumindest im Umfang der erforderlichen Tilgungsquote geleistet worden sind. Sofern ein schwerer Unfall eines nahen Angehörigen den Geschäftsführer von der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Pflichten abgehalten hat, hätte dieser zur Vermeidung einer Haftungsinanspruchnahme nach § 69 AO das Geschäftsführeramt niederlegen müssen.

4. Ab dem Zeitpunkt der sog. Insolvenzreife der GmbH i. S. v. § 17 Abs. 2 InsO haftet ein GmbH-Geschäftsführer nach der BFH-Rspr. nur für 50 % der ab diesem Zeitpunkt entstehenden Säumniszuschläge.

 

Normenkette

AO § 34 Abs. 1, § 69 Sätze 1-2, § 191 Abs. 1 S. 1, § 5; FGO § 102 S. 1; UStG § 12 Abs. 1, 2 Nr. 7 Buchst. c; InsO § 17 Abs. 2

 

Tenor

Der Haftungsbescheid vom 11. Dezember 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Juli 2015 wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger zu 62 % und dem Beklagten zu 38 % auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Beschluss:

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte den Kläger als ehemaligen Geschäftsführer einer G. GmbH i. L. sowie als ehemaligen Geschäftsführer einer O… GmbH i. L. mit Sitz zuletzt in C… wegen rückständiger Abgabenverbindlichkeiten persönlich in Haftung nehmen kann.

O. GmbH

Die O. GmbH wurde durch Vertrag vom 4. Juli 1994 mit Sitz in B. gegründet (UR-Nr. …/1994 des Notars D. in E.). Satzungsmäßiger Unternehmensgegenstand war zunächst nur „die Herstellung vonMedien aller Art”. Der .... geborene Kläger, war einer der drei Gründungsgesellschafter und übernahm einen Gesellschaftsanteil In Höhe von .... DM am Stammkapital in Höhe von insgesamt .... DM. Er war auch der alleinige Geschäftsführer der Gesellschaft.

Die O. GmbH wurde am 2. September 1994 in das Handelsregister beim Amtsgericht B. eingetragen (HRB 38…) und fortan vom Finanzamt (FA) B. steuerlich veranlagt.

Als steuerliche Beraterin der O. GmbH fungierte bis zur Mitteilung der Mandatsniederlegung am 13. August 2013 gegenüber dem Beklagten die F. aus E. (künftig: F.).

Mit Vertrag vom 23. Januar 1997 (UR-Nr. …/1997 des o. g. Notars) trat Mitgesellschafter H… seinen Gesellschaftsanteil in Höhe von .... DM an den Mitgesellschafter I… ab. Mit weiterem Vertrag vom 26. Juli 2012 (UR-Nr. …/2012 des o. g. Notars) trat Mitgesellschafter I… seinen Gesellschaftsanteil in Höhe v...

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