Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Berechnung der von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder gewährten Zusatzrente
Leitsatz (redaktionell)
1. Soweit es um Vordienstzeiten (Beschäftigungen außerhalb des öffentlichen Dienstes) geht, werden diese nur zur Hälfte bei der Berechnung der gesamtversorgungsfähigen Dienstzeit angerechnet; in dieser Zeit erworbene Rentenansprüche werden jedoch voll auf die Zusatzrente angerechnet.
2. Die von der VBL garantierte Mindestversorgungsrente wird nicht dynamisiert.
3. Ab dem 1. Januar 2001 verstoßen diese Satzungsregelungen gegen das Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG). Der Satzungsgeber der VBL hat bis dahin die Berechnungsgrundlagen zu überprüfen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1
Beteiligte
Rechtsanwalt Bernhard Mathies |
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 26.04.1996; Aktenzeichen 6 S 13/95) |
AG Karlsruhe (Urteil vom 09.08.1995; Aktenzeichen 2 C 110/95) |
Tenor
1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
2. Das Land Baden-Württemberg hat der Beschwerdeführerin die Hälfte ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen der Berechnung der Versorgungsrente von Arbeitnehmern, die bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) versichert sind.
I.
1. Die 1921 geborene Beschwerdeführerin war von Juni 1951 bis April 1972 und danach erneut von September 1972 bis 31. Dezember 1982 im öffentlichen Dienst beschäftigt. Bis 1960 war die Beschwerdeführerin in Vollzeit beschäftigt; ab September 1972 überwiegend als Halbtagskraft. Nach ihrem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst im April 1972 ließ sie sich ihre bis dahin erworbenen Anwartschaften auf eine Versorgungsleistung der VBL abgelten. Seit dem 1. Januar 1983 bezieht sie eine Versicherungsrente (Mindestversorgungsrente) nach § 40 Abs. 4, § 44 der Satzung der VBL (VBLS). Die Höhe der (nicht-dynamisierten) Mindestrente wurde auf 46,78 DM festgesetzt.
Dem System der Zusatzversorgung liegt der „Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe” (Versorgungs-TV) zu Grunde, der eine Versicherungspflicht bei der VBL vorsieht und bestimmte Grundentscheidungen trifft. Die konkrete Ausgestaltung der Zusatzversorgung ergibt sich aus der VBLS. Die Versorgungsrente der VBL wird – vereinfacht dargestellt – gemäß §§ 41 bis 43 b VBLS nach den folgenden Grundsätzen berechnet: Durch sie soll dem Versicherten ein bestimmtes Gesamtversorgungsniveau gewährt werden, das sich an der Beamtenversorgung orientiert (Gesamtversorgung). Berechnungsgrundlagen sind das in den letzten drei Arbeitsjahren vom Versicherten erzielte Bruttodurchschnittsgehalt (gesamtversorgungsfähiges Entgelt) und die gesamtversorgungsfähige Zeit. Nach vierzig Dienstjahren soll seine Gesamtversorgung 75 vom Hundert dieses Betrages erreichen (Bruttogesamtversorgung). Bei kürzerer Dienstzeit verringert sich der Prozentsatz. Als gesamtversorgungsfähige Zeit werden bei rentenversicherungspflichtigen Beschäftigten die im öffentlichen Dienst erreichten Umlagemonate voll und Vordienstzeiten zur Hälfte berücksichtigt, soweit letztere beitragspflichtig oder beitragsfrei in der gesetzlichen Rentenversicherung waren.
Insgesamt, das heißt in der Summe der auf Pflichtbeiträgen beruhenden Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der Leistungen der VBL, darf die Versorgung 91,75 vom Hundert des letzten Nettogehaltes nicht übersteigen (Nettogesamtversorgung). Berechnungsgrundlage dafür ist ein fiktives Nettogehalt. In der Mehrzahl der Versorgungsfälle ist die Nettogesamtversorgung maßgeblich. Für Teilzeitbeschäftigte existiert eine gesonderte Berechnung des fiktiven Nettogehaltes, die ihnen im Ergebnis Steuer- und Soziallasten in demselben Umfang in Rechnung stellt wie einer Vollzeitkraft mit gleicher Tätigkeit und Vergütungsstufe.
Bei Versicherten, deren Pflichtversicherung erst nach Vollendung des 50. Lebensjahres begonnen hat, bestimmen sich der Brutto- und der Nettoversorgungssatz nach einer gesonderten Staffel. Im Fall der Beschwerdeführerin handelt es sich dabei um die so genannte „2 %-Staffel” gemäß § 41 Abs. 2 Satz 3 in der Fassung des § 98 Abs. 3 VBLS.
Als Mindestleistung erhalten die Versicherten eine Mindestversorgungsrente, die sich nach einem bestimmten Prozentsatz der vor 1978 erbrachten Beiträge und der zusatzversorgungspflichtigen Entgelte seit 1978 bestimmt. Diese Rente ist im Gegensatz zu den regulären Versorgungsrenten nicht dynamisiert, sondern statisch. Die Mindestversorgungsrente wird auch dann gezahlt, wenn – wie im Fall der Beschwerdeführerin – die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung über dem ermittelten Gesamtversorgungsbedarf liegt.
2. Im Ausgangsverfahren wurde über die Höhe der Zusatzrente der Beschwerdeführerin gestritten. Die Beschwerdeführerin beanspruchte eine höhere als die von der VBL errechnete Versorgungsrente mit der Begründung, verschiedene Satzungsregelungen der Versorgungsanstalt seien unwirksam. Insbesondere beanstandete sie die Berechnungsweise der Nettogesamtversorgung für Teilzeitbeschäftigte, die unzureichende Berücksichtigung von Vordienstzeiten mit dem Faktor ½, die Stichtagsregelung des § 97 b VBLS und die fehlende Dynamisierung der Mindestversorgungsrente.
Das Amtsgericht verurteilte die VBL zur Zahlung einer weiteren monatlichen Rente von 20,82 DM, da die Stichtagsregelung des § 97 b VBLS im Fall der Beschwerdeführerin nicht angewandt werden dürfe. Im Übrigen wies es die Klage ab. Die vor dem Landgericht eingelegten Berufungen beider Parteien blieben ohne Erfolg. Das Landgericht vertrat die Auffassung, dass die angegriffenen Satzungsbestimmungen wirksam seien und weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen § 242 BGB verstießen.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG sowie ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
Sie rügt insbesondere, dass das Rechensystem der VBL bei niedrigen Einkommen oder längeren Vorversicherungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung, vor allem bei früheren Vollzeitbeschäftigungen außerhalb des öffentlichen Dienstes, dazu führe, dass die Versorgungsrente auf die Mindestversorgung abfalle. Die Einbeziehung der Vorversicherungszeiten führe einerseits nur zu einem absurd niedrigen Versorgungssatz, andererseits werde die durch eine Vollzeitbeschäftigung erworbene Sozialversicherungsrente voll angerechnet. Dies stelle eine Diskriminierung von Frauen, Teilzeitbeschäftigten und Geringverdienern dar.
Weiter meint die Beschwerdeführerin, dass die Berechnung der Nettogesamtversorgung bei Teilzeitbeschäftigten gegen das Gleichheitsgebot verstoße. Die Auszehrung ihrer statischen Mindestrente durch die Geldentwertung verletze den Eigentumsschutz, denn ihr sei eigentlich eine dynamische Zusatzrente zugesagt worden. Die statische Ausgestaltung sei auch nicht aus versicherungsmathematischen Gründen gerechtfertigt. Dadurch, dass Beweisanträgen zur Überprüfung des so genannten Abbaus der Überversorgung nicht nachgekommen worden sei, sei ihr Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden.
4. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium des Innern, die VBL, die Tarifgemeinschaft deutscher Länder, die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände, der Deutsche Gewerkschaftsbund sowie die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung Stellung genommen. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat eine Stellungnahme des Vorsitzenden des IV. Zivilsenats, der Präsident des Bundesarbeitsgerichts eine Äußerung des Vorsitzenden des Dritten Senats vorgelegt.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da die Annahmevoraussetzungen gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die mit ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind hinreichend geklärt, sie lassen sich mit Hilfe der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Maßstäbe ohne weiteres entscheiden. Der vorliegende Fall bietet keinen Anlass, die Frage zu klären, in welchem Umfang die Tarifvertragsparteien der Bindung an die Grundrechte unterliegen.
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), da sie teilweise keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, teilweise die Beschwerdeführerin auch bei einer Aufhebung der angegriffenen Gerichtsentscheidungen im Ergebnis keine höhere Leistung beanspruchen könnte (BVerfGE 90, 22 ≪26≫).
a) Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich unmittelbar gegen Mitteilungen der VBL und mittelbar gegen einzelne Satzungsbestimmungen beziehungsweise Satzungsänderungen der VBL richtet.
Die Verfassungsbeschwerde kann von jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein, erhoben werden (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG). Die Mitteilungen der VBL und deren Satzungsbestimmungen stellen keinen Akt öffentlicher Gewalt dar. Der Bundesgerichtshof (BGHZ 103, 370 ≪378≫) ordnet die Versicherungsverhältnisse zwischen den versicherten Arbeitnehmern und der VBL dem Privatrecht zu. Diese Sichtweise ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden (vgl. Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. November 1991 – 1 BvR 825/88 –, BB 1991, S. 2531 und vom 11. Mai 1994 – 1 BvR 744/94 –, NVwZ-RR 1995, S. 232). Die VBL tritt der Beschwerdeführerin somit hier nicht als Trägerin öffentlicher Gewalt gegenüber.
b) Die Annahme der Verfassungsbeschwerde kommt auch insoweit nicht in Betracht, als sie sich gegen die Berechnung der Nettogesamtversorgung für Teilzeitbeschäftigte gemäß § 43 a in Verbindung mit § 41 Abs. 2 b und 2 c VBLS wendet.
Zwar hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch Beschluss vom 25. August 1999 in einem insoweit gleich gelagerten Fall entschieden, dass die von der VBL vorgenommene Berechnungsweise gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Für die Beschwerdeführerin würde sich allerdings nach den unbestrittenen Angaben der VBL auch bei Anwendung einer alternativen Berechnungsweise kein höherer Rentenanspruch ergeben, so dass ein besonders schwerer Nachteil im Sinne des § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG durch die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen insoweit nicht gegeben ist.
c) Im Übrigen hat die Verfassungsbeschwerde in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Gerichte haben bei der Überprüfung der Entscheidung der VBL und der einschlägigen Satzungsregelungen Bedeutung und Tragweite der Grundrechte der Beschwerdeführerin nicht verkannt.
Nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung, gegen die verfassungsrechtliche Bedenken insoweit nicht bestehen, kommt der Satzung der VBL die Bedeutung allgemeiner Versicherungsbedingungen zu. Als solche unterliegt sie in vollem Maße der richterlichen Inhaltskontrolle. Der Bundesgerichtshof misst die Satzungsbestimmungen zudem am Maßstab der Grundrechte, weil die VBL als Anstalt des öffentlichen Rechts eine öffentliche Aufgabe wahrnehme (vgl. BGH LM Nr. 6 und 7 VBL-Satzung). Unabhängig hiervon haben die Zivilgerichte bei der Überprüfung allgemeiner Geschäftsbedingungen am Maßstab des § 242 BGB beziehungsweise des Gesetzes zur Regelung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen die objektiven Grundentscheidungen des Grundgesetzes zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪205 f.≫; 81, 242 ≪254≫). An diesem Maßstab gemessen, halten die angegriffenen Entscheidungen der verfassungsgerichtlichen Prüfung noch stand. Allerdings kann die zurzeit noch vertretbare Beurteilung über den 31. Dezember 2000 hinaus nicht aufrechterhalten werden, soweit es um die Anrechnung der Vordienstzeiten und die Dynamisierung der Mindestrente geht.
aa) Soweit die Beschwerdeführerin sich gegen die Berücksichtigung von Zeiten vor Aufnahme der Tätigkeit im öffentlichen Dienst einerseits (§ 42 Abs. 2 VBLS) und die volle Berücksichtigung der Sozialversicherungsrente bei der Bestimmung der Höhe der Zusatzversorgung andererseits (§ 40 VBLS) zur Wehr setzt, ist Art. 3 Abs. 1 GG (noch) nicht verletzt.
Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72 ≪88≫; 84, 197 ≪199≫). Eine solche Grundrechtsverletzung kann nicht nur vom Gesetzgeber begangen werden. Sie liegt auch dann vor, wenn die Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften oder der Lückenfüllung zu einer dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung gelangen (BVerfGE 84, 197 ≪199≫).
Die Beschwerdeführerin wird von der Vorzeitenregelung erfasst, weil sie sich für die Jahre von 1951 bis 1972 von der VBL hat auszahlen lassen. Dagegen ist aus verfassungsrechtlicher Sicht grundsätzlich nichts einzuwenden, und dagegen wendet sie sich auch nicht. Fragwürdig ist aber, dass ihr ihre Vordienstzeiten nur zur Hälfte als gesamtversorgungsfähige Zeit gutgeschrieben werden (§ 42 Abs. 2 VBLS), während die damals erworbenen Ansprüche aus der gesetzlichen Sozialversicherung in vollem Umfang angerechnet werden. Durch diese Regelung wird eine große Gruppe von Versorgungsberechtigten, die vor ihrer Beschäftigung im öffentlichen Dienst in der Privatwirtschaft gearbeitet haben, in sachlich nicht gerechtfertigter Weise gegenüber denjenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern benachteiligt, die ihr ganzes Berufsleben im öffentlichen Dienst verbracht haben.
Bei der Zusatzversorgung handelt es sich um eine Betriebsrente, durch die im Grundsatz die Betriebstreue des Mitarbeiters belohnt werden soll. Von daher brauchten so genannte Vordienstzeiten an sich überhaupt nicht berücksichtigt zu werden. Insofern wäre auch gegen die hälftige Berücksichtigung einer Vordienstzeit bei der gesamtversorgungsfähigen Zeit nichts einzuwenden, solange dem Versicherten daraus kein Nachteil erwächst. Es geht aber nicht an, einen Versicherten mit Vordienstzeiten schlechterzustellen als einen Arbeitnehmer, der vor dem Eintritt in den öffentlichen Dienst überhaupt keine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt hat. Dieses Ergebnis tritt aber in vielen Fällen ein, weil der Satzungsgeber eine volle Anrechnung der gesetzlichen Rentenansprüche ungeachtet der bloß hälftigen Berücksichtigung der Vordienstzeiten bei der gesamtversorgungsfähigen Zeit vorsieht. Häufig wird sogar die bereits erarbeitete Sozialversicherungsrente bei Eintritt in den öffentlichen Dienst so hoch sein, dass die noch mögliche Gesamtversorgung, die der Beschäftigte in den künftigen Arbeitsjahren erarbeitet, hiervon aufgezehrt wird, wodurch von Anfang an feststeht, dass die Zusatzversorgung auf die Mindestrente schrumpft. Der Effekt wird überdies verstärkt, wenn der Beginn des Beschäftigungsverhältnisses nach dem 50. Lebensjahr liegt (§ 41 Abs. 2 Satz 3 VBLS).
Diese Ungleichbehandlung wird nicht dadurch ausgeräumt, dass die Regelung sich in bestimmten Fällen auch günstig auswirken kann, wenn nämlich in der Vordienstzeit – etwa wegen Teilzeitbeschäftigung – besonders geringe Rentenansprüche erworben worden sind, die – bezogen auf die Lebensarbeitszeit – jährlich nicht einmal die Hälfte der durchschnittlich erarbeiteten Rentenanwartschaften erreicht haben. Sachliche Gründe für die Besserstellung dieser Gruppe von Mitarbeitern sind ebenso wenig erkennbar wie für die Benachteiligung der vorgenannten. Die Ungleichbehandlung wird so eher noch vertieft.
Das Prinzip der Gesamtversorgung, dem die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst unterliegt, vermag die dargelegte Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen. Eine Gesamtversorgung wird vereinbart, weil die Tarifvertragsparteien die gesetzlichen Sozialversicherungsansprüche aus dem bei ihnen bestehenden Entgeltanspruch für unzulänglich erachten. Diese so genannte zweite Säule der Alterssicherung wird nicht dadurch entbehrlich, dass der Arbeitnehmer davor oder danach ebenfalls sozialversicherungspflichtig bei anderen Arbeitgebern beschäftigt war. Hierdurch erworbene Renten sind schon ihrer Art nach nicht geeignet, eine „Überversorgung” zu bewirken. Soll sich die Zusage einer Gesamtversorgung auf das gesamte Arbeitsleben beziehen, dann muss auch die gesamte Lebensarbeitszeit unverkürzt in Rechnung gestellt werden. Wird die Gesamtversorgung hingegen nur im Hinblick auf die bei demselben Arbeitgeber geleistete Arbeit gewährt, dann dürfen die in anderen Arbeitsverhältnissen erworbenen Ansprüche nicht durch volle Anrechnung zu einer Kürzung der Leistungen aus der Zusatzversorgung führen.
Die Ungleichbehandlung der genannten Gruppen von Beschäftigten ist gravierend. Sie hält sich aber derzeit noch im Rahmen einer zulässigen Generalisierung. Der Satzungsgeber der VBL ist, ebenso wie der Gesetzgeber, bei der Regelung einer hochkomplizierten Materie, wie es die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst darstellt, zu gewissen Vereinfachungen gezwungen. Dabei darf er Ungleichbehandlungen in Kauf nehmen, solange davon nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (vgl. BVerfGE 26, 265 ≪275 f.≫; stRspr). Praktische Erfordernisse der Verwaltung und erhebliche Schwierigkeiten bei der Vermeidung der Ungleichbehandlung können zu Gunsten einer Typisierung ins Gewicht fallen (vgl. BVerfGE 63, 119 ≪128≫; 87, 234 ≪255 f.≫).
Das Prinzip einer an der Beamtenversorgung orientierten Gesamtversorgung, nach dem die Zusatzversorgung der VBL geregelt ist, beruhte auf sachlichen Erwägungen, die auch unter den heutigen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen noch tragfähig sind. Ursprünglich mag dabei auch berücksichtigt worden sein, dass die Versorgungsanwartschaften von Beamten in den ersten Dienstjahren erheblich stärker anstiegen als in den späteren. Die im System angelegten Ungleichheiten zu vermeiden, ohne seine finanziellen Grundlagen in Frage zu stellen oder andere Ungleichheiten zu schaffen, hätte den Satzungsgeber vor ganz erhebliche Schwierigkeiten gestellt. Auch ist die Teilzeitbeschäftigung erst nach und nach im öffentlichen Dienst möglich geworden. Der Wechsel zwischen der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Dienst hat zugenommen.
Überdies besteht eine Wechselwirkung zwischen der Leistungshöhe und den für die VBL aufzuwendenden Mitteln. Die vollständige Anrechnung der Sozialversicherungsrente, um die es vorliegend geht, dient zugleich als Begrenzung für den Umfang der durch den Arbeitgeber (und jetzt auch wieder durch die Arbeitnehmer) für die Zusatzversorgung aufzubringenden Beträge.
In der Rentnergeneration der Beschwerdeführerin ist nur eine relativ kleine Gruppe von Versicherten von der geschilderten Problematik betroffen. Insofern kann die angegriffene Berechnungsweise derzeit noch als zulässige Typisierung und Generalisierung im Rahmen einer komplizierten Materie angesehen werden, die eine sehr große Gruppe von Normadressaten betrifft (vgl. BVerfGE 82, 126 ≪152≫).
Inzwischen liegen diese Voraussetzungen aber nicht mehr vor. Ein bruchloser Verlauf einer Erwerbsbiographie im öffentlichen Dienst ist für die jüngere Versichertengenerationen nicht mehr in hinreichender Weise typisch. Die auch im öffentlichen Dienst stark gestiegene Anzahl der Teilzeitbeschäftigten und die allgemein stärkere Diskontinuität im Laufe des Erwerbslebens deuten darauf hin, dass die Entwicklung in diese Richtung weitergeht. Die Versorgungsanwartschaften der Beamten steigen seit 1992 linear mit zunehmendem Dienstalter an (§ 14 Abs. 1 Beamtenversorgungsgesetz i.d.F. von Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes und sonstiger dienst- und versorgungsrechtlicher Vorschriften vom 18. Dezember 1989 (GVBl I S. 2218).
Angesichts dieser Entwicklungen kann die Benachteiligung der Rentner durch die volle Anrechnung der in Vordienstzeiten erworbenen Rentenansprüche bei hälftiger Berücksichtigung dieses Teils ihrer Lebensarbeitszeit bei der Berechnung der gesamtversorgungsfähigen Dienstzeit nicht länger als bis zum Ablauf des Jahres 2000 hingenommen werden. Die VBL ist durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 18 BetrAVG (BVerfGE 98, 365) ohnehin gezwungen, ihre Satzung bis zu diesem Zeitpunkt grundlegend zu erneuern. Der VBL ist zuzumuten, im Rahmen der anstehenden Reform auch die Probleme verfassungskonform zu lösen, die mit einer Änderung der Vorzeitenregelung unverkennbar verbunden sind.
bb) Durch die statische Ausgestaltung der Mindestversorgungsrente wird die Beschwerdeführerin gegenüber den Betriebsrentnern in der Privatwirtschaft benachteiligt; denn diesen garantiert § 16 BetrAVG eine turnusmäßige Anpassung nach billigem Ermessen. Die Benachteiligung ist auch gravierend. Faktisch kann diese Regelung dazu führen, dass – abhängig von der Entwicklung der Löhne und Preise – die Mindestversorgungsrente jedenfalls auf längere Sicht jegliche Bedeutung für den einzelnen Versicherten verliert. Im Fall der Beschwerdeführerin beträgt der Wertverlust nach deren Angaben bereits mehr als 30 vom Hundert.
Die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes rechtfertigen diese Benachteiligung nicht (vgl. BVerfGE 98, 365 ≪388 ff.≫). Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes kann jedoch auch insoweit noch nicht festgestellt werden. Die statische Ausgestaltung steht im Zusammenhang mit den Regelungen, die dem notwendigen und verfassungsrechtlich unbedenklichen Abbau einer planwidrigen Überversorgung dienten, und hält sich insoweit noch im Rahmen einer zulässigen Typisierung (vgl. Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Dezember 1998 – 1 BvR 2262/96 – und vom 6. November 1991 – 1 BvR 825/88 –, BB 1991, S. 2531). Darüber hinaus fällt ins Gewicht, dass bisher auch die Dynamisierung der Zusatzrente nach § 18 BetrAVG ausgeschlossen ist und dass diese Vorschrift ungeachtet ihrer Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG noch bis zum 31. Dezember 2000 wirksam bleibt (BVerfGE 98, 365).
Im Rahmen der notwendigen gesetzlichen Neuregelung des Betriebsrentenrechts für den öffentlichen Dienst bis zu dem genannten Zeitpunkt steht auch der generelle Ausschluss der Anpassungsprüfungspflicht (§ 16 BetrAVG) für die Zusatzversorgungssysteme des öffentlichen Dienstes in Frage (vgl. bereits den Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 22. November 1974 zum Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, BTDrucks 7/2843). Im Anschluss daran – und das heißt spätestens im kommenden Jahr – wird auch der Satzungsgeber der VBL die Frage der Dynamisierung der Versichertenrente unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung mit dem allgemeinen Betriebsrentenrecht zu überprüfen haben.
Dabei wird zu bedenken sein, dass bereits jetzt in nicht unerheblichem Umfang in den neuen Bundesländern lediglich nicht-dynamisierte Mindestversorgungsrenten gezahlt werden, die der Gefahr der völligen Auszehrung unterliegen. In den neuen Bundesländern wird die VBL auf Grund der geringen gesamtversorgungsfähigen Zeit in den nächsten 25 Jahren im Normalfall keine dynamische Versorgungsrente, sondern lediglich eine statische Versicherungsrente oder Betriebsrente zahlen (vgl. Boßmann, Was ich von der Zusatzversorgung wissen muß, 10. Aufl. 1998, Rn. 9).
cc) Mit Blick auf die anstehenden Neuregelungen wird angemerkt: Das Satzungswerk der VBL hat inzwischen eine Komplexität erreicht, die es dem einzelnen Versicherten kaum mehr ermöglicht, zu überschauen, welche Leistungen er zu erwarten hat und wie sich berufliche Veränderungen im Rahmen des Erwerbslebens auf die Höhe der Leistungen auswirken. Eine weitere Zunahme dieser Komplexität kann an verfassungsrechtliche Grenzen stoßen, sei es weil die Arbeitnehmer dadurch in der freien Wahl ihres Arbeitsplatzes (Art. 12 Abs. 1 GG) in unzumutbarer Weise behindert werden, sei es weil sich die sachliche Rechtfertigung für Ausdifferenzierungen im Normengeflecht nicht mehr nachvollziehen lässt und somit die Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht mehr gewährleistet werden kann. Dass eine den Belangen des öffentlichen Dienstes angemessen Rechnung tragende, gleichwohl übersichtliche und durchschaubare Regelung möglich ist, zeigt das Zweite Ruhegeldgesetz der Freien und Hansestadt Hamburg vom 7. März 1995 (HmbGVBl S. 53)
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 3 BVerfGG. Da die Verfassungsbeschwerde Anlass zur Klärung verfassungsrechtlicher Fragen gegeben hat und einen erheblichen Regelungsbedarf bei der VBL auslöst, durch den auch die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken für die Zukunft ausgeräumt werden müssen, ist es angemessen, ihr die Hälfte ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 600180 |
DStR 2000, 2102 |
NJW 2000, 3341 |
NWB 2000, 1782 |
FamRZ 2000, 808 |
NVwZ 2000, 1409 |
NZA 2000, 996 |
ZAP 2000, 776 |
ZBR 2001, 173 |
ZTR 2000, 265 |
AP, 0 |
DÖD 2000, 198 |
DVP 2000, 359 |
NJ 2000, 302 |
VersR 2000, 835 |
ZfSH/SGB 2000, 360 |
GV/RP 2000, 677 |
KomVerw 2000, 261 |
NordÖR 2000, 233 |
FuBW 2000, 525 |
FuHe 2000, 676 |
FuNds 2000, 547 |